„Ein nie gesehener Zinsanstieg“
Von Heidi Rohde, Frankfurt
Selten hatten die Unternehmen in der Finanzierung ein so toxisches Gemisch zu verkraften. Der Krieg in der Ukraine, stark steigende Energie-und Rohstoffkosten sowie globale Lieferengpässe, die ein ungewohntes Vorratsmanagement und damit ein höheres Working Capital erfordern. All das führt dazu, dass Unternehmen vielfach eine deutlich höhere Liquiditätsreserve als über Jahre üblich vorhalten müssen. Von Dezember bis März schwoll das Kreditvolumen deutscher Firmen um 33 Mrd. Euro an und stellte damit sogar den bisherigen Rekord im ersten Quartal des Coronajahres 2020 ein.
Zugleich schauen die Banken angesichts des krisenhaften Umfelds bei der Kreditvergabe auch „deutlich genauer hin, was und wen sie finanzieren“, betont Johannes Schmittat, Leiter Corporate Clients im Debt Capital Markets Team von Houlihan Lokey. „Im Grundsatz gilt, dass sich Softwarefirmen mit stabilen Umsätzen noch immer leicht finanzieren können. Alles, was mit Retail oder mit Verbrennungsmotoren zu tun hat, wird schon eher zum Problem.“ Schwierig ist die Liquiditätsbeschaffung auch für Unternehmen, die noch verbliebene Geschäftspartner in Russland haben und womöglich Zahlungsausfälle kompensieren müssen.
Angesichts der Zinswende stelle sich aber für viele nicht nur die Frage, wie viel Liquidität sie benötigen. „Neuerdings wichtiger ist auch die Frage, wie viel Zinsbelastung sich eine Firma eigentlich leisten kann“, so Schmittat. Denn der Sprung von quasi null auf zeitweise mehr als 2% bei den Midswap-Sätzen im Drei- bis Fünfjahresbereich ist binnen so kurzer Zeit „ein nie gesehener Zinsanstieg im Euromarkt“, wie der Experte schätzt. „Da kommen vergessene Kennzahlen wie die Zins-Cover-Ratio plötzlich wieder in Mode.“ Noch habe diese nicht wieder Eingang in die üblichen Covenants gefunden. „Aber das könnte bald kommen.“
Hedging kommt in Mode
Auch ein anderes Instrument, das in den Nullzinsjahren praktisch nie gebraucht wurde, erscheint wieder auf dem Radar: Der rasante Zinsanstieg im mittelfristigen Bereich nährt die Angst vor schwer tragbaren Niveaus in Zukunft. Deshalb ist auch Hedging durchaus wieder ein Instrument, „über das Unternehmen nachdenken sollten“. Zwar ist auch denkbar, dass die Inflation in absehbarer Zeit nachlässt und die Notenbanken um weitere stärkere Zinsanhebungen herumkommen, aber darauf „spekulieren sollte nur, wer es sich leisten kann“, meint Schmittat.
In jedem Fall sei jeder Treasurer gut beraten, das Fälligkeitsprofil der Verbindlichkeiten zu prüfen und bei kürzeren Laufzeiten umzufinanzieren. Der Experte hält es für denkbar, dass Banken bei einer anhaltend starken Kreditnachfrage auch „an die Grenzen ihrer bilanziellen Kapazitäten kommen“. Während großen Konzernen mit entsprechender Rating-Qualität der Bondmarkt ebenso offensteht wie eine Vielzahl von Debtfonds, sieht dies im Mittelstand häufig anders aus. Eng werden könnte es für Unternehmen im „Non-Investment Grade“, denn der „High-Yield-Markt ist seit Monaten praktisch dicht“.
Allerdings beobachtet Schmittat, dass insbesondere Debtfonds ihren Radius deutlich erweitern und auch für viele Mittelständler zu einer echten Alternative werden können. „Die Fonds haben ihre Teams breiter aufgestellt, so dass man mit denen inzwischen auch auf deutsch reden kann“, betont er. Ein Kriterium, das für eine konventionelle mittelständische Firma nicht zu unterschätzen sei. Interessant seien Finanzierungen durch Debtfonds vor allem, „wenn das Unternehmen eine interessante Story zu bieten hat, etwa wenn Kapital für eine Übernahme gebraucht wird“, so Schmittat. Dies rechne sich auch für Firmen in der Regel, wenn der Kredit schnell wieder zurückgeführt werden könne.
Grundsätzlich geht der Experte davon aus, dass kleine und mittelgroße Gesellschaften, die von den Banken nicht als „gefühlt Investment Grade“ angesehen werden, verstärkt auch alternative Finanzierungsinstrumente heranziehen müssen. Es werde „sicher ein Erstarken bei Nachrangdarlehen geben“. Mezzanine-Kreditgeber hatten bereits in der Corona-Pandemie die Chancen der Krise erkannt. Die Zahl der in dem Segment tätigen Kapitalgeber wächst, wobei sich Mezzanine bisher besonders in der Immobilienfinanzierung zu einem Standard entwickelt hat.
ESG bloß Hygienefaktor
Bei solchen Nachrangdarlehen spielt auch noch keine Rolle, was andernorts zu einem „Hygienefaktor“ geworden ist, wie der wachsende Markt für grüne Anleihen zeigt: die Verknüpfung mit ESG-Kriterien. Schmittat weist allerdings darauf hin, dass „ESG-Ratings relativ auf dem Rückzug sind“. Stattdessen dominieren bei Krediten „häufig frei vereinbarte ESG-Performance-Kennzahlen“, weiß er zu berichten. Einen nennenswerten Einfluss auf die Kreditkosten kann der Manager bisher nicht erkennen.
Eine schwierige Kundengruppe in der Fremdfinanzierung sind junge Technologieunternehmen, denen sich in der zurückliegenden rekordlangen Niedrigzinsphase zahlreiche Geldgeber zugewandt hatten, so dass reichlich Eigenkapital zur Verfügung stand. Klassische Bankkredite kommen für Start-ups kaum in Betracht, „es sei denn sie verfügen über Assets als Sicherheiten oder wenigstens Annual Recurring Revenues“, befindet Schmittat. Venture Debt sei für manche eine Alternative, allerdings eine teure. „Da geht es meist um Zinssätze von 15 und mehr.“