„Die Fed will keine Schlagzeilen machen"
„Die Fed will keine Schlagzeilen machen"
Maue Aussichten für Deutschland – Berenberg-Chefvolkswirt für Reform der Schuldenbremse
Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding sieht die USA und die meisten Euro-Länder trotz unruhiger Zeiten auf einem guten Weg. Skeptisch ist der Experte bei Deutschland, pessimistisch bei China. Für Deutschland hat er aber auch einige Verbesserungsvorschläge.
Von Tobias Möllers, Frankfurt
Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei der Berenberg Bank, blickt verhalten positiv in die Zukunft. Beim Presselunch der Bank wagte der Experte einen Ausblick auf Wirtschaft, Politik und die Finanzmärkte in den USA, Europa und Deutschland.
Rückblickend sei die Wirtschaft in den USA deutlich besser gelaufen als gedacht. Das gelte auch für südeuropäische Länder wie Spanien und Italien. Bezüglich Wachstum sei Deutschland dagegen die einzig wirklich Enttäuschung gewesen. Für die Zukunft erwartet Schmieding in den USA ab Mitte kommenden Jahres und nach einigen Leitzinssenkungen wieder ein „normales Wachstum“. Auch in der Eurozone rechnet der Chefvolkswirt mit einem moderaten Wachstum. Ausnahme ein Mal mehr: Deutschland. Schwieriger noch schätzt er die Lage für das Reich der Mitte ein. China „bleibt unangenehm“.
Fed dürfte Zinsen senken
Für die USA erwartet Schmieding eine Leitzinssenkung um 25 Basispunkte im September und begründet dies damit, dass die Inflation mittlerweile ausreichend abgesunken sei und der Arbeitsmarkt sich – vorbehaltlich der Zahlen vom kommenden Freitag – in einem leichten Sinkflug befinde. Dies gebe der Fed die Freiheit, sich bei ihrer Entscheidung an Politik und Arbeitsmarkt auszurichten. Wobei Politik angesichts der anstehenden Präsidentschaftswahlen und der Pläne Donald Trumps, die Unabhängigkeit der Notenbank zu beschneiden, gerade auch kein einfaches Feld ist. Für Schmieding ergibt sich daraus, dass es das Beste für die Fed sei, keine Schlagzeilen zu produzieren. Solche würde ein großer Zinsschritt um 50 Basispunkte mit Sicherheit provozieren. „Gar nichts zu tun, würde allerdings auch komisch aussehen“ so Schmieding. Der Berenberg-Experte geht daher davon aus, dass die Fed im September, im November und im Dezember den Leitzins jeweils um 25 Basispunkte senken wird.
Bei der Präsidentschaftswahl sieht Schmieding minimale Vorteile für Kamala Harris. Eine erneute Präsidentschaft Donald Trumps wäre für die US-Konjunktur zunächst ganz leicht positiv, mittelfristig dürften sich allerdings der Protektionismus, neue Zölle und Einwanderungsbeschränkungen eher negativ auswirken. Von großen Umwälzungen geht der Berenberg-Mann aber so oder so nicht aus. Der Experte erwartet nämlich einen gesplitteten Kongress, in dem die Republikaner den Senat kontrollieren, die Demokraten aber das Repräsentantenhaus. Dies könnte den künftigen Präsidenten erheblich einschränken und im Fall Trumps etwa angekündigte Steuersenkungen verhindern.
China wird eher alt als reich
Schwarz sieht der Chefvolkswirt für China. Die einstige Weltwachstumslokomotive steht schon länger auf dem Abstellgleis und Schmieding sieht wenig Gründe, warum sich das in nächster Zeit ändern sollte: „China wird alt und grau, bevor es reich geworden ist.“
Beim Blick auf die Eurozone sieht Schmieding nach dem „Putin-Schock“ ein sich erholendes Verbrauchervertrauen. Sowohl das Geschäftsklima wie auch das Verbrauchervertrauen lägen aber noch „leicht unter normal“. Große Veränderungen erwartet er hier im Rest des Jahres nicht mehr. Für Deutschland bedeutet das Stagnation.
China-Exporte lahmen
Schmieding nennt gleich mehrere Gründe, warum Deutschland den anderen Euro-Ländern deutlich hinterherhinkt: Konjunkturell schlagen die schwachen Ausfuhrzahlen nach China bei dem auf Export angewiesenen Land voll durch. Auffällig ist zudem eine enorm hohe wirtschaftspolitische Verunsicherung im Vergleich zu Ländern wie Spanien oder Italien. Selbst in Frankreich, das vor einer unklaren politischen Zukunft steht, herrscht eine deutlich geringere Unsicherheit als hierzulande. Auch bei der Nachfrage hinkt Deutschland deutlich hinter den anderen Länder der Eurozone her. Negativ stechen hier Bau, Investitionen (ohne Bau) und der private Konsum heraus. Die Kaufkraft der Verbraucher steige langsamer als in anderen Ländern. Ein weiteres Problem sieht Schmieding am Arbeitsmarkt: Deutschland habe quasi Vollbeschäftigung, angesichts des demografischen Wandels fehlen Reserven.
Schuldenbremse reformieren
Als eine Stärke Deutschlands sieht Schmieding den Mittelstand. Dieser sei sehr anpassungsfähig und entdecke und besetze Marktnischen. Für den Berenberg-Experten bleibt dennoch viel Handlungsbedarf. Diesen sieht er u.a. bei der Schuldenbremse, die Schmieding zwar prinzipiell für richtig hält, in ihrer jetzigen Form aber für zu strikt und unflexibel. Aus politischen Gründen hält der Experte eine Reform des Instruments vor den nächsten Bundestagswahlen zwar für unwahrscheinlich, danach sei eine Modernisierung und Lockerung der Schuldenbremse mit der dafür notwendigen 2/3-Mehrheit aber durchaus möglich. Dies sei eher machbar als Rentenkürzungen, um Geld für Investitionen freizubekommen. Und der Investitionsbedarf ist groß, seit zwei Jahren auch wieder im Verteidigungsbereich. Für den Berenberg-Mann ist die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form „spätestens seit Putin nicht mehr realistisch“.
Unkonventioneller Vorschlag
Beim aktuell heiß diskutierten Thema Migration hofft Schmieding für Deutschland auf mehr Kontrolle. Dann sei auch politisch deutlich mehr Spielraum für die dringend benötigte Fachkräftezuwanderung. Eine etwas unkonventionelle Meinung vertritt der Berenberg-Experte gegenüber russischen Migranten. Dürften diese hier zuwandern, würde das Putin schwächen.