Emerging Markets unter Interventionsdruck
Von Sebastian Sachs *)
Der Devisenmarkt ist aktuell klar dominiert vom Dollar, genauer gesagt von der beeindruckenden Stärke des Greenback. Die US-Valuta hat sich im Zuge der im Jahr 2022 deutlich gehäuften geopolitischen Krisen zum nahezu einzig wirklich akzeptierten „sicheren Hafen“ entwickelt. Die immer offensichtlichere Fragilität des Finanzsystems – und hier ist das Vereinigte Königreich ja momentan das frappierendste Beispiel – lässt den US-Dollar auf breiter Basis kräftig zulegen – und zwar so kräftig, dass bei manchen Strategen bereits erstes Stirnrunzeln zu beobachten ist, was die Auswirkungen auf die anderen Währungsräume angeht. Der Euro hingegen ist ein Schwächekandidat, für einige Marktbeobachter sogar (neben dem japanischen Yen) der gravierendste. Dieser Eindruck mag sich zwar bei der Betrachtung des Kursverlaufs des Euro seit Jahresbeginn aufdrängen, ist aber dann doch nur die halbe Wahrheit.
Gemischtes Bild
Denn der Blick auf die (Kassa-)Performance-Hitliste am Devisenmarkt offenbart – insbesondere gegen die Einheitswährung – ein gemischtes Bild. Etliche wichtige Valuten konnten nämlich gegenüber dem Euro nicht zulegen. Und wir sehen auch, dass Inflationsbekämpfung mit teilweise sehr kräftigen Zinsanhebungen nicht unbedingt ein Garant dafür ist, dass die eigene Währung positiv abschneidet. Unter den G10-Währungen sind hier vor allem die norwegische und die schwedische Krone zu nennen; letztere steht in der Performance sogar fast so schlecht da wie der japanische Yen.
Zudem lohnt sich auch immer eine Analyse der handelsgewichteten Währungsentwicklung. Und da wird besonders offensichtlich, dass gerade der Absturz im Euro-Dollar-Verhältnis in hohem Maße von der US-Valuta getrieben ist. Während sich für den Dollar nach dieser Betrachtungsweise seit Jahresbeginn ein Plus von rund 10% ergibt, ist es beim Euro „lediglich“ ein Minus von etwa 5%. Das dürfte auch eine wichtige Erklärung dafür sein, warum sich die Europäische Zentralbank bisher mit Blick auf die Währungsentwicklung noch so entspannt zeigt – auch wenn die EZB (bzw. deren viel zu langes Hadern) natürlich gleichzeitig ein ebenso wichtiger Grund dafür ist, dass sich der Euro nicht stärker präsentiert. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist allerdings auch: Die implizierte Ein-Monats-Volatilität („at the money“) für Euro/Dollar steht aktuell bei rund 13, und damit nicht weit entfernt vom markanten Hoch nach Ausbruch von Covid, als Dollar-Liquidität wie verrückt gesucht war. Die Marktteilnehmer gehen also von andauernder Unruhe im Wechselkursverhältnis des Euro zum Dollar aus.
Schwäche in Osteuropa
Doch zurück zur Performance: Uns interessiert fürs Erste vor allem die Entwicklung gegen den Euro; denn zum Dollar sind mit Ausnahme des Rubel, des brasilianischen Real und des mexikanischen Peso ohnehin sämtliche Währungen im Minus. Wir verwenden aktuell gerne die untere Hälfte der Rangliste als Argumentationshilfe, dass der Euro nicht so schwach ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Neben den bereits erwähnten Valuten schwedische und norwegische Krone oder Yen, die gegen die Einheitswährung deutlich verloren haben, stechen vor allem osteuropäische Währungen negativ hervor: Der polnische Zloty und der ungarische Forint können dem Euro nichts entgegensetzen, die tschechische Krone kommt wenigstens noch auf ein leichtes Plus.
Insbesondere in Polen und Ungarn hat die Nähe zur Ukraine und damit zum Kriegsgebiet maßgeblich dazu beigetragen, dass die Valuten so schwach sind. Dabei haben die dortigen Notenbanken die Leitzinsen bereits sehr kräftig angehoben und damit auch im Kampf gegen die Inflation einige Pflöcke eingeschlagen. Gleiches gilt für die Tschechische Republik. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die polnische Zentralbank (Leitzins 6,75%), genau wie ihre Pendants aus Ungarn (13%) sowie Tschechien (7%) mit ihrem Zinsanhebungszyklus bald am Ende angekommen sein dürfte.
Keine Entspannung
Allerdings, und das ist die Krux, sind die Realzinsen in den genannten Ländern noch deutlich negativ, denn die Inflationsraten betragen in Polen 17,2%, in der Tschechischen Republik 18% und in Ungarn sogar 20%. Perspektivisch ist für die Währungen dieser Länder also keine baldige Entspannung zu erwarten (und so ist auch der Not-Zinsschritt der Ungarn von Freitag zu verstehen) – vor allem nicht, sollte sich der Euro vor dem Hintergrund weiterer Zinsanhebungen der EZB intrinsisch stärker zeigen.
Auf der anderen Seite der Rangliste stehen Länder wie beispielsweise Brasilien und Mexiko, die in der Performancetabelle gegen den Euro die ersten Plätze einnehmen. Im Zuge des Ukraine-Kriegs sind die Preise für Rohstoffe kurzzeitig kräftig nach oben gesprungen. Da Brasilien ein wichtiger Exporteur vieler solcher Rohstoffe ist, profitierte das Land von dieser Entwicklung, was letztlich auch den Real begünstigte. Zudem kann die brasilianische Konjunktur wahrscheinlich eine Rezession vermeiden – womit das Land im Vergleich zu den USA und auch Europa deutlich besser dasteht. Gleiches gilt für die Inflation mit einem Wert von knapp über 7% und fallenden Monatsraten. Bei einem zweistelligen Leitzins von 13,75% ist der Realzins somit deutlich positiv. All das wirkt sehr unterstützend für den Real.
Intervention elementar
Beim Blick auf die Performance – natürlich meist gegen den Dollar gerechnet – ist für viele Länder der Faktor Intervention gerade elementar. Die Markteingriffe zur Beeinflussung der heimischen Währungsentwicklung scheinen für etliche Zentralbanken die letzte Möglichkeit, für eine gewisse Art der Protektion zu sorgen. Insbesondere die Länder im Süden Asiens meldeten im September weiterhin ein Abschmelzen ihrer Währungsreserven. So fielen die Reserven Indiens, Malaysias, Indonesiens oder der Philippinen auf ein Niveau, das zuletzt im Jahr 2020 verzeichnet wurde, während die Reserven Thailands sogar auf ein Fünfjahrestief einbrachen. Insgesamt sind die weltweiten Reserven an ausländischen Valuten im Laufe des Jahres nach Angaben von Bloomberg um 884 Mrd. Dollar gefallen – und das nur bis Mitte des Jahres.
Aktuell dürfte die Zahl noch deutlich dramatischer sein, denn insbesondere in den vergangenen Wochen haben etliche Länder Osteuropas, Asiens und Lateinamerikas ihre Währungen vor einem zu kräftigen Einbruch schützen müssen. Die Daten der Federal Reserve weisen in die gleiche Richtung. Das Volumen an US-Treasuries, die für andere Notenbanken verwahrt werden, ist ebenfalls deutlich gefallen, allerdings hauptsächlich im zweiten und dritten Quartal 2022.
Am Devisenmarkt geht gerade einiges durcheinander, nicht alles ist jedoch Ausdruck eines zu starken Greenback. Allerdings gerade das Auflösen von Treasury-Beständen bei der Fed zeigt Wirkung, auch weit über den Devisenmarkt hinaus.
*) Sebastian Sachs ist Finanzanalyst FI/FX beim Bankhaus Metzler.