Schwierige Ausgangslage für neuen VW-China-Chef
Von Carsten Steevens, Hamburg
Seit 1. August ist Ralf Brandstätter im Volkswagen-Konzernvorstand für das Ressort „China“ zuständig. Der 53-Jährige, zuvor Chef der Kernmarke Volkswagen Pkw, soll dafür sorgen, dass der größte Autobauer Europas im größten Automarkt der Welt wie bei den Verbrennern auch im Segment der vollelektrischen Autos zum führenden Anbieter wird. Bis 2030, so lautet die Vorgabe. Die Ausgangslage ist schwierig – schon wegen der zuletzt gewachsenen Kriegsangst um Taiwan, die Warnungen vor einer zu großen Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China lauter werden lässt.
Ein Konflikt hätte erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, warnt VW auf Anfrage. Daher appelliere man an alle Parteien, zu einem diplomatischen Austausch zurückzukehren. „Wir glauben, dass wirtschaftliche Kooperation und Integration im beiderseitigen Interesse von Deutschland und China ist und bleibt“, so das Unternehmen, bei dem in der Vergangenheit fast 40% des weltweiten Absatzes pro Jahr und rund die Hälfte des Gewinns auf China entfielen. Volkswagen bekenne sich zu ihrer Präsenz in China, gleichzeitig werde man die Präsenz in anderen Märkten verstärken.
Brandstätter ist in Peking angetreten, nachdem Volkswagen in den Jahren der Corona-Pandemie sukzessive rückläufige Auslieferungen in China verbuchte – 2020 um 9,1% auf 3,85 Millionen Fahrzeuge, 2021 um 14,1% auf 3,3 Millionen und im ersten Halbjahr 2022 um 20,5% auf 1,47 Millionen. Die Wolfsburger, im Reich der Mitte seit langem führend im traditionellen Geschäft mit Verbrennern, haben Marktanteile verloren. Und: Das in der Zukunft wichtige Geschäft im Segment der New Energy Vehicles (NEV), der Fahrzeuge mit Batterie- oder Hybridantrieb, ist schleppend angelaufen. Kein Zustand auf Dauer.
Marktbelebung
Nach dem Ende des pandemiebedingten Lockdowns in diesem Frühjahr setzt man bei VW auf die seit Juni zu beobachtende Markterholung in China. Die Belebung des Verbrenner-Marktes wird dabei vor allem durch Steuererleichterungen angetrieben. Derzeit geht der Autobauer davon aus, dass der Höhepunkt der Marktbelebung bei Autos mit Verbrennungsmotoren im vierten Quartal erreicht wird. Ferner dürfte der Effekt auslaufender NEV-Subventionen zum Ende des Jahres die Nachfrage nach E-Fahrzeugen im Schlussabschnitt steigern.
Die Marke Volkswagen, die sich in China vom Halbleiterengpass und von den Covid-Lockdowns in diesem Jahr besonders stark betroffen sieht, da die Schließungen den Metropolen Schanghai und Changchun gegolten hätten, in denen sich die Hauptwerke der beiden großen chinesischen VW-Joint-Ventures befänden, will bis Jahresende bei den Auslieferungen an das Niveau von 2020 (2,85 Millionen) anschließen. Der Gesamtabsatz der vollelektrischen VW-Modelle soll sich im laufenden Turnus verglichen mit 2021 mindestens verdoppeln. Im vergangenen Turnus hatte die Marke 77100 vollelektrische Fahrzeuge in China ausgeliefert, davon gut 70000 aus der ID-Familie. Insgesamt kam der VW-Konzern 2021 in China auf 92700 reine E-Fahrzeuge.
Volkswagen verweist darauf, dass das Segment der vollelektrischen Fahrzeuge in China bislang noch vom Einstiegssegment (Kaufpreis um 5000 Euro) und vom Premiumsegment geprägt sei, die zusammen 60% des Marktes ausmachten. Inzwischen erreiche die E-Mobilität jedoch zunehmend die Mittelschicht, was die Nachfrage im Volumensegment erhöhe. Mit der ID-Familie, vor allem den im vergangenen Jahr eingeführten fünf Modellen, sieht sich der Hersteller „gut aufgestellt“, um von der wachsenden Nachfrage zu profitieren. In der ersten Hälfte dieses Jahres sei auch die Anzahl der ID-Showrooms in China auf rund 230 in über 50 Städten fast verdoppelt worden. Die Anstrengungen spiegelten sich in den NEV-Verkäufen der Volkswagen Group China wider, die von Januar bis Juli 2022 um 69% gestiegen seien, die der vollelektrischen Fahrzeuge um 213%.
Um das Ziel der Marktführerschaft bei E-Fahrzeugen bis 2030 zu erreichen, wurde neben Volkswagen Anhui ein weiteres Joint Venture mit FAW gegründet, um den Bau von vollelektrischen Audi-Modellen auf der Plattform PPE („Premium Platform Electric“) in China zu forcieren. Die lokale Produktion dieses Joint Ventures, an dem Audi und der VW-Konzern 60% der Anteile halten, soll Ende 2024 beginnen. Ab 2024 will der Mehrmarkenkonzern aus Wolfsburg auf eine Produktionskapazität für vollelektrische Fahrzeuge von 1,2 Millionen pro Jahr kommen.
Mit Blick auf die mit dem NEV-Trend in China stark verbundene Smart-Car-Nachfrage betont VW, man habe „einen klaren Plan, um Marktchancen zu nutzen“. So setzt der Autobauer insbesondere im Bereich Software auf lokale Forschung und Entwicklung. Anfang des Jahres sei ein lokales Team der konzerneigenen Softwareeinheit Cariad eingerichtet worden. „In China für China, von China für die Welt“, lautet das Motto. Das lokale Software-Team will VW bis Ende 2023 von aktuell 600 Mitarbeitern verdoppeln.
Schwung will VW zudem mit einer Neuausrichtung des Führungsmodells ihrer lokalen Organisation aufnehmen. Zur Stärkung der Marktposition soll die Region mehr Eigenständigkeit erhalten. Zentrales Element der Neuausrichtung ist künftig ein „China Board“ unter der Leitung von Brandstätter, das markenübergreifend und in Abstimmung mit den chinesischen Joint-Venture-Unternehmen alle wesentlichen Entscheidungen in der Region treffen soll. Zudem ist geplant, technische Ressourcen und Fähigkeiten der Marken stärker zu bündeln, um neue Technologien schneller zu entwickeln.