BCG: KI soll den Zahlungsverkehr retten
KI soll den Zahlungsverkehr retten
BCG erwartet abflachendes Ertragswachstum – Europa und Nordamerika besonders stark betroffen
tl Frankfurt
Der rasante Anstieg von Transaktionen im globalen Zahlungsverkehr elektrisiert seit Jahren die Investoren. Nach Ansicht der Strategieberatung Boston Consulting Group wird das Wachstum in Zukunft jedoch abflachen. Ganz besonders gelte das für Nordamerika und Europa, heißt es im aktuellen Global Payment Report.
Im Jahr 2023 haben Finanzunternehmen demnach weltweit mit Zahlungsverkehrstransaktionen, Gebühren und Zinserträgen aus Girokonten und Kreditkarten 1,8 Bill. Dollar erlöst, nach 1,6 Bill. Dollar im Vorjahr. Mit 12,5% lag der Anstieg damit laut BCG über dem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 9%, den die Branche von 2018 bis 2023 verzeichnet hatte.
Kaum mehr Bargeld
Zentraler Grund dieser Entwicklung ist der in vielen Ländern nahezu abgeschlossene Übergang vom Bargeld auf digitale Zahlungen. So werden in Skandinavien, Großbritannien und den USA inzwischen weniger als 10% des Werts aller Verbrauchertransaktionen mit Cash ausgeführt. Selbst in Deutschland habe sich der entsprechende Anteil in den vergangenen 15 Jahren auf 25% halbiert, zitiert BCG eine Studie der Bundesbank.
Weitere Gründe für das verringerte Erlöswachstum aus Zahlungsverkehrstransaktionen sind verringerte Margen. Sie resultieren aus der deutlich verlangsamten Inflation und niedrigeren Zinsen, aber auch aus den Belastungen infolge der immer strengeren Regulierung, wie es in der BCG-Studie heißt.
Marktplayer sind unterschiedlich erfolgreich
Allerdings sind die Aussichten für die verschiedenen Akteure des Zahlungsverkehrs durchaus unterschiedlich. Große Kreditkartenanbieter wie Visa und Mastercard schnitten laut BCG-Report seit 2014 mit einer durchschnittlichen Gesamtrendite für Aktionäre (Total Shareholder Return TSR) von jährlich 15% am besten ab. Nach Ansicht der Strategieberater stehen die Chancen gut, dass dies auch in der Phase eines abflachenden Wachstums erstmal so bleibt. Zumindest solange sich keine Echtzeit-Kontolösungen, wie sie in einigen großen Schwellenländern bereits genutzt werden, weltweit durchsetzen.
Nicht ganz so rosig sieht es für das Acquiring, also das Händlerakzeptanzgeschäft aus. Die hohen TSR-Zuwächse von 30% schrumpften durch den scharfen Wettbewerb mit Softwarehäusern zuletzt auf 16%. In diesem Geschäftsfeld prognostiziert BCG bis 2028 einen Rückgang des jährlichen Ertragswachstums auf 6%. Ebenfalls unter Druck geraten zunehmend die Kartenemittenten. Auch ihnen sagt die Studie bis 2028 noch ein jährliches Ertragswachstum von 6% bis 2028 voraus. In den Jahren von 2018 bis 2023 hatte es bei durchschnittlich 8% bis 9% gelegen.
Instant Payment beherrscht die Branche
Echtzeitzahlungen sind BCG zufolge inzwischen zum beherrschenden Thema in der Zahlungsverkehrsbranche geworden. Solche Transaktionen sind inzwischen in mehr als 60 Ländern möglich. In der Eurozone ist der Druck auf die Banken groß, Instant Payments auch grenzüberschreitend ausführen zu können.
Indien, Thailand und Brasilien stechen bereits durch einen sehr hohen Anteil von Echtzeitzahlungen am gesamten Zahlungsverkehrsmarkt mit Endverbrauchern hervor. Dahinter stecken einfache digitale Systeme wie zum Beispiel Pix in Brasilien, eine starke staatliche Unterstützung in Indien oder auch der Einsatz entsprechender Systeme bei niedrigen oder keinen Kosten für Händler (Thailand).
Anforderungen steigen
In einem von Echtzeitzahlungen umgekrempelten Markt können sich Finanzdienstleister nach Ansicht von BCG durch Zusatzleistungen profilieren. Zugleich könnten hervorragende Services im Risikomanagement, bei der Betrugsprävention und in der Abwicklung von Kundenreklamationen zu Differenzierungsmerkmalen werden, was eine Aufrüstung des Backoffice erfordere.
„Zahlungen in Echtzeit werden Auswirkungen auf das Liquiditätsmanagement sowie die Betrugs- und Sanktionsprüfung haben“, sagt Mireia Granzer, Co-Autorin der Studie. Die Systeme müssten rund um die Uhr sieben Tage die Woche sofort reagieren können.
Große Defizite beim Einsatz künstlicher Intelligenz
Es liegt auf der Hand, dass Anwendungen, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basieren, Abhilfe schaffen könnten. Doch diese weisen nach Ansicht der Berater bei den meisten Zahlungsverkehrsunternehmen noch große Defizite auf.
Und das, obwohl die generative KI gewaltige Umsatz- und Gewinnchancen verspreche. So bejahten laut der Studie 85% der Unternehmen, dass KI eine disruptive oder zumindest transformatorische Wirkung auf die Branche habe. Dennoch hätten lediglich 18% der Unternehmen eine klar definierte KI-Strategie, und nur 7% leisteten sich entsprechende Entwicklungsteams.
Als Grund für diese Umsetzungslücke macht die Studie die – zumindest auf kurze Sicht – unsicheren Ertragsaussichten durch den Einsatz von KI aus. Viele Zahlungsdienstleister verfügten noch nicht über die nötige Datenqualität, um KI-Anwendungen in allen Bereichen einzusetzen. BCG empfiehlt deshalb, generative KI in erster Linie in Bereichen mit hohem Wertschöpfungspotenzial einzusetzen, etwa in Kundenservice und oder Softwareentwicklung.
Baukastenprinzip und Cloud
Um in Zukunft erfolgreich zu sein, bräuchten die Unternehmen eine modulare, cloudbasierte und skalierbare Zahlungsverkehrsarchitektur. Auf dem Weg dahin könnten schrittweise Altlasten abgebaut, Betriebskosten gesenkt und neue Produkte schneller auf den Markt gebracht werden. „Die Unternehmen, die heute mutige Produktinnovationen und technologische Modernisierung umsetzen, werden nicht nur die Zukunft der Branche gestalten, sondern auch einen dauerhaften Mehrwert für ihre Kunden und Aktionäre schaffen“, sagt BCG-Berater Markus Ampenberger.
Die Erlöse aus Zahlungsverkehrstransaktionen werden in den Jahren bis 2028 weniger stark zulegen als in der Periode 2018 bis 2023. Um den Anschluss nicht zu verlieren, müssen sich Marktteilnehmer zum einen auf den Siegeszug von Echtzeitzahlungen einstellen. Zum anderen müssen sie generative künstliche Intelligenz vor allem im Kundenservice und in der Softwareentwicklung einsetzen. Das sind die Kernaussagen des 22. Global Payments Report der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG). Er lag der Börsen-Zeitung vorab vor.