„Wir brauchen ESG-Standards, die harmonieren“
Herr Lanfermann, in Brüssel und auf globaler Ebene wird unter Hochdruck an Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung gearbeitet. Welche Aufgabe kommt dem deutschen Standardsetzer dabei zu? Ist er in der Rolle des Zuschauers oder steigt er mit in den Ring?
Das DRSC ist die deutsche Stimme im Prozess der europäischen und internationalen Standardsetzung. Wir besitzen die nötigen Strukturen und Netzwerke, um mitgestalten zu können. Unser mit elf Experten besetzter Fachausschuss Nachhaltigkeitsberichterstattung ermöglicht es uns, auf europäischer und internationaler Ebene auf Augenhöhe mitzureden und die umfangreichen Konsultationsverfahren mit hoher Expertise zu begleiten.
Ist das DRSC gleichermaßen beim internationalen Standardsetzer ISSB und dem europäischen Pendant Efrag als Interessenvertreter aktiv, oder konzentrieren Sie sich eher auf die EU-Sichtweise?
Wir sind bei beiden Gremien aktiv. Prägend war die Phase im vergangenen Jahr, als wir die Bewerbung Frankfurts als Standort des ISSB mit aller Kraft unterstützt haben. Das war ein klares Commitment für die sogenannte Global Baseline, die Entwicklung von Mindeststandards für eine weltweite Anwendung. Hier haben wir uns sehr engagiert und sind derzeit bei der Sammlung der deutschen Finanzierungsbeiträge aktiv. Das DRSC unterstützt den ISSB mit Blick auf die europäische Seite, wo es kann.
Wie sieht es mit Ihrer Präsenz bei der europäischen Beratungsgruppe Efrag aus?
Ende vergangenen Jahres haben wir entschieden, auch in die um ESG-Standards erweiterte Efrag-Struktur hineinzugehen. Mit Blick auf die Finanzberichterstattung ist das DRSC als einer der vier großen nationalen Standardsetzer seit Jahren einer der Träger von Efrag – sowohl inhaltlich als auch finanziell. Bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung haben wir frühzeitig Flagge gezeigt. Unser Engagement wurde insoweit gewürdigt, als dass wir derzeit eine Reihe von Schlüsselpositionen bei Efrag besetzen.
Welche sind das?
Unter anderen stellen wir mit Kerstin Lopatta derzeit die kommissarische Vorsitzende des Efrag Sustainability Reporting Board. Dieses Gremium nimmt eine wichtige Rolle ein, als es gegenwärtig die bereits im Entwurf vorliegenden Berichtsstandards im November beschließen muss. Hier können wir derzeit letzte wichtige Weichenstellungen anstoßen.
Vertreter des DRSC nehmen also an Sitzungen von Efrag und ISSB teil?
Bei Efrag sind wir mit eigenen Mitarbeitern und Mitgliedern involviert, die in die EU-Gremien entsandt sind. Beim ISSB gestaltet es sich anders, weil das Board vollständig mit Personen besetzt ist, die dies hauptamtlich tun und nicht von einer Organisation entsandt werden. Wir begrüßen es, dass dort mit der Ernennung von Jenny Bofinger-Schuster eine Vertreterin an Bord ist, die Expertise aus deutschen Unternehmen in die Entwicklung der Standards einbringt.
Das DRSC ist beim ISSB somit vor allem in den Konsultationen aktiv?
Genau, wir bringen hier unsere Fachexpertise ein, um qualitativ hochwertige und global anwendbare Standards zu entwickeln. Grundlegend wird es für uns noch mal Anfang kommenden Jahres, wenn die Agendakonsultation beginnt. Dann wird sich der weitere Arbeitsplan des ISSB abzeichnen. Unser Bestreben ist es, den Ansatz der Global Baseline weiter zu unterstützen. Gleichzeitig wollen wir mit Blick auf Europa die Grundlage schaffen, beide Berichterstattungswelten über Nachhaltigkeit zu vereinbaren. Das ist gesamtwirtschaftlich in deutschem Interesse, denn die Unternehmen sind weltweit tätig. Wir brauchen ESG-Standards, die harmonieren. Das würde allen das Leben erleichtern.
Dann müssten auch die US-Börsenaufsicht SEC und der US-Standardsetzer FASB überzeugt werden?
Richtig. Das ISSB hat Arbeitsgruppen mit den großen Jurisdiktionen gebildet. Dazu zählen die USA, die ja recht spät in das Szenario eingetreten sind. Die SEC ist derzeit sicherlich als Regulator prägend mit ihren Vorschlägen, wie man das Thema Klimaberichterstattung über Angabepflichten in die amerikanische Welt des Reporting verankert. Mit Blick auf die Etablierung der Global Baseline ist es wichtig, die USA frühzeitig in den Prozess zu integrieren.
Wenn man sich an die schwierigen Bemühungen zur Harmonisierung des Financial Reporting mit den USA erinnert, dürfte das nicht ganz einfach sein?
Die Gelegenheit dafür ist günstig, weil das Thema anders als die Finanzberichterstattung nicht über langjährige Traditionen im jeweiligen Rechtssystem verfügt und mit Initiativen wie der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) von Anfang an global adressiert wird. Aus Gesprächen mit Vertretern der SEC habe ich bislang den Eindruck gewonnen, dass es dort zumindest ein offenes Ohr gibt; der Vorteil der Global Baseline wird erkannt. Auch andere bedeutende Länder, etwa Japan, bereiten sich konzeptionell darauf vor.
Gibt es bei aller Globalisierung der Rechnungslegung in den vergangenen Jahren überhaupt noch typisch deutsche Interessen oder typisch deutsche Anliegen an das ESG-Reporting?
Als stark exportorientierte Nation ist das Thema Internationalität für Deutschland besonders wichtig. Weiteres großes Thema ist aber der deutsche Mittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die Regulierung muss auch deren Besonderheiten gerecht werden.
Es liegen erste Standardentwürfe sowohl in Brüssel als auch vom globalen Standardsetzer ISSB vor. Sehen Sie dort deutsche Interessen gleichermaßen umgesetzt, oder gibt es Unterschiede?
Als sich das DRSC für das Engagement bei Efrag entschieden hat, haben wir einen Beipackzettel mitgeliefert in Form von sogenannten kritischen Erfolgsfaktoren. Darin geht es um Dinge wie die Proportionalität von Berichtspflichten, um Machbarkeit und natürlich um die internationale Konvergenz.
Wird das von Efrag beherzigt?
Es gibt noch Diskussionsbedarf, zum Beispiel beim Thema Proportionalität. Aufseiten der Europäischen Kommission hatte man lange kein klares Bild, wie viel Veröffentlichungspflichten man Unternehmen zumuten kann. Hier sind wir aber bei Efrag noch nicht am Ziel. Als DRSC setzen wir uns weiterhin für eine signifikante Kürzung der 137 Angabepflichten mit 600 bis 700 Datenpunkten ein.
Es verwundert also nicht, dass sich viele Emittenten mit Blick auf den Umfang der geplanten EU-Berichtspflichten in den Fängen eines Bürokratiemonsters wähnen?
Aus Sicht eines Unternehmens mit 250 Mitarbeitern und begrenzten Kapazitäten im Rechnungswesen kann ich diese Bedenken durchaus nachvollziehen. Auch größere Einheiten würden nach den bisher vorliegenden Entwürfen überfordert. Dies hat auch die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness erkannt.
Lässt sich die EU-Taxonomie in ihrer Vielfalt überhaupt mit einfachen und schlanken Regeln zur Berichterstattung abbilden?
Man muss meines Erachtens nochmal die Konzeption der Regulierung zur EU-Taxonomie selbst überdenken. Die Schwierigkeit der EU-Taxonomie liegt darin, dass Wirtschaftstätigkeiten atomisiert werden, gleichzeitig aber in den delegierten Rechtsakten nicht alle Wirtschaftstätigkeiten von Unternehmen abgebildet werden. Das macht es für die Unternehmen unmöglich, sich im Rahmen des Klassifikationssystems in der gesamten Breite ihrer Geschäftstätigkeit darzustellen. Sie sind damit nicht in der Lage, ihre Transformation zu mehr Klimaschutz sichtbar zu machen. Der Aussagehalt der erreichten Taxonomiequoten ist damit gering.
Gehen Sie davon aus, dass die Regeln von EU und ISSB am Ende konsistent sein werden – oder zeichnen sich bereits unverrückbare Unterschiede ab?
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verlässlich vorhersehen. Das ISSB hat bisher zwei Standards vorgelegt, der eine dreht sich um allgemeine Angaben der Berichterstattung, der zweite um Klimaberichterstattung. Von EU-Seite gibt es dagegen bereits die ganze Bandbreite an ESG-Themen, was in Brüssel regulatorisch auch verlangt wird. Derzeit wird im intensiven Dialog ein ernsthafter Versuch unternommen, in der Klimaberichterstattung möglichst nahe zueinander zu finden, zumindest was Konzepte und Definitionen anbelangt. Letzteres ist Grundvoraussetzung, damit man die Datenerhebung für die Unternehmen vereinfacht.
Lässt sich absehen, dass die nach IFRS bilanzierenden Unternehmen auch die ISSB-Standards anwenden werden, selbst wenn es dafür keinen regulatorischen Zwang gibt?
Mit Blick auf die Anforderungen der Kapitalmärkte liegt es auf der Hand, dass Unternehmen die ISSB-Standards anwenden werden. Sie können sich den EU-Standards zwar nicht entziehen, die Konzerne brauchen aber auch global eine einheitliche Sprache. Die Kommunikation mit internationalen Investoren ist schließlich entscheidend für die Finanzierung.
Halten Sie eine HGB-Reform mit Blick auf Nachhaltigkeitsberichterstattung für nötig, oder wird das deutsche Handelsgesetzbuch frei von ESG-Aspekten bleiben?
Die CSRD-Richtlinie muss in deutsches Recht umgesetzt werden, was Anpassungen im HGB, aber auch in anderen Gesetzen wie dem Aktienrecht mit sich bringen wird. Hier wird das Bundesjustizministerium entsprechende Entwürfe vorlegen. Im HGB werden zum Beispiel Themen wie der Lagebericht einen stärker europäisch geprägten Rahmen bekommen.
Das DRSC hat eine Kooperation mit dem Rat für Nachhaltige Entwicklung vereinbart, um Unternehmen Orientierung in der Umsetzung der ESG-Berichterstattung zu geben. Woran wird gearbeitet?
Uns geht es insbesondere um kleine und mittelgroße Unternehmen. Diese Gesellschaften unterliegen nicht alle unmittelbar dem europäischen Rahmen, müssen sich aber auch den ESG-Herausforderungen stellen. Sie sind Teil der Wertschöpfungsketten berichtspflichtiger Unternehmen und werden damit verstärkt mit individuellen Informationsanfragen konfrontiert. Selbst für einen einfachen Bankkredit werden solche Daten immer wichtiger.
Wie wollen Sie hier helfen?
Eine gemeinsame KMU-Pilotgruppe soll Lösungen entwickeln, die für kleine und mittelgroße Unternehmen einfach zu bewältigen sind. Diese Erkenntnisse wollen wir nicht nur in den Standardsetzungsprozess auf EU-Ebene einbringen. Auch wäre eine entsprechende Weiterentwicklung des Deutschen Nachhaltigkeitskodex denkbar.
Das Interview führte
Sabine Wadewitz.