„Erste Euphorie über EZB-Pläne ist verflogen“
Kai Johannsen.
Herr Rieger, mit den steigenden Staatsanleiherenditen kommt am Markt auch verstärkt die Frage auf, wie lange sich bestimmte Länder dies leisten können. Stichwort Schuldentragfähigkeit. Wie definieren Sie diese?
Staatsschulden gelten allgemein als tragfähig, wenn steigende Zinskosten die Verschuldung nicht in dem Maße erhöhen, dass Zinsen und Schulden sich gegenseitig hochschaukeln. Ob die Staatsverschuldung tragfähig ist oder außer Kontrolle gerät, hängt formal somit von zwei Dingen ab: erstens von der Differenz zwischen den durchschnittlichen Zinssätzen und der nominalen BIP-Wachstumsrate und zweitens vom Primärsaldo, das heißt dem Budgetdefizit ohne Zinskosten. Sind die Zinssätze höher als das Wirtschaftswachstum, ist ein Primärüberschuss erforderlich, um die Schuldenquote zu stabilisieren, wobei der bestehende Schuldenberg als Multiplikator wirkt.
Wie sieht es bei den Zinskosten Italiens historisch aus?
Die gute Nachricht ist, dass die Zinskosten Italiens historisch niedrig sind und selbst in ungünstigen Szenarien nur sehr langsam steigen werden. Nach unseren Schätzungen wird die durchschnittliche Verzinsung nächstes Jahr selbst dann nicht einmal auf das Niveau von 2019 ansteigen, wenn sich die Renditekurve um 200 Basispunkte nach oben verschiebt. Das liegt daran, dass es einige Zeit dauert, bis sich das vergleichsweise geringe Volumen an neuen Anleihen mit höheren Renditen auf die durchschnittliche Verzinsung des riesigen italienischen Schuldenbergs auswirkt. Im kommenden Jahr hilft dabei zudem, dass hohe zehnjährige Kupons auslaufen, die während der Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren begeben wurden.
Vor welchen Herausforderungen steht Italien am Bondmarkt?
Italien muss neue Investoren für die neu zu begebenden Anleihen finden, wenn sich die EZB zurückzieht. Die Zinskosten sind zwar historisch gering, und die Inflation erhöht das nominale Wirtschaftswachstum. Die Schuldenquote sollte deshalb in den kommenden Jahren eigentlich fallen, zumal Italien in der Vergangenheit oft einen Primärüberschuss erwirtschaften konnte. Kommt es aber zu einer schweren Rezession, etwa im Zusammenhang mit der Gaskrise, dann wären diese Überlegungen obsolet.
Die Europäische Zentralbank (EZB) wird in Kürze ein Antifragmentierungsinstrument für die Eurozone vorstellen. Welchen Zweck hat es, und was erwarten Sie in puncto Umfang und Grenzen?
Die EZB beabsichtigt mit diesem Instrument, vermeintlich ungerechtfertigte Renditeaufschläge bei Peripherieanleihen zu verhindern, wenn sie die Zinsen erhöht. Sie wird sich aber dabei schwertun, einen Umfang oder explizite Interventionsgrenzen festzulegen. Entscheidend wird daher, wie glaubwürdig sie das Ganze verpackt und kommuniziert.
Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit auch in Sachen Marktberuhigung? Wird das Instrument effizient sein, oder wäre eine Bazooka besser?
Die Markterwartungen an die EZB sind hoch, so dass das Risiko einer Enttäuschung besteht. Eine Bazooka wäre ein Programm gewesen, bei dem die EZB Peripherieanleihen kauft und Kernanleihen dagegen verkauft. In einigen Medienberichten gibt es auch Hinweise dazu. Allerdings dürfte sich im EZB-Rat dafür kaum eine Mehrheit finden, zumal die Bundesbank Verluste realisieren müsste, wenn sie aktuell Bundesanleihen aus ihren Portfolien verkaufen würde.
Wie beurteilen Sie das Investorensentiment bei Italien derzeit?
Die erste Euphorie über die EZB-Pläne ist verflogen. Angesichts der politischen Risiken im Vorfeld der Budgetplanung im Herbst und der Wahlen im kommenden Jahr sind viele Investoren vorsichtiger geworden und warten nun auf eine überzeugende Antwort der EZB. Hinzu kommt, dass die Liquidität an den Anleihemärkten momentan sehr schwierig ist. Nicht geholfen hat dabei die außerplanmäßige Sitzung der EZB im vergangenen Monat, wo dann lediglich die Ausschüsse beauftragt wurden, ein neues Instrument vorzuschlagen.
Wo steht Italiens Treasury Tesoro derzeit beim Funding in diesem Jahr?
Verglichen mit vergangenen Jahren hinkt die Tesoro bei ihrem Emissionsfortschritt hinterher. Das liegt vor allem daran, dass das Syndizierungsvolumen im ersten Halbjahr deutlich geringer ausfiel, was wohl an den schwierigen Marktbedingungen im zweiten Quartal lag, als die Neubewertung der EZB-Zinserwartungen deutlich an Fahrt aufnahm.
Rechnen Sie mit Anpassungen beim Funding jetzt in der zweiten Jahreshälfte?
Sofern die Energiekrise nicht zu deutlichen Mehrausgaben führt, rechnen wir mit keinen Anpassungen. Neben den EU-Zuschüssen wirkt die Mittelaufnahme bei privaten Investoren dieses Jahr entlastend.
Was bedeutet das für die Nettoflows von Staatsanleihen Italiens – den BTP – im zweiten Halbjahr?
Selbst bei einem größeren Beitrag von Syndizierungen dürfte das BTP-Nettoangebot im zweiten Halbjahr angesichts der hohen Rückflüsse nur geringfügig über null liegen und negativ sein, wenn man die Kupons berücksichtigt. Der schleppende Funding-Fortschritt im ersten Halbjahr bedeutet jedoch, dass die Tesoro kaum Spielraum haben wird, um in ungünstigen Marktphasen weniger Anleihen zu begeben.
In den vergangenen Wochen sind die Renditen insgesamt in der Eurozone zurückgekommen. Wachstumssorgen haben gegenüber Inflationsängsten die Überhand gewonnen. Das schafft doch Entlastung. Wird sich das fortsetzen?
Die Rezessionsangst dürfte sich im Euroraum in diesem Monat eher verstärken als abschwächen, solange nicht klar ist, ob Putin den Gashahn nach den Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 wieder aufdreht. Es ist zwar ermutigend, dass die italienischen Renditen in diesem Umfeld nicht gestiegen sind. Das Rezessionsrisiko wiegt für die italienischen Haushaltsaussichten allerdings stärker als die Entlastung über niedrigere Renditen, und es schmälert die Risikobereitschaft. Italienische Anleihen können daher nicht Schritt halten mit Bundesanleihen, so dass die Renditeaufschläge steigen. Da die EZB-Ankündigung in der neuen Woche vermutlich nicht alle Probleme lösen wird, gehen wir davon aus, dass die zehnjährigen Spreads wieder auf ihre Höchststände bei 240 Basispunkten ansteigen werden.
Das Interview führte