Bär für Aktien zuversichtlich
ck Frankfurt
Nach den schweren Verlusten des ersten Halbjahres steht den Aktienmärkten nach Einschätzung der Bank Julius Bär auch in der nächsten Zeit noch eine schwierige Phase bevor. Nach der Covid-Krise seien die Märkte in den ersten sechs Monaten mit einer weiteren Krise mit vielen Schocks konfrontiert gewesen, sagte Lutz Welge, Leiter Portfoliomanagement der Bank Julius Bär Deutschland, in einem Pressegespräch am Mittwoch. Sowohl Aktien als auch Anleihen hätten das schlechteste erste Halbjahr seit Jahrzehnten erlebt. Der Einschlag sei massiv, zum Tiefpunkt im Juni hätten sich die Verluste auf 25 Bill. Dollar belaufen, was mehr als dem US-BIP von 19 Bill. Dollar entspreche.
„Kein systemisches Risiko“
Welge zufolge ist Julius Bär weiterhin in Aktien leicht untergewichtet, weil die volatile Bodenbildungsphase noch etwas andauern werde. Aktien befänden sich in einem zyklischen Bärenmarkt, die Märkte bräuchten eine Bodenbildungsphase beziehungsweise eine volatile Seitwärtsbewegung. Generell ist Welge jedoch zuversichtlich. „Wir haben kein systemisches Risiko am Finanzmarkt wie 2008 und 2011.“ In den zurückliegenden Krisen habe sich die Kreditvergabe verknappt, dieses Mal nicht. „Das ist eine Krise, die wir hinter uns haben werden.“
Die Friedensdividende sei aufgebraucht, Deutschland sei besonders stark betroffen. Er habe keine Sorge, dass die Investitionen zurückgehen werden. Aber es werde mehr Staatskapitalismus geben. Die höhere Inflation bedeute, dass reale Vermögenswerte zu bevorzugen seien. Aktien würden höhere Erträge abwerfen als Anleihen, auch wenn diese wieder höhere Renditen böten.
Basis für Neuinvestitionen
In historischen sieben- und achtwöchigen Verlustperioden habe der S&P 500 im Durchschnitt 13% verloren. Anschließend habe der Index durchschnittlich um 30% zugelegt. Allerdings nicht gleich. Im Durchschnitt habe es eine Bodenbildungsphase von 18 Wochen gegeben. Vor diesem Hintergrund rechnet Welge mit freundlichen Märkten ab dem vierten Quartal oder Anfang 2023. Ein Kontraindikator für eine Wende zum Besseren sei die extrem schlechte Stimmung der Marktteilnehmer. Welge verwies auch auf die günstigeren Bewertungen. Der gesamte pandemiebedingte Bewertungsaufschlag sei wieder abgebaut worden. Das sei eine gute Basis, um Neuinvestitionen zu tätigen. Wichtig sei das Gewinnwachstum. Derzeit erwarteten die Analysten für das laufende Jahr ein Gewinnwachstum von 5%, während die Finanzmanager mit Nullwachstum rechneten. Julius Bär gehe nicht von einem Rückgang um 10% aus.
Stimmung schlechter als Lage
David Kohl, Chefvolkswirt der Bank Julius Bär, ist auch aus ökonomischer Sicht zuversichtlich. Seiner Einschätzung ist die Stimmung derzeit schlechter als die Lage. „Wir glauben, dass wir in einem Abschwung sind“, so Kohl, der auf die Straffung der Geldpolitik, das Abklingen des Nachfragebooms des zurückliegenden Jahres, der sich nicht fortsetzen könne, und die Angebotsknappheit verwies. Die von dem postpandemischen Nachfrageboom ausgelöste Inflation verstetige sich durch geopolitische Unsicherheiten und weitere Angebotsengpässe. Die Inflation komme nun aus dem Energiebereich. Die Zentralbanken sähen jetzt die Inflationsbekämpfung als ihre zentrale Aufgabe und nicht mehr die Stimulierung der Nachfrage. „Ferner haben wir die Globalisierung nicht mehr.“ Die multipolare Ordnung sei nicht ein Faktor, der die Intensität des Welthandels beschleunige.
„Durchhänger“
Der derzeitige Abschwung sei sehr ungewöhnlich. Es gebe keinen Mangel an Nachfrage, sondern einen Mangel an Angebot. Unternehmen erklärten, dass sie weniger produzierten, weil sie nicht genug Kapazität hätten. Sie müssten Kapazitäten aufbauen und Personal einstellen. Es handle sich nicht um einen Abschwung, der von Nachfrageschwäche getrieben werde mit der Folge, dass Kapazitäten abgebaut würden, was zu weiterer Nachfrageschwäche führe. Kohl geht von einem „Durchhänger“ der Konjunktur aus und nicht von einem lang anhaltenden Abschwung aus.
Relativ gelassen betrachtet Kohl auch die Gaskrise. Die Gasspeicher seien angefüllt. Die entscheidende Frage sei nun, wie es mit den russischen Lieferungen weitergehe. Für eine entspannte Sichtweise spreche, dass es vielfältige Reaktionsmöglichkeiten gebe. So könne auf andere Gasimporte aus den Niederlanden und Norwegen oder in Form von Flüssiggas ausgewichen werden. Zudem sorgten die höheren Gaspreise dafür, dass mehr investiert werde. „Ein Gasstopp aus Russland bedeutet nicht, dass weniger Gas für Europa zur Verfügung steht.“
Die Inflation sei ein Faktor, der die Zentralbanken zum Handeln dränge. Die Frage sei aber, ob das auch eine Gefährdung für die Konjunktur bedeute. Wenn die Fed die Zügel anziehe, führe das nicht immer in die Rezession. „Wir glauben, dass der aktuelle Zinszyklus der Fed bei 3% bis 3,5% enden wird.“ Damit sei dies ein moderater Zinszyklus. Gegen einen sich deutlich verstärkenden Abschwung spreche ferner, dass sich der US-Verbraucher in guter Verfassung befinde, so Kohl, der auf hohe Ersparnisse und die starke Verfassung des amerikanischen Arbeitsmarktes verwies.
Welge rät dazu, auch bei hoher Unsicherheit stets in Dividendentiteln investiert zu bleiben, statt den Versuch zu unternehmen, den Markt zu timen. Wer von 1990 bis 2019 durchgehen im S&P 500 investiert gewesen sei, habe eine durchschnittliche jährliche Rendite von 7,7% erzielt. Wenn der beste Tag des Jahres verpasst worden sei, ergebe sich nur noch eine Rendite von 3,9%.
Wachstumswerte interessant
Für interessant hält Welge derzeit die großen Wachstumswerte nicht nur aus dem Technologiebereich, sondern auch aus dem Gesundheitssektor und anderen Branchen. Diese seien mittlerweile günstig. Als Beispiel für ein Unternehmen, das sich in einem Umfeld hoher Inflation anbiete, nannte er Microsoft. Das Unternehmen habe im März seine Preise um durchschnittlich 18% erhöht. Die Aktie habe aber in diesem Jahr deutlich nachgegeben, weil die Bewertungen deutlich reduziert worden seien.