Ferdinand Dudenhöffer

„Klumpen­risiko, nicht zu investieren“

Während Chinas Automarkt wieder Fahrt aufnimmt, verlieren die deutschen Autobauer Anteile. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer erläutert die Ursachen und warnt vor Zurückhaltung bei Investitionen in China.

„Klumpen­risiko, nicht zu investieren“

Carsten Steevens.

Herr Professor Dudenhöffer, der chinesische Automarkt hat sich im Juli im zweiten Monat in Folge von der jüngsten pandemiebedingten Absatzdelle erholt – auch dank einer regen Nachfrage nach New Energy Vehicles (NEV). Der Autohändlerverband PCA hat die Prognose für den heimischen Elektroautoabsatz 2022 von 5,5 auf 6 Millionen Fahrzeuge erhöht – das wäre eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr. Wie sehen Sie die Marktaussichten?

Der chinesische Elektro-Automarkt wächst stark und Unternehmen wie BYD haben einen enormen Schub gebracht, auch unterstützt durch regionale Förderungen. Per Juli wurden 3,2 Millionen NEV in China verkauft, also Plug-ins und vollelektrische Fahrzeuge. Aber Taiwan-Zwischenfälle und Covid bleiben Störfaktoren. Ich denke, man sollte über das Jahr eher mit den 5,5 Millionen rechnen – was ja auch eine hervorragende Performance ist.

Welche Bedeutung hat Chinas Automarkt?

China und Indien werden in diesem Jahr wohl die einzigen größeren Automärkte sein, die deutlichen Zuwachs bringen. Indien hat zwar hohes Wachstum, aber der Markt liegt bei drei Millionen. In China ist das prozentuale Wachstum zwar nicht ganz so groß, aber bei einem Ausgang von 21 Millionen Verkäufen im letzten Jahr sind 5% Zusatz schon eine Hausnummer. China ist 2023 wieder die Lokomotive im Weltautomarkt.

Mit dem Übergang vom Verbrenner- zum E-Auto-Markt verschieben sich Marktanteile. Heimische Hersteller holen auf oder ziehen davon. Was sind die Gründe?

Die Chinesen bauen mittlerweile Tech, und Autobauer wie BYD als Wachstumsstar haben eine hohe Batterie-Kompetenz. Immerhin war BYD der Erste, der mit der sogenannten Blade-Batterie auf große Zellen gesetzt hat. Das neueste BYD-Modell, der Sems, ist von den Leistungsdaten, vom Design und den Software-Features her das Tesla Model 3 von BYD – mit besserem Preis als der Tesla. Das Herz des Elektroautos, die Batterie, sitzt in China, und damit sind Nio, XPeng und andere Start-ups sehr innovativ. Der zweite wichtige Grund sind die Elektronikaustattungen. Chinesische Kunden sind im Vergleich zu Europäern unendlich internet- und softwareaffin. Und Unternehmen wie Horizon Robotics mit seinen Chips, Huawei mit seinen intelligenten Cockpits oder Baidu mit autonomen Fahrfunktionen sind international führend. Die Innovationskraft und Dynamik der Chinesen machen den Unterschied. Während in früheren Jahren die Japaner oder Koreaner mit hochwertiger Qualität die Märkte erobert haben, kommt China mit einer Technologie-Offensive.

Der führende chinesische Elektroautobauer BYD hat seinen Vorsprung im NEV-Segment ausgebaut. Im ersten Halbjahr hat BYD Tesla als globalen Marktführer bei Elektroautos bei den Verkaufszahlen überholt. Für 2022 rechnet BYD mit einer Verdoppelung der Pkw-Auslieferungen auf 1,5 Millionen Fahrzeuge. Wie schätzen Sie die Wettbewerbsaussichten in Chinas Automarkt ein?

In China sind die Geely-Holding mit breitem Markenportfolio, Great Wall und die halbstaatlichen großen Konzerne wie SAIC, FAW große Wettbewerber. Zusätzlich ist zu erkennen, dass Toyota, GM und Ford versuchen, ihre Marktposition zu verbessern, und Stellantis, die noch weit hinterherhinken, hat wohl ein großes China-Programm. BYD und Tesla haben einen Vorsprung bei Elektroautos, aber der Markt besteht noch zu 75% aus konventionellen. Das ändert sich zwar jetzt schneller, aber um die Spitzenpositionen wird hart gekämpft. China ist und bleibt der größte Automarkt der Welt. Von daher können wir einen intensiven Wettbewerb erwarten. Wer in fünf Jahren die Marktführerschaft innehaben wird, ist nicht ausgemacht.

Wie ist der politische Einfluss in China in diesem Zusammenhang zu werten?

Die Kommunistische Partei Chinas und Präsident Xi Jinping bestimmen die Richtung. China hat ein großes Programm zur Klimaneutralität. China hat zweitens große Ambitionen, weltweit Technologieführer zu werden. Und China hat ein großes Interesse, seinen Handel auszubauen. Dabei spielen sicher die Entwicklungsländer in Asien und Afrika eine wichtige Rolle. Und diese Ziele werden im Automarkt erkennbar sein.

Inwiefern?

Autonomes Fahren, Halbleiter-Kompetenz und Kapazitäten, Batterietechnik sind große Entwicklungen, und die werden durch Regulierungen und Eingriffe gefördert. Dabei haben sowohl internationale Unternehmen als auch die Chinesen die Chancen, diese Entwicklungen mitzugestalten. Die KP Chinas ist nicht gegen Wettbewerb. Voraussetzung wird sein, intensiv in China in Forschung und Entwicklung zu investieren. Von daher kann die derzeitige politische Debatte mit den sehr unglücklichen Besuchen von US-Politikern in Taiwan ein großer Bremsklotz werden.

Technische Qualität, ansprechendes Design, Ausstattung, Preis: Welche Faktoren werden im Wettbewerb entscheiden?

Das „Software-Defined-Car“ und Batterietechnik entscheiden das Rennen. Design und Qualität ist ein „must be“, das von den Chinesen mittlerweile beherrscht wird. Daher sollte gerade Mercedes mit seinem Drang in den Luxus aufpassen. Mit S-Klasse und Maybach wird man in China längerfristig Nischenanbieter, der wenige Skalierungsvorteile bei Software hat oder Software von der Stange einsetzen muss.

Eine wichtige Rolle für den Erfolg in China spielt auch, wie schnell neue Produkte und Technologien zu den Kunden kommen. Warum hinken deutsche Hersteller teilweise hinterher?

Die deutschen Hersteller sind perfekt im konventionellen Engineering – bei Fahrwerksfunktionen, Komfort im Innenraum, Qualitätsanmutung. Und damit dies stimmt, testet man viel und hat lange Entwicklungszeiten. Das ist für China ein Problem. Elon Musk und die Chinesen kommen aus der Software-Ecke. Da ist Dynamik der wesentliche Erfolgsfaktor.

Welche Marktanteile trauen Sie BMW, Mercedes und Volkswagen mittel- bis langfristig in China zu?

VW hat mit der Diess-Strategie viele wichtige Eckpfeiler gesetzt. Wenn jetzt unter Oliver Blume die Strategie weiter umgesetzt wird, bin ich optimistisch. BMW geht systematisch vor, braucht aber vielleicht noch mehr Push bei den Software-Funktionen und dem vollelektrischen Auto. Da waren die Münchner in den letzten Jahren etwas zögerlich. Man hat in München die Teslas einfach unterschätzt – ein Fehler. Bei Mercedes mache ich mir am meisten Sorgen. Die Luxus-Strategie von Ola Källenius hat in meinen Augen sehr große Schwächen. Man geht in die Nische und verliert die wichtigen Skalen. Das bringt Probleme bei der Mittelklasse und oberen Mittelklasse.

Die deutschen Hersteller setzen stark auf den chinesischen Automarkt. Zugleich besteht in Anbetracht der geopolitischen Spannungen ein Klumpenrisiko. Ein Dilemma.

Langfristig ist der chinesische Markt für 50 Millionen Neuwagen pro Jahr gut. Derzeit steht man bei 20 Millionen. Was heißt Klumpenrisiko? Will man auf einen zusätzlichen Markt von 30 Millionen verzichten, Toyota, GM, SAIC, BYD, Geely und Hyundai-Kia das Potenzial überlassen und in Afrika oder Südamerika sein Glück suchen? USA und Westeuropa sind gesättigt, Russland ist verbaut. Das Klumpenrisiko besteht darin, nicht im Klumpen zu investieren.

Für wie wahrscheinlich halten Sie ein Szenario mit weitreichenden Sanktionen westlicher Industriestaaten gegen China?

Der frühere Kanzler Helmut Schmidt hat das so ausgedrückt: Deutschland sollte nicht der Moralapostel der Welt sein. Wenn jetzt unsere Außenministerin den US-Politikern, die nach Taiwan fliegen, noch applaudiert, sind wir nicht weit von dem Sanktionsszenario weg. Deutschland ist nicht der heilige Kreuzritter für die Menschenrechte der Welt. Also sollten wir uns mit den Realitäten auseinandersetzen und versuchen, mit Zusammenarbeit Konflikte zu entschärfen, anstatt mit Frau Pelosi Öl ins Feuer zu gießen.

Also keine Einschränkungen bei Investitionen in Produktion und Vertrieb und in den Ausbau der technologischen Fähigkeiten in China?

China macht heute etwa ein Drittel des weltweiten Markts aus, der Anteil wird in zehn Jahren bei 40% liegen. Nochmals 50% verteilen sich auf Nordamerika, Japan und Europa. Auf Betreiben von China wurde im Jahr 2020 mit asiatisch-pazifischen Staaten die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) abgeschlossen, das weltweit größte Freihandelsabkommen. An RCEP sind auch Japan, Südkorea und Australien beteiligt. Ist eine Absonderungs-Doktrin nicht etwas naiv? Toyota unternimmt große Anstrengungen, mehr Autos in China zu verkaufen. Die US-Autobauer General Motors und Ford übrigens auch.

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