Rheinmetall-Chef Papperger: „Der konventionelle Krieg ist zurück“
Im Interview: Armin Papperger
„Der konventionelle Krieg ist zurück“
In der Ukraine ist der Frontverlauf entlang des Flusses Dnjepr eingefroren. Die Gegner haben sich jeweils gegenüber eingegraben und beschießen sich. Dabei kommen viel Artilleriemunition und Panzer von Rheinmetall zum Einsatz. Russland hat den Konzern und insbesondere CEO Armin Papperger zum legitimen Ziel erklärt.
Herr Papperger, der Kurs von Rheinmetall hat gerade erst wieder ein Allzeithoch erklommen. Nach Umsatz ist Rheinmetall auf Platz 26 der weltweit größten Rüstungskonzerne. Die Marktkapitalisierung hat sich 2024 verdoppelt und liegt mit 26,7 Mrd. Euro höher als die von Vonovia. Ist da überhaupt noch Luft nach oben?
Da ist noch gewaltige Luft nach oben, weil wir ja noch bei weitem nicht die volle Produktionskapazität haben. Und wenn Sie mal sehen, alleine von der Munitionsseite her ist es so, dass Litauen jetzt noch dazu kommt, dass die Ukraine dazukommt und zusätzlich das Werk Niedersachsen mit dem Raketen-Motorenwerk und dem Artilleriewerk. Und wenn wir wie geplant bis zum Jahr 2027 bis auf 20 Mrd. Euro Umsatz hochwachsen, ist es auch machbar, das Ergebnis bis zu diesem Zeitpunkt zu verdoppeln. Sonst würden die Multiples auch nicht mehr stimmen. Deswegen gehen wir davon aus, dass wir noch erhebliches Kurspotential haben.
Die Bundesregierung wollte, dass Rheinmetall die Federführung beim neuen europäischen Kampfpanzer gemeinsam mit dem deutsch-französischen Joint Venture KNDS übernimmt. Was ist aus diesen Plänen geworden?
Wir haben das gemacht. Rheinmetall und KNDS sind die Partner, die den Panzer bauen. KNDS besteht aus KNDS Frankreich, also der staatlichen französischen Firma Nexter, und KNDS Germany, der ehemaligen KMW, und jetzt ist als vierter Partner auch Thales dazugekommen. Wir sind beim Main Ground Combat System leider nicht so schnell, wie wir uns das alle wünschen. Ehrlich gesagt sind wir relativ langsam. In den letzten fünf Jahren ist relativ wenig passiert. Wir könnten schneller sein, und deswegen haben wir ein Interimsprogramm aufgelegt mit dem Rheinmetall-Kampfpanzer Panther. Und wenn das MGCS dann hoffentlich im Jahr 2040 fertig ist, wird Rheinmetall auch einen essenziellen Anteil daran haben.
Soll der Panther den Leopard ersetzen?
Na gut, die Italiener haben sich für den Panther entschieden und der Grund, warum sie sich für den Panther entschieden haben, ist - das ist die Aussage der Italiener-, weil er technologisch insbesondere hinsichtlich der Digitalisierungsfähigkeit weiter ist als der Leopard, der in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgelegt wurde. Wir freuen uns natürlich über einen so großen Kunden wie Italien mit einem so großen Auftrag. In Summe sind ja Infantry Fighting Vehicle (Schützenpanzer), die Kampfpanzer und die Unterstützungsfahrzeuge für Italien 23 Mrd. Euro wert.
Es verdichten sich die Anzeichen dafür, dass eine Allianz der willigen europäischen Staaten einen Rüstungsfonds von 500 Mrd. Euro starten will. Der soll mit gemeinsam begebenen Anleihen gefüllt werden. Können Sie absehen, was das für Rheinmetall bedeutet?
Wir sind einer der großen Player in Europa, und ich befürworte einen solchen Fonds - auch weil wir mehr Gemeinsamkeit der europäischen Staaten brauchen. Ich gehe davon aus, dass das ein weiteres erhebliches Potenzial für Rheinmetall ergibt. Es ist zusätzliches Kapital, was investiert wird in die Sicherheit Europas. Rheinmetall wird sicherlich einen sehr vernünftigen Anteil von diesem zusätzlichen Kapital als Aufträge bekommen.
Kann Rheinmetall in den USA den Rivalen General Dynamics im Wettbewerb um die Nachfolge für den Schützenpanzer Bradley schlagen?
Das glauben wir. Sonst würden wir gar nicht antreten. Aber die Zeit wird es zeigen - der Kunde entscheidet. Wir sind im Augenblick sehr gut unterwegs. Wir haben eine sehr gute Technologie in den USA und beim ausgeschriebenen Schützenpanzer XM30 die richtigen Schritte gemacht. In die Übernahme des US-Fahrzeugspezialisten Loc Performance haben wir etwa 1 Mrd. Dollar investiert, um Operational Readiness zu dokumentieren. Die Akquisition bringt uns zusätzlich 1.000 qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir müssen produzieren können in den USA, und das können wir jetzt. Durch die Akquisition haben wir vier weitere große Werke in den Vereinigten Staaten. Das größte Werk hat 80.000 Quadratmeter Produktionsfläche.
Wollen Sie sich den US-Markt durch Akquisitionen erschließen?
In den USA muss man investieren. Man kann nicht von Europa aus die USA bedienen. Wir müssen fertigen in den USA, und dazu sind wir nun in der Lage.
Natürlich kann ich mir eine weitere Akquisition in den USA vorstellen.
Sie haben gerade Loc gekauft. Können Sie sich da noch mehr vorstellen?
Natürlich kann ich mir eine weitere Akquisition in den USA vorstellen. Wir haben auch mehr im Visier. Aber wir reden erst darüber, wenn wir so weit sind.
Kann das Joint Venture mit dem italienischen Rüstungskonzern Leonardo, das in La Spezia produziert und in Rom ansässig ist, der Nukleus für eine größere Konsolidierung in der europäischen Rüstungsindustrie werden?
Es ist auf alle Fälle schon mal ein großer Nukleus zusätzlich für die Konsolidierung bei Landsystemen - also Panzern. Es soll ja nicht nur der italienische Markt sein, sondern auch Exportmärkte, die wir von Italien aus bedienen wollen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Joint Venture zwischen Rheinmetall und Leonardo erfolgreich sein wird und ein Potenzial hat, in den nächsten zehn Jahren bis zu 50 Mrd. Euro Auftragseingang zu holen. Das ist keine kleine Zahl.
Carlyle hat sich bei Thyssenkrupp Marine Systems gerade abgewendet. Sind Sie an der Kriegsschiffsparte interessiert?
Wir schauen uns das sicherlich an, aber wir haben keine Entscheidung getroffen. Es müsste in unser Businessmodell passen. Und es muss sich natürlich nachhaltig irgendwann in unser Technologieportfolio und auch Profitabilitätsniveaueinfügen. Das müsste vorher alles genau geprüft werden. Aber so weit sind wir nicht.
Gibt es da Synergien?
Es sind sicherlich Synergien da, aber die sind weitaus kleiner als diejenigen, die wir beim Zukauf des spanischen Munitionsherstellers Expal oder des US-Fahrzeugspezialisten Loc Performance erzielen.
Wenn in Russland ein Auftrag rausgegeben wird: „produziere 10.000 Panzer“, dann ist das keine Manufaktur. Und wenn in Deutschland der Auftrag rausgegeben wird, produziere 115 Panzer, dann ist das Manufaktur.
Russland lässt täglich viele billige Kampfpanzer vom Band laufen. In Europa gibt es sieben verschiedene teure Kampfpanzer. Wie wollen Sie von Manufaktur auf Massenproduktion umschalten? Was können Sie von der Autoindustrie lernen?
So viele verschiedene Panzer sind es gar nicht. Bei den Kampfpanzern ist der Leopard der Standardpanzer in Europa. Dann gibt es einen kleinen Kreis von Challenger und einen ganz kleinen Kreis von Leclercs und den Rest. Und dann gibt es einen Ableger in Italien, der heißt Ariete, aber das sind alles relativ kleine Stückzahlen. Der Rest ist Osteuropa. Das sind die alten russischen Panzer, die kann man da nicht mitzählen. Israel spielt mit dem Merkava eine Sonderrolle. Also wenn Sie das ganz ernst nehmen, gibt es eigentlich drei Hauptpanzer und von diesen Ableger. Da sagt man immer, die Amerikaner haben nur einen. Das ist ja ganz klar – ein Panzermodell für eine Armee, die US-Army. In Deutschland gibt es ja auch nicht zwei unterschiedliche Kampfpanzer. Nur die USA sind halt etwas größer als Deutschland. Und Europa verkaufen wir immer als die Vereinigten Staaten von Europa. Die sind wir aber nicht. Das ist halt ein Riesenunterschied, ob man ein Bundesstaat ist wie die USA oder ein Staatenverbund wie die EU. Das merken wir tagtäglich, dass wir nicht so entscheiden können, wie der US-Präsident das tut.
Trotzdem gibt es viele Leute, die sagen, das sei in Westeuropa Manufaktur und in Russland Massenproduktion. Man müsste hier auch zu dieser schnellen, etwas billigeren, standardisierten Massenproduktion kommen.
Das können wir natürlich machen, aber es gibt keiner die Aufträge. Wenn in Russland ein Auftrag rausgegeben wird: „produziere 10.000 Panzer“, dann ist das keine Manufaktur. Und wenn in Deutschland der Auftrag rausgegeben wird, produziere 115 Panzer, dann ist das Manufaktur.
Im Falle des größeren Auftrags könnten sie so agieren wie in der Autoindustrie?
Die Autoindustrie hat ja noch ganz andere Stückzahlen. Aber ich will Ihnen mal ein Beispiel von den Militärtrucks geben, die wir produzieren. In Wien haben wir eine Kapazität von 4.000 Trucks pro Jahr, Militärtrucks, nicht Straßenroller, wirklich militärische Fahrzeuge. Und wenn Sie durchs Werk laufen, sehen Sie eine Produktion, die einer Automobilproduktion sehr ähnlich ist. Wenn Sie sich natürlich eine Panzerproduktion ansehen, wo wir vielleicht 70 oder 100 pro Jahr produzieren, dann können Sie da kein Band aufbauen oder Roboter. Das ergibt keinen Sinn, denn die Investitionssumme ist viel zu groß im Vergleich zu dem, was rauskommt. Also bräuchten Sie tatsächlich so große Aufträge wie in Russland, dann können wir auch diese Werke ausbauen. Bei der Munition haben wir es ja gezeigt. Bei der Munition sind wir von 70.000 Schuss auf jetzt 700.000 und dann auf bald 1,4 Millionen hochgewachsen. Das ist eine vollautomatische Fertigung. Und wenn Sie nächstes Jahr unser neues Munitionswerk in Niedersachsen in Unterlüß ansehen, dann werden Sie sehen, dass da mit recht wenigen Menschen rund 1 Mrd. Euro Umsatz gemacht wird. Das ist vielleicht besser automatisiert, als viele Automobilhersteller das gemacht haben.
Es ist Wunschdenken, wenn die Politik sagt: „Ihr müsst eine Serienfertigung machen“. Ich sage immer nur: „Dann beauftragt, dann machen wir eine Serienfertigung.“
Die Massenfertigung ist also einfach abhängig von der Größe der Aufträge?
Warum sollten wir es denn in der Autoindustrie können und in der Rüstung nicht? Das ist einfach eine Frage der Aufträge. Es ist Wunschdenken, wenn die Politik sagt: „Ihr müsst eine Serienfertigung machen“. Ich sage immer nur: „Dann beauftragt, dann machen wir eine Serienfertigung.“
Rheinmetall baut bis 2026 eine neue Munitionsfabrik für 155-Millimeter-Artilleriemunition in Litauen. Gibt es darüber hinaus noch Expansionspläne für die Artillerie?
Wir bauen Artillerieproduktion auf in Litauen, wir bauen auf in der Ukraine, wir bauen auf in Deutschland. Wir verdoppeln die Pulverproduktion in Bayern, wir verdoppeln die Pulverproduktion, aber auch die Artillerieproduktion in unseren sechs Werken in Spanien. Und wir planen eine Pulverproduktion in Rumänien. Das heißt, wir haben parallel sechs, sieben Projekte, die wir im Augenblick aufbauen und wo wir Investitionen tätigen.
Was müsste die neue EU Kommission tun, um die europäische Rüstung effizienter zu machen?
Wenn Sie es schaffen, größere Aufträge zu vergeben, so dass wir einen Skalierungseffekt haben, dann wäre das sehr positiv. Dafür braucht man die Möglichkeit, in der EU über das Budget zu entscheiden. Und das kann nicht so sein wie bei den 1 Million Schuss. Sie erinnern sich, dass die EU gesagt hat, eine Million Schuss Artillerie liefern wir, aber von der EU wurde im Grunde genommen fast nichts beauftragt, sondern man hat dann gesagt, die Länder müssen beauftragen. Dann hilft es nichts, wenn man nur eine koordinierende, aber keine monetäre Macht hat.
Denken Sie, der europäische Rüstungsfonds kommt bald?
Der 500-Milliarden-Fonds muss finanziert sein. Wer bezahlt die Rechnung über 500 Mrd. Euro? Das ist das große Fragezeichen. Eine Bundesrepublik Deutschland gibt jetzt 2% des BIP für Verteidigung aus. Wenn Deutschland 25% des 500-Milliarden-Fonds übernimmt, dann müssten noch mal 125 Mrd. Euro von Deutschland reingegeben werden. Das Geld muss ja da sein. Oder man macht Schulden. Aber für die Schulden muss jemand geradestehen. Es gibt da noch eine ganze Menge zu regeln. Diese eine Million Schuss Artillerie waren nur eine tolle Ankündigung.
Dann muss in Deutschland erstmal die Schuldenbremse weg. Oder man müsste umschichten im Haushalt.
Deutschland bezahlt das nicht allein. Was machen die anderen Länder, die schon mit 140% des BIP verschuldet sind?
Wir stellen ungefähr 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pro Jahr ein.
Anders als viele andere deutsche Industriebetriebe können Sie Beschäftigung aufbauen. Wie viele neue Arbeitsplätze wird Rheinmetall 2025 in Deutschland schaffen?
Wir stellen ungefähr 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pro Jahr ein, und zwar über die letzten drei Jahre. Das sind etwa 18.000 neue Menschen, die bei uns arbeiten und hochmotiviert sind. Davon etwa zwei Drittel in Deutschland. Wir haben rund 200.000 Bewerbungen pro Jahr, so dass wir uns sehr gute Leute aussuchen können.
Angeblich haben amerikanische Geheimdienste einen russischen Anschlag auf Sie vereitelt. Fürchten Sie um Ihr Leben?
Ich fühle mich sehr sicher. Die Bundesrepublik Deutschland und das Land NRW sind in dieser Hinsicht sehr aktiv und ich bin sehr zufrieden mit dem, was gemacht wird - für die Sicherheit von Rheinmetall und auch für meine persönliche.
Sie fühlen sich gut geschützt. Fühlen Sie sich stark bedroht?
Bedrohungen hatte ich immer schon. Die sind natürlich aufgrund des Krieges jetzt noch größer geworden. Wer in diesem Geschäft arbeitet, darf nicht dünnhäutig sein. Das ist so!
Ist das schon immer so gewesen?
Das war schon immer so. Auch vor sechs Jahren standen Leute mit Totenkopfmaske bei mir vor dem Büro, haben da mit der Sense rumgefuchtelt und gesagt, dass wir das Falsche tun, dass wir die Welt überhaupt nicht verstehen würden. Nur jetzt sieht man halt, was in der Ukraine passiert, und dass unser Geschäft sehr wichtig ist. Wenn Sie Demokratie und Freiheit nicht verteidigen können, dann haben sie ein Problem. Die Ukraine würde heute ohne Waffen nicht mehr bestehen.
Die Nato warnt die USA, geführt von Präsident Trump, vor einem für die Ukraine unvorteilhaften Friedensschluss mit Russland. Wann und wie wird Ihrer Einschätzung nach dieser Krieg enden?
Ich weiß es nicht. Keiner kann das, glaube ich, sagen. Ich glaube, dass der neue US-Präsident versucht, den Krieg zu beenden. Ob es ihm gelingt, weiß ich nicht, aber es hängt sicherlich von mehreren Parteien ab. USA, Europa, Ukraine und Russland. China wird zumindest mitreden.
Das ist die politische Seite. Daneben gibt es den militärischen Verlauf des Krieges. Was denken Sie von dieser Seite, wie der Krieg enden könnte?
Ich glaube, dass man am Anfang einen Fehler gemacht hat. In den ersten sechs oder zehn Monaten hätte man der Ukraine weitaus mehr Unterstützung geben müssen. Man hat ja gesehen, dass man die Nordflanke, die Richtung Kiew ging, hat zurückdrängen können. Dann hätte man sicherlich auch Russland Paroli bieten können. Jetzt haben beide sich eingegraben, teils am Dnjepr, und das ist schwierig aufzulösen. Solange der Westen, also die USA und Europa, die Ukraine unterstützt, kann sie sich verteidigen. Eigenständig verteidigen wird sie sich nicht können, weil die Produktion von Waffen in der Ukraine weitaus weniger ist als das, was es in Russland gibt.
Ist eine Munitionsfabrik in Litauen nicht riskant, weil russische Flugzeuge vielleicht über die Grenze fliegen und die Munitionsfabrik bombardieren?
Wenn Litauen bombardiert wird, dann hätten wir Artikel 5 des Nato-Vertrages. Wir tätigen dieses Investment gemeinsam mit dem litauischen Staat, so dass das Risiko für Rheinmetall begrenzt ist. Aber das Baltikum selber möchte ja auch eigene Kapazitäten haben und nicht angewiesen sein auf Lieferungen der Verbündeten.
Sie gehen das Risiko bewusst ein.
Die russischen Raketen würden auch nach Rumänien reichen. Glauben Sie, dass die deutschen Standorte sicher sind? Die russischen Raketen können auch Deutschland erreichen. Was bedeutet das dann? Das ist immer das Gleiche. Immer! Dann träte Artikel 5 in Kraft.
Was ist zentral, um die Verteidigungsfähigkeit der Nato gegenüber Russland ohne die USA zu stärken?
Die Europäer werden sicherlich mehr investieren müssen, und die Diskussion, die es heute gibt um 2% des BIP für Rüstung, wird wahrscheinlich durch Präsident Trump Richtung 3% verschoben werden von der Investmentseite her. Europäische Staaten werden sich umstellen müssen, weil einfach viel mehr Geld für die Sicherheit ausgegeben werden muss. Aber wenn Sie das vergleichen, dass die Amerikaner ungefähr 3,5% ausgeben für ihren Militärbereich, und die sollen uns schützen, dann verstehe ich den Präsidenten, dass er sagt: „Bezahlt eure Rechnungen selber.“ Und das ist ja die Diskussion, dass er sagt: „Nato schön und gut, aber ich werde aus der Nato austreten, wenn ihr eure Rechnungen nicht bezahlt.“ Und da sind welche, die haben nur 1 % ausgegeben, also haben die quasi nur die Personalkosten bezahlt, dass sie Soldaten haben, aber eigentlich nichts für Innovation und nichts für den für den Aufbau der Wehrfähigkeit Europas getan. Und wenn es dann einen Artikel 5 Fall geben würde, wird sofort nach den USA gerufen: „Bitte helft uns!“ Das wird nicht mehr funktionieren.
Und wenn man das bestehende Budget besser einsetzen sollte, was würden Sie dann vorschlagen?
Erstmal muss man einen Deal mit den USA machen. Die USA und Europa müssen vernünftig abgestimmt sein. Das Land mit der größten finanziellen Power in Europa ist Deutschland. Wenn Sie das heute ausrechnen, dann wissen Sie, dass die 2% irgendwo zwischen 80 und 85 Mrd. Euro sein werden und dass eben fast 120 Mrd. Euro die 3% sein sollen. Wenn Sie sehen, dass wir heute bei 51 Mrd. Euro sind, fehlt uns hier sehr, sehr viel Geld. Letzten Endes muss es entweder Umschichtungen geben, was schwierig sein wird, weil natürlich der soziale Friede in Deutschland auch gehalten werden muss. Oder man muss etwas mit einem Sonderbudget oder mit der Schuldenbremse machen. Das ist eine politische Entscheidung. Das Positive im Augenblick ist, dass die Kompetenz, Munition, aber auch Fahrzeuge in Europa, Flugabwehrsysteme oder elektronische Systeme zu liefern, sehr stark bei uns liegt. Das ist der Punkt, warum wir den Sweet Spot im Augenblick haben und so stark wachsen. Wir sind mit 40% Umsatzplus das am stärksten wachsende größere Defence-Unternehmen. Im nächsten Jahr wird das Wachstum um die 30% liegen. Wir haben die Kapazitäten in den letzten sechs Jahren aufgebaut und sind also in der Lage zu liefern.
Sie haben eine Partnerschaft mit dem Münchener KI-Drohnen-Start-up Helsing und mit der US-Drohnen-Softwarefirma Auterion. Worum geht es?
Wir haben keine Partnerschaft mit Helsing, sondern ein Memorandum of Understanding. Solche Drohnen, wie sie Helsing in Präsentationen plant, produzieren wir aus dem eigenen Konzern, und die sind in der Ukraine längst im Einsatz. Jeder Investor muss wissen, wo er investiert und wer was wert ist.
Und mit Auterion wollen Sie ein Betriebssystem für Drohnen entwickeln?
Ja. Wir haben unsere Betriebssysteme, aber wir wollen aus beiden Welten das Beste nehmen. Ab und zu integrieren wir Technologien anderer, die fertig entwickelt sind, in unseren Systemen.
Wie verändert sich für Rheinmetall das Geschäft in den USA durch den Amtsantritt von Präsident Trump?
Ich glaube, dass Präsident Trump Europa zwingen wird, mehr zu investieren. Ich glaube, dass er Tag für Tag Europa klarmachen wird, dass der Schutz der Nato nicht umsonst sein wird. Und ich kann mir vorstellen, dass er auf die deutsche Politik doch erheblichen Druck ausüben wird, um mehr zu investieren. Und das schadet unserem Geschäft sicherlich nicht.
Wenn es zu einem Frieden kommt in der Ukraine, nimmt dann dann auch der Bedarf an Rüstung ab?
Das glaube ich nicht, weil die Läger leer sind. Im Augenblick wird jeder Schuss Munition und jeder Panzer, den wir fertigen, sofort benötigt. Durch den Krieg ist sehr viel Material zerstört worden. Zudem wird Munition sofort verschossen. Gemäß eigenen Vorgaben brauchen die Nato-Streitkräfte Munitionsvorräte für mindestens 30 Kampftage, man diskutiert über eine Aufstockung dieses Grundreservebedarfs auf 60 Kampftage. Es fehlt allein eine zweistellige Millionenzahl an Artilleriemunition, der benötigt wird, um in die leeren Läger gelegt zu werden.
Wie verläuft der Krieg in der Ukraine zurzeit?
In den letzten 25 Jahren hat man uns immer gesagt, im Krieg wird man taktische Nuklearwaffen einsetzen. Aber Russland ist die größte Nuklearmacht der Welt und tut es nicht. Warum tun sie es nicht? Ganz einfach, weil man eben diese Landstriche, wo das eingesetzt werden würde, vernichtet. Und der zweite Punkt: Man würde zum Paria werden, wenn man das macht. Deswegen ist der konventionelle Krieg zurück. Russland ist besser vorbereitet als der Westen, und daraus müssen wir lernen. Wir müssen uns für einen konventionellen Krieg vorbereiten. Dafür braucht man Soldaten und Material, aber vor allen Dingen braucht man Munition. Das wurde total unterschätzt. Jetzt haben wir einen Stellungskrieg und die beharken sich, indem sie täglich tausende Geschosse aufeinander schießen. Das ist ein Stellungskrieg, quasi wie im Ersten Weltkrieg. Das geht immer 200 Meter nach vorne, 200 Meter nach hinten. Das ist ein Ermüdungskrieg, den wir da mit Schrecken verfolgen. Und den Ermüdungskrieg kann die Ukraine nur gewinnen, wenn der Westen weiterhilft. Ohne diesen Beistand ist die Ukraine verloren.
Das Interview führte Christoph Ruhkamp.
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