China

Xi fordert Loyalität „in schlimmen Zeiten“ ein

Peking wird seine Wachstumsziele in diesem Jahr dramatisch verfehlen - trotz jüngster Erfolgsmeldungen zum 3. Quartal. Auch die zunehmende Isolation des Landes von den Weltmärkten wird die Probleme wohl eher weiter verstärken als zu lindern.

Xi fordert Loyalität „in schlimmen Zeiten“ ein

Chinas Regierung rechnet mit einer deutlichen Erholung der chinesischen Wirtschaft im dritten Quartal. Einen Tag vor der Bekanntgabe der neuen Wachstumszahlen sagte der Chef der mächtigen Reform- und Entwicklungskommission (NDRZ), Zhao Chenxin, auf dem Kongress der Kommunistischen Partei am Montag in Peking: „Die Wirtschaft hat sich im dritten Quartal wirklich erholt.“

Er räumte in diesem Jahr „Schwierigkeiten und Herausforderungen“ sowie „größer als erwartete Schocks“ ein. Es habe wegen des externen Umfelds, der Pandemie, extremen Wetters und anderer unerwarteter Faktoren einige monatliche Schwankungen gegeben, sagte der oberste Wirtschaftslenker. Aber insgesamt sei die zweitgrößte Volkswirtschaft auf dem Kurs der Erholung. Auch zeige sie große Widerstandskraft.

Besonders die Beschränkungen durch die strenge Null-Covid-Strategie Chinas mit Lockdowns, Massentests und Quarantäne bremsen die Wirtschaft. Während der Rest der Welt versucht, mit dem Virus zu leben, hält Chinas Führung daran fest, jeden Ausbruch im Keim zu ersticken. Das Null-Toleranz-Ziel ist durch die neuen Varianten, die sich leichter verbreiten, aber immer schwieriger einzuhalten.

Im zweiten Quartal hatte die Wirtschaft lediglich um 0,4% zugelegt. Experten rechnen im dritten Quartal mit schätzungsweise 3,5%. Die Regierung wird ihr ursprüngliches Wachstumsziel von 5,5% für dieses Jahr denn auch weit verfehlen. Das Statistikamt gibt die neuen Zahlen für das dritte Quartal am Dienstag bekannt.

Die Weltbank rechnet für das ganze Jahr in China nur noch mit 2,8%. Das wäre nach dem ersten Jahr der Pandemie 2020 erst das zweite Mal seit vier Jahrzehnten, dass das Wachstum in China so niedrig ausfällt. „Zum ersten Mal seit 1990 wächst der Rest Asiens schneller als China“, sagte der Vorsitzende der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke. Er verwies darauf, dass andere asiatische Länder „grundverschieden“ mit Covid-19 umgingen und „zurück zur Normalität“ gekommen seien. So soll die Region ohne China laut Weltbank in diesem Jahr insgesamt um 5,3% zulegen.

Grundsatzrede von Xi Jinping

Chinas Präsident Xi Jinping hatte am Sonntag auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei, auf dem er eine dritte Amtszeit anstrebt, das wichtigste politische Konzept der Volksrepublik für die nächsten fünf Jahre vorgelegt. In einer fast zweistündigen Rede erläuterte Xi die Prioritäten der Regierungspartei in allen Bereichen, von Null-Covid über die Ambitionen bezüglich Taiwan bis hin zu technologischen Zielen.

Er rief das Milliardenvolk dazu auf, sich „auf die schlimmsten Fälle vorzubereiten“: „Deswegen richtet euch darauf ein und seid vorbereitet, starken Winden, schwerer See und selbst gefährlichen Stürmen standzuhalten.“

International sah der Parteichef „immense Risiken und Herausforderungen“ sowie „globale Veränderungen, wie sie in einem Jahrhundert nicht gesehen worden sind“. Deshalb sollten die rund 2300 Delegierten loyal seiner Führung folgen, um ein „modernes sozialistisches Land“ zu schaffen. Diese „chinesische Modernisierung“ werde einen Beitrag für die Menschheit leisten.

Die Delegierten werden ein neues Zentralkomitee bestimmen. Das Führungsgremium soll ihm nicht nur eine historische dritte Amtszeit sichern, sondern auch eine lebenslange Führungsrolle – ähnlich wie beim „großen Steuermann“ Mao Tsetung, dessen Alleinherrschaft aber im Chaos endete. Auch wird der Parteitag Xi Jinpings Ideologie tiefer in der Parteiverfassung verankern, damit sie als Leitlinie noch über Jahrzehnte Bestand hat. „Die beständigen Veränderungen werden im Wesentlichen sicherstellen, dass die Partei tun muss, was Xi Jinping sagt“, meinte Nis Grünberg vom China-Institut Merics in Berlin.

In seiner Rede bekräftigte Xi Jinping sein Leitmotiv vom „gemeinsamen Wohlstand“, mit der die Partei größeren Einfluss auf privates Kapital ausübt und eine bessere Einkommensverteilung anstrebt. Seine regulatorischen Eingriffe in Hightech-Konzerne und Privatunternehmen hatten aber nicht nur Investoren verschreckt, sondern auch das Geschäft einbrechen lassen. „Er hat kein Gespür und Sympathie für Märkte“, sagte Richard McGregor vom australischen Lowy Institut. Die „tollpatschigen Interventionen“ seien kostspielig geworden.

Mit seiner Rede enttäuschte Xi Jinping auch Hoffnungen, dass die strikte Null-Covid-Strategie des Landes gelockert werden könnte. Er nannte sie „notwendig“ und sah „ermutigende Errungenschaften“. Während der Rest der Welt versucht, mit dem Virus zu leben, verfolgt China weiter ein Null-Toleranz-Ziel. Die Lockdowns, Massentests, Quarantäne und digitale Kontaktverfolgung haben die zweitgrößte Volkswirtschaft allerdings in eine Wachstumskrise gestürzt.

Drohungen gegen Taiwan

Mitten in den wachsenden Spannungen mit den USA um Taiwan plädierte Xi Jinping für den Ausbau der Volksbefreiungsarmee und drohte mit einem Militäreinsatz gegen die demokratische Inselrepublik. China strebe eine friedliche „Vereinigung“ an, „aber wir werden uns niemals verpflichten, den Einsatz von Gewalt aufzugeben“. Peking betrachtet die Insel nur als Teil der Volksrepublik. Taiwan wies die Drohungen umgehend zurück: „Konfrontation ist definitiv keine Option“, sagte ein Präsidentensprecher in Taipeh. Taiwan sei ein unabhängiges Land.

Der Kongress findet unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt, die noch mal verschärft worden sind, nachdem es einen seltenen Protest eines Mannes an einer Brücke mit einem Banner gegen „Diktator Xi Jinping“ gegeben hatte. Nach Abschluss der einwöchigen Beratungen soll der 69-Jährige im Amt des Generalsekretärs und als Chef der Militärkommission bestätigt werden. Während er sich über bisher respektierte Amtszeitbegrenzungen hinwegsetzt, wird hingegen das Politbüro um ihn herum aus Altersgründen neu besetzt. Der Personalwechsel wird erste Hinweise auf die Regierungsumbildung im März geben, wenn Premier Li Keqiang als Premier abtreten wird.

Bilanz der bisherigen Amtszeit

Nach zehn Jahren Amtszeit von Xi Jinping zogen Beobachter kritisch Bilanz: „Wir haben uns von kollektiver Führung zu Alleinherrschaft entwickelt, von Amtszeitbegrenzungen zu lebenslanger Führung, von Leistung zu Loyalität, von privatem zu staatlichem Sektor, von Reichtum zu gemeinsamem Wohlstand, von Globalisierung zu technischer Eigenständigkeit“, sagte der China-Experte McGregor. Aus Koexistenz zwischen China und den USA sei auch noch „Konfrontation“ geworden.

Der chinesische Politikwissenschaftler Wu Qiang sieht eine wachsende Isolation, indem China seine Grenzen wegen der Null-Covid-Politik abschottet und auf Eigenständigkeit setzt. „Ich glaube, dass 40 Jahre Reform und Öffnung zu einem Ende gekommen sind“, sagte der Dozent, der wegen kritischer Analysen die renommierte Tsinghua-Universität in Peking verlassen musste. „China ist durch Globalisierung sowie Reform und Öffnung stark geworden und hat diese Macht bewahrt, deswegen wird es nicht leicht sein, sich abzukoppeln.“ Aber ideologisch sei die Reform- und Öffnungspolitik längst aufgegeben worden.

Neue Weltordnung angestrebt

Nil Thomas, Analyst bei der Eurasia Group, verweist auf den Bruch mit den Ideen des kapitalistischen Westen. Neu sei „der Zusatz, dass dies durch eine Modernisierung nach chinesischem Vorbild geschehen soll. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Xi seinen eigenen Weg in Richtung Reichtum und Macht geht und sich nicht an den Westen hält.”

Scott Kennedy, Senior Advisor für Chinesische Wirtschaft und Volkswirtschaft am Center for Strategic & International Studies, sieht China auf dem Weg, „eine andere Art von internationalem System zu etablieren als dem von den USA angeführten System, das die freien Märkte und das UN-System, den Multilateralismus und die Demokratie betont.” Kennedy: „Ich glaube, die Chinesen bemühen sich wirklich zu sagen: ‘Wissen Sie was, wir wollen immer noch an dieser globalen Gesellschaft teilhaben, doch wir wollen die Regeln machen und nicht nur die Regeln befolgen.’” Er will die Weltordnung verändern, interpretiert auch Alfred Wu, außerordentlicher Professor an der Lee Kuan Yew School of Public Policy der National University of Singapore. „Der Konflikt zwischen China und den USA wird sich also verschärfen. Ich sehe keine Möglichkeit, die Spannungen abzubauen.”