Evergrande-Krise wirkt ansteckend
Von Norbert Hellmann, Schanghai
In der Zitterpartie um die Existenznöte und Zahlungsschwierigkeiten des zweitgrößten chinesischen Immobilienentwicklers Evergrande schlittern weitere Branchenadressen in eine potenzielle Liquiditätskrise. Zuletzt ist der integrierte Wohnungs- und Gewerbeimmobilienentwickler Kaisa Group Holding ins Schussfeld von Ratingagenturen und Marktteilnehmern geraten und sieht sich einem Vertrauensentzug ausgesetzt, der Aktien- und Bondkurse purzeln lässt. An der Hongkonger Börse stürzte die Kaisa-Aktie am Donnerstag in der Spitze um knapp 21% ab und ging mit einem Tagesverlust von 18,5% aus dem Handel. Seit März dieses Jahres haben die Titel mehr als 70% verloren.
Kaisa gilt nun als nächster potenzieller Kandidat für einen Default (Zahlungsausfall) am Bondmarkt, mit dem sich insbesondere auch internationale Investorenkreise beschäftigen müssen. Die Gesellschaft hat im Hongkonger Offshore-Markt begebene Dollaranleihen über ein gewaltiges Volumen von 14 Mrd. Dollar ausstehen und gehört damit zu den größten Emittenten von chinesischen Hochzinsanleihen (Junk Bonds). Entsprechend hat die Unruhe über eine stark sinkende Bonität bei Kaisa am Donnerstag zu einem weiteren kräftigen Renditeauftrieb bei chinesischen Junk Bonds geführt, für die Investoren mittlerweile rekordhohe Risikoaufschläge verlangen.
Zur Wochenmitte hatten die Ratingagenturen Fitch und Standard & Poor’s (S&P) ihre Bonitätsbewertung für Kaisa von „B“ auf „CCC+“ gesenkt. Noten im C-Bereich weisen auf akute Default-Gefahren mit Blick auf Kaisas Tilgungsverpflichtungen und wachsenden Liquiditätsdruck hin. Entsprechend sind auch die Kaisa-Anleihen am Markt unter heftigen Verkaufsdruck geraten. Im kommenden Jahr fällige Kaisa-Bonds notieren gegenwärtig bei einem Niveau von etwa 50 zum Dollar, was eine Werteinbuße um rund die Hälfte bedeutet, während längerfristige Papiere und Daueranleihen der Gesellschaft nur noch 30 bis 35% ihres Nominalwerts aufweisen.
Hohe Tilgungslasten
Nach Einschätzung von Ratingagenturen müsste Kaisa dringend Aktiva verkaufen, um ihre Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, doch stellt sich die Frage, ob dies rechtzeitig vor Ablauf von entscheidenden Zins- und Tilgungsfristen gelingen kann. Laut Daten von Bloomberg soll Kaisa in der ersten Dezemberwoche eine Anleihe über 400 Mill. Dollar ablösen und sieht sich dann im kommenden Jahr mit Tilgungsversprechen über insgesamt 2,8 Mrd. Dollar konfrontiert (siehe Grafik).
Tatsächlich weist Kaisa in den nächsten zwölf Monaten höhere Ausstände gegenüber Bondgläubigern auf als das „Enfant terrible“ Evergrande, die allerdings insgesamt auf höhere Dollarbondschulden von gut 19 Mrd. Dollar kommt. Kaisa hatte noch in diesem Jahr eine Anleihe über 2,4 Mrd. Dollar im Offshore-Markt platziert, während Evergrande letztmalig Anfang 2020 den internationalen Bondmarkt angezapft hat. Kaisa hat bereits einen ramponierten Ruf bei Bondanlegern, nachdem die Gesellschaft sich im Jahre 2015 als erster chinesischer Immobilienentwickler überhaupt einen Zahlungsausfall auf Dollarbonds leistete und dann in ein langwieriges Schuldenrestrukturierungsverfahren eintrat.
Der nächste Test
Evergrande wiederum ist mit Verbindlichkeiten von mehr als 300 Mrd. Dollar insgesamt zwar wesentlich höher verschuldet als Kaisa, konnte bislang aber einem förmlichen Default entgehen. Den nächsten Test gilt es jedoch bereits am Freitag zu bestehen, wenn die Grace Period (Gnadenfrist) für eine am 29. September versäumte Kuponzahlung über gut 45 Mill. Dollar ansteht. Nachdem Evergrande allerdings in der vergangenen Woche eine Kuponzahlung über 83,5 Mill. Dollar unmittelbar vor Ablauf der Nachreichfrist erfolgen ließ, gehen die Marktteilnehmer davon aus, dass Evergrande auch diesmal den großen Knall am Bondmarkt verhindern kann.