Serie neue Logistik

Logistik-Start-ups nehmen den Kampf gegen das Fax-Gerät auf

In der Logistikbranche gibt es viel Potenzial für Effizienzgewinne durch Digitalisierung. Start-ups wie die Berliner Digital-Speditionen Forto und Sennder gehen im Kampf gegen Faxgeräte, Papierstapel und Excel-Tabellen voran.

Logistik-Start-ups nehmen den Kampf gegen das Fax-Gerät auf

Von Stefan Paravicini, Berlin

Als die Gründer der Berliner Digitalspedition Forto sich 2016 auf dem Seeweg zwischen Asien und Europa umhörten, ob es für ihre Geschäftsidee einen Markt geben würde, hatten sie spätestens in Hongkong Gewissheit: In einem Büro bei einem Logistiker stapelte sich das Papier so hoch, dass es auch die danebenstehenden Röhrenmonitore überragte. „Uns wurde klar, dass der manuelle Kommunikationsaufwand in dieser Industrie immer noch sehr hoch ist“, erinnerte sich einer der Gründer, Erik Muttersbach, noch Jahre später. Heute sparen Kunden von Forto mit Echtzeit-Quotierung, Online-Buchung, digitalem Dokumentenmanagement und automatischen Status-Updates bis zu 30 % der adminis­trativen Kosten für die Abwicklung ihrer Seefracht zwischen Asien und Europa, lautet das Versprechen.

Ähnlich ging es den Gründern der 2015 gestarteten Sennder, einer weiteren Digitalspedition aus Berlin, die sich auf die Vermittlung von Vollladungen für den Frachtverkehr auf der Straße spezialisiert hat und es wie Forto bei Investoren schon auf eine Bewertung von mehr als 1 Mrd. Dollar gebracht hat. „Als wir in Sennder investiert haben, hatten sie gerade noch einmal mehrere neue Faxgeräte aufgestellt“, erinnert sich Christoph Schuh, Partner bei der Venture-Capital-Gesellschaft Lakestar. Wer mit der Logistikbranche ins Geschäft kommen will, muss den Kunden halt auch als Tech-Start-up erst einmal dort abholen, wo er steht – und das ist häufig immer noch neben dem Faxgerät. Wer sich stattdessen für das Mobiltelefon, ein bisschen Telematik und die digitale Plattform von Sennder zur Vermittlung von Frächtern und Versendern entscheidet, spart Geld und Emissionen, verspricht das Unternehmen.

Digitaler Nachholbedarf

„Es ist eine Industrie, die im Zyklus der Digitalisierung hintendran ist“, sagt Ludwig Hausmann, Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey, der sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Logistiksektor beschäftigt. Nicht nur für Forto und Sennder gibt es deshalb viel zu tun. „Da sind noch so viele Ineffizienzen im System, da kann man noch viel schaffen“, sagt der Logistik-Experte zu den Aussichten für junge Firmen, die den Kampf gegen Faxgeräte, Papierstapel und Excel-Tabellen in der Logistik aufnehmen wollen.

Spätestens die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Schwierigkeiten in den Lieferketten haben die Logistik in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt und auch die Investoren auf den Plan gerufen. „Logistik ist eine der größten Indus­trien der Welt und das Rückgrat jeder Industrie, aber mit Blick auf Software- und Technologie-Investitionen total unterfinanziert“, sagt Lakestar-Partner Schuh. Vor allem Europa, mit globalen Akteuren wie Schenker, DHL, Kühne + Nagel oder DSV laut Hausmann so etwas wie das „Epizentrum“ der Logistik, hat erst spät Fahrt aufgenommen. Im vergangenen Jahr verdoppelte sich das Volumen der Finanzierungsrunden von Start-ups aus dem Sektor nach Angaben des Informationsdienstes Crunchbase weltweit auf knapp 25 Mrd. Dollar (siehe Grafik). Auf Europa entfielen davon laut Crunchbase allerdings nur 8 %, während der Anteil Europas an Venture-Aktivitäten sektorübergreifend bei 16 % lag.

Mit der Größenordnung der Investitionen hat sich zuletzt auch der Fokus verändert. „Vor der Pandemie ging das Funding insbesondere in B2C-Geschäfte, also verbrauchernahe Dienstleistungen auf der letzten Meile wie den Lebensmittellieferanten Hellofresh. Seit Ausbruch der Pandemie und der folgenden Ratenexplosion ging es verstärkt in Start-ups aus der Fracht- und Handelslogistik, wo es zuvor kaum Funding gegeben hat“, beobachtet Hausmann. In die letztere Kategorie gehören unter anderen auch Forto und Sennder, die zusammen schon fast 1 Mrd. Dollar von Investoren erhalten haben.

Erschwerte Bedingungen

Die Finanzierungsbedingungen sind seit dem Boom im vergangenen Jahr allerdings auch für Logistik-Start-ups schwieriger geworden. „Inflation hoch, Zinsen hoch, Funding weg, das gilt auch für die Logistik-Start-ups“, bringt es McKinsey-Partner Hausmann auf den Punkt. Forto sammelte im Frühjahr trotzdem noch einmal 200 Mill. Dollar ein und hatte Glück, dass die Finanzierungsrunde beim Notar einen Tag vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine festgezurrt wurde. „Unternehmen mit einem funktionierenden Geschäftsmodell haben weiter Zugang zu Kapital“, beobachtet Sennder-Gründer David Nothacker.

Das Geschäft bei Sennder laufe derzeit sogar besser als erwartet, weil der Mangel an Lkw-Fahrern in Europa durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft wurde und die Vermittlung zwischen Frächtern und Versendern über die Sennder-Plattform stark nachgefragt sei. Auch vor einer Rezession ist Nothacker deshalb nicht bange. „Corona hat gezeigt, dass Logistik das Rückgrat der Wirtschaft ist“, sagt der CEO. Trotzdem fokussiert sich auch Sennder im aktuellen Umfeld darauf, den Weg in Richtung Profitabilität abzukürzen. Entsprechend vorsichtiger ist die Firma derzeit bei Investitionen und mit Blick auf M&A-Gelegenheiten unterwegs, die diesen Weg eher verlängern würden. Dennoch stellt Sennder weiter Entwickler, Produktmanager und Datenanalysten ein, um die Technologie und das Produkt voranzubringen.

Die Aussichten für Logistik-Start-ups, die es über die Finanzierungsflaute schaffen und auch mit der sich abzeichnenden Rezession klarkommen, sind gut. „Das Potenzial ist aufgrund der Größe der Logistik, wegen der Vielfältigkeit der Geschäftsmodelle und des geringen Grads der Digitalisierung immer noch sehr groß“, sagt McKinsey-Experte Hausmann. „Wir glauben, dass statt der existierenden Daten-Silos in der Logistik heute in den nächsten fünf bis zehn Jahren Logistik zu einem vernetzten System wird, das für alle Stakeholder transparent ist“, sagt Lakestar-Partner Christoph Schuh zu der Investmentthese des Risikokapitalgebers für den Sektor.

Bewertungen unter Druck

Die Bewertungskorrektur betreffe auch Logistik-Start-ups, räumt Schuh ein, kann ihr aber auch Positives abgewinnen. „Hier trennt sich nun die Spreu vom Weizen und wir sind sehr positiv gestimmt, was das Investoreninteresse für europäische Champions wie Sennder anbelangt“, sagt der Investor. Die jüngsten Finanzierungsschwierigkeiten von Start-ups wie dem Berliner Expresslieferdienst Gorillas auf der letzten Meile zum Verbraucher führt Schuh auch darauf zurück, dass kapitalintensive Geschäftsmodelle, wo noch kein klarer Champion sichtbar ist, sich im aktuellen Umfeld schwerer tun.

Auch Hausmann sieht vergleichsweise wenig kapitalintensive Ge­schäftsmodelle unter Logistik-Start-ups derzeit klar im Vorteil. Bei Unternehmen wie Forto oder Sennder fließe das Geld vor allem in die Weiterentwicklung der Technologie, Assets wie Lkw, Schiffe oder Flugzeuge stünden bei den Nutzern der Plattformen in der Bilanz. Geschäftsmodelle wie Gorillas oder andere Logistiknetzwerke seien ungleich kapitalintensiver, besonders wenn sie den Komfort für den Kunden so weit in den Vordergrund rückten, dass sie Lieferzeiten unter zehn Minuten versprechen. „Wir haben das auch schon einmal Venture-funded Meals ge­nannt“, sagt Hausmann mit Blick auf den Cash Burn solcher Konzepte. „Wenn das Geld von den Risikokapitalgebern dann nicht mehr fließt, wird es schwierig.“

Evolution statt Disruption

Dass Logistik-Start-ups wie Forto oder Sennder demnächst nicht nur dem Faxgerät, sondern auch globalen Spielern wie Schenker, DHL, Kühne + Nagel oder DSV das Wasser abgraben, glaubt Hausmann nicht. „Logistik ist so groß und kompliziert, es gibt Millionen Versender und Hunderttausende Frächter, das ist nicht so leicht zu disruptieren wie die Internetsuche“, sagt der McKinsey-Partner. Start-ups seien wichtige Treiber für die Digitalisierung in dem Sektor und könnten in Teilmärkten sehr erfolgreich sein. „Aber diese Welt ändert sich nicht von heute auf morgen, das ist eine Evolution.“

Mit einer signifikanten Zunahme der M&A-Aktivitäten von Strategen, die die Bewertungskorrektur für den Zukauf von digitalen Herausforderern nutzen könnten, rechnet der Logistik-Experte nicht. Der Mindset in der klassischen Logistik sei ganz auf das Management von Kosten fokussiert, Geschäftsmodelle mit starkem Wachstum und hohen Verlusten seien da schwer zu integrieren. Auch die meisten Versuche der großen Spieler, mit Inkubatoren oder Corporate Venture Capital in der Start-up-Szene voranzukommen, seien deshalb gescheitert. Chancen für die etablierten Spieler mit Blick auf ihre Digitalisierungspläne sieht Hausmann vor allem in Kooperationen mit Start-ups. Die nächsten Monate dürften außerdem Gelegenheiten bieten, Talente von Start-ups abzuwerben, die in der Krise in Schwierigkeiten geraten.

David Nothacker kennt die Mentalitätsunterschiede zwischen den etablierten Größen und den digitalen Herausforderern aus eigener Erfahrung. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos habe ein führender Manager von einem der globalen Spieler das Angebot zum Gespräch mit dem Sennder-Gründer ausgeschlagen. „Einige traditionelle Speditionen wissen noch nicht, wie sie mit Digitalspeditionen umgehen sollen“, sagt Nothacker. „Dabei ist der Dialog in der Branche wichtig.“ Vielleicht ist auch einfach das Fax mit der Terminbestätigung für Davos auf dem Weg zu Sennder verloren gegangen.

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