Sven Streibel

„Investments im Dax profitieren von China“

Mit der aktuellen Sitzung des Nationalen Volkskongresses steht China im Fokus internationaler Investoren. Sven Streibel, Chef-Aktienstratege der DZ Bank, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung, wie Anleger von dem Aufschwung in China profitieren, ohne in den chinesischen Aktienmarkt zu investieren.

„Investments im Dax profitieren von China“

Dieter Kuckelkorn.

Herr Streibel, China steht derzeit stark im Fokus der Marktteilnehmer. Aktuell tagt der Volkskongress. Das Land erholt sich wirtschaftlich von den Lockdowns. Wie beurteilen Sie das Thema China aus Investorensicht derzeit?

China war über viele Jahre die Hauptantriebsquelle für das globale Wirtschaftswachstum. Das Land hat häufig in Krisenzeiten durch hohes Wachstum fast schon die Weltkonjunktur gerettet. Davon haben vor allem wir in Europa profitiert, weil wir mit unseren Exportweltmeistern zum einen nach China selbst exportieren, zum anderen aber natürlich auch den positiven Einfluss Chinas auf dem Weltmarkt gespürt haben. Daher ist die Abkehr Chinas von der Null-Covid-Politik so wichtig. Davon profitieren nicht nur die deutschen Autohersteller, die jeden dritten Pkw im Reich der Mitte verkaufen, sondern auch weitere Sektoren. Alles, was der ökonomischen Gesundheit Chinas zugutekommt, ist somit auch für uns von großer Bedeutung. Im Umkehrschluss gilt, dass neu aufkommende Risiken – beispielsweise aus dem Bereich der Geopolitik oder etwa Sanktionen – für uns zu einer Belastung werden können.

An welche zusätzlichen Risiken denken Sie da noch?

Nun, es gibt innenpolitische Risiken wie die Regulierung von chine­sischen Technologieunternehmen oder generell von großen Aktiengesellschaften. Das sollten Investoren neben den bekannten geopolitischen Risiken im Blick haben. Daher empfehle ich bereits seit langem, Investments in den Aufschwung der chinesischen Wirtschaft über andere Aktienmärkte zu tätigen, die stark von China profitieren, aber viel weniger von Themen wie der dortigen Regulierung betroffen sind.

An welche Märkte denken Sie da?

Ein gutes Beispiel sind die Unternehmen aus dem Dax. Die Konzerne aus dem deutschen Leitindex profitieren stark vom Aufschwung in China. Vor diesem Hintergrund würde ich lieber über den Dax in den wirtschaftlichen Aufschwung Chinas investieren als direkt über den lokalen Aktienmarkt.

Nun hat der Dax mit Linde einen wichtigen Titel verloren. Hat der Index dadurch nicht an internationaler Bedeutung eingebüßt?

Der Dax hat aufgrund des Mitgliedertauschs von Linde gegen die Commerzbank zwar an Marktkapitalisierung verloren, aber nicht an Bedeutung für seine Investoren. Der Charakter des Dax als zyklischster europäischer Aktienindex wurde sogar gestärkt, weil die dominanten Sektoren Industrie, Finanzen und Luxusgüter durch den Weggang Lindes ein höheres Indexgewicht bekommen haben. Für „echte Dax-Anleger“ ist der neue Index somit das konjunktursensiblere und daher attraktivere Investment, auch wenn Linde ein vielbeachtetes Unternehmen ist. Der Index ist durch die Neuzusammensetzung nun stärker exponiert gegenüber einer Konjunkturbelebung in China und weiter steigenden Zinsen im Euroraum. Außerdem steigt die Dividendenrendite und genau das wirkt puffernd bei neuen Marktschwankungen. Insgesamt bietet der neue Index mehr Chancen bei einem überschaubaren Risiko.

Wie beurteilen Sie die aktuelle konjunkturelle Lage in China?

Der nationale Volkskongress hat jetzt ein Wachstumsziel für 2023 von 5% ausgegeben. Dieser Wert war für Marktteilnehmer auf der ganzen Welt tendenziell enttäuschend, weil die Höhe sowohl im historischen Vergleich als auch gegenüber den jüngsten Erwartungen bescheidener ausfällt. Wichtig ist allerdings, dass es sich dabei um ein erreichbares Ziel handelt. Im vergangenen Jahr hatte China sein im internationalen Vergleich ambitioniertes Wachstumsziel zugunsten der Corona-Politik geopfert, was wir weltweit durchaus gespürt haben. Die Erreichbarkeit des aktuellen Ziels kann daher positiv beurteilt werden.

Sie halten also das aktuelle Wachstumsziel für realistisch, nachdem es ja im vergangenen Jahr mit geplanten 5,5% und tatsächlich erreichten rund 3% verfehlt worden ist?

Ja, genau. Wir sind der Ansicht, dass das Wachstumsziel dem aktuellen Risikoprofil des Wirtschaftsumfeldes Rechnung trägt und daher gut einzuhalten ist. Wenn für dieses Jahr ein vorsichtiges, aber erreichbares Ziel genannt wird, dann gibt das den Märkten auch wieder mehr Sicherheit, was die Kurse stabilisiert. Dies ist insbesondere wichtig, weil die nationalen und internationalen Risiken weiter präsent sind. Zu nennen wären die schwierige Lage des heimischen Immobiliensektors, der Technologiekonflikt mit den USA, aber auch die weiterhin unwägbaren Folgen des Ukraine-Kriegs sowie die hohen Energiepreise. Und natürlich die zumindest bislang schwache Weltwirtschaft. Daher kann weiterhin nicht ausgeschlossen werden, dass es zu neuen und nicht vorhersehbaren Turbulenzen kommt, die dann auch die Märkte international beeinflussen.

Für wie gravierend halten Sie die geopolitischen Risiken rund um China? Wird es zu einem neuen Handelskrieg kommen?

Ein echter neuer Handelskrieg nach Trump-Manier wäre sicherlich ein Problem für die weitere Erholung der internationalen Aktienmärkte. Die Gefahr einer starken Eskalation ist schwer einzuschätzen, da eigentlich keine der beiden Seiten ein Interesse daran haben dürfte, dem aktuell immer noch angespannten Wirtschaftsumfeld ein weiteres Problem zu bescheren. Die Belastungsfaktoren des vergangenen Jahres wie Inflation, Geldpolitik, Corona und Lieferketten haben sich zwar bereits verbessert, die Krise ist aber noch nicht komplett ausgestanden. Europa würde im Falle eines Handelskrieges zwischen China und den USA zwar stärker leiden. Aufgrund der engen transatlantischen Handelsbeziehungen wäre dies dann aber natürlich auch eine indirekte Belastung für die Amerikaner.

Hat China seine Abhängigkeit vom Export deutlich reduzieren und seine Binnennachfrage stärken können?

China hat sich 2018 vorgenommen, von einer rein quantitativen Wachstumspolitik auf eine qualitative Politik zu setzen. Der Binnenmarkt soll dadurch gestärkt werden. Dabei handelt es sich um einen länger andauernden Prozess, der allerdings noch lange nicht vollzogen ist. Die Abhängigkeit von der Exportwirtschaft ist immer noch gegeben. Dementsprechend würde ein Handelskrieg auch der chinesischen Wirtschaft insgesamt schaden und die dortigen Konsumenten treffen. Es gilt zu bedenken, dass die schwierige Situation des chinesischen Immobiliensektors schon eine große Belastung darstellt.

Sie haben bereits die exportorientierten Unternehmen im Dax als geeignetes Investmentvehikel ge­nannt, wenn man vom Aufschwung in China profitieren will. Welche Aktienmärkte kommen noch in Frage?

Man kann neben dem Dax auch etwas breiter in den Euro Stoxx 50 investieren, der eher den gesamten europäischen Aktienmarkt repräsentiert. Besonders interessant sind dabei Sektoren wie zyklischer Konsum, sprich die Hersteller von Luxusgütern, die Automobilindustrie und Finanzen. Wenn die Wirtschaft in China gut läuft, werden diese Güter verstärkt nachgefragt.

Kommen weitere Märkte in Frage, beispielsweise Japan?

Japan hat einen sehr zyklischen Aktienmarkt, der ebenso stark von der Weltkonjunktur abhängig ist. Von großer Bedeutung sind auch hier Branchen wie Automobilhersteller, Finanzen, aber auch Anlagegüter. Die japanische Industrie hat sich stark auf Hochtechnologie, zum Beispiel im Bereich der Automatisierung spezialisiert. Ein verstärkt qualitatives Wachstum in Ländern wie China bedingt auch eine Weiterentwicklung und Automatisierung von Produktionsprozessen. Das ist ein Megatrend, von dem insbesondere Japan profitieren sollte. Abgesehen davon dürfte entgegen der teils bestehenden Befürchtung der jüngst vollzogene Wechsel an der Spitze der japanischen Notenbank deren expansive Geldpolitik nicht abrupt beenden. Vielmehr sollte diese lediglich umsichtig und schrittweise zurückgefahren werden. Dies dürfte den japanischen Aktienmarkt ebenso stützen.

Ist mit Blick auf China auch Südkorea ein interessanter Aktienmarkt?

Südkoreanische Aktien hängen ebenfalls an der globalen Konjunktur. Große Hardwareproduzenten dominieren den Markt und beliefern Abnehmer in der ganzen Welt. Südkoreanische Exporteure tragen rund ein Drittel zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei. Da sind wir dann allerdings auch schon wieder bei China angelangt, wegen der hohen internationalen Verzahnung.

Um welche exportierende Branchen geht es in Südkorea?

Hierbei handelt es sich vornehmlich um Produzenten von Halbleitern, Elektronik und Automobilen. Das sind genau die Sektoren, deren Produkte verstärkt nachgefragt werden, wenn die globale Konjunktur gut läuft.

Sollte es dennoch zu einem Handelskrieg kommen, wäre auch die globale Chipindustrie besonders exponiert. In diesem Bereich gibt es ja bereits allererste Sanktionen. Was bedeutet das für Investoren in diesem Sektor?

Die Erzeugnisse der Chipindustrie werden vor allem in Endprodukte der Konsumentenelektronik und in Autos eingebaut. Alles was den internationalen Handel mit diesen Erzeugnissen hemmt, würde sicherlich ein Problem darstellen. Man muss bei den Chipherstellern aber konkret unterscheiden, um welche Endkunden es sich letztlich handelt. In den letzten beiden Berichtsquartalen hat sich die Ergebnisentwicklung in der Chipindustrie gespreizt. Lieferanten mit Fokus auf Konsumentenelektronik litten unter Nachfragerückgängen aufgrund der be­obachteten Konjunktureintrübung. Unternehmen, deren Produkte in der Automobilindustrie nachgefragt wurden, erzielten dagegen gute Ergebnisse.

Kommen wir zu einer weiteren Weltregion, die im Fokus steht. Viele Analysten sind derzeit eher skeptisch für den amerikanischen Aktienmarkt. Was ist Ihre Einschätzung?

Im Gegensatz zu vielen Kollegen sind wir für den amerikanischen Aktienmarkt in diesem Jahr immer noch eher optimistisch gestimmt. Für den S&P500 prognostiziere ich ein Jahresendziel von 4400 Punkten. Der US-Aktienmarkt in Form des S&P500 wird von den großen Technologiewerten dominiert. Die fünf bis sechs größten amerikanischen Technologieunternehmen machen ungefähr ein Fünftel der Marktkapitalisierung in diesem Aktienindex aus. Man kann also sagen, dass der S&P500 mit diesen Unternehmen atmet. In den vergangenen Wochen und Monaten gab es vermehrt negative Nachrichten über diese Konzerne. So gab es Gewinneinbußen und es wurden große Stellenabbauprogramme angekündigt. Hierdurch fühlten sich die Konjunkturpessimisten natürlich bestätigt. Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass dieser Stellenabbau einen sehr überschaubaren Teil der Gesamtbelegschaft ausmacht, im Durchschnitt ungefähr 5 bis 6%. Zudem betonten die Firmenlenker, dass primär Geschäftsbereiche betroffen sind, die in der Zeit der Corona-Pandemie aufgebaut wurden und nun Überkapazitäten aufweisen. Die Kerngeschäfte und die Wachstumsbereiche seien kaum betroffen. Behauptungen über einen nachhaltigen Abschwung dieser Branche sind somit überzogen. Gewinneinbußen dürften dem Wirtschaftszyklus entsprechend von kurzfristiger Natur sein. Die strategischen Geschäftsmodelle werden nicht in Frage gestellt. Ich bin daher für diesen Sektor im Speziellen und für den US-Aktienmarkt im Allgemeinen nach wie vor eher optimistisch gestimmt. Außerdem wurden diese Unternehmen in vergangenen Krisenphasen aufgrund ihrer Marktstellung oft als sicherer Hafen gesucht.

Rechnen Sie mit einer Rezession in den USA?

Wir gehen weiterhin in diesem Jahr von einer eher milden Rezession in den USA aus.

Welche Sektoren halten Sie neben den Technologiewerten im amerikanischen Aktienmarkt für attraktiv?

Interessant sind auch in den USA die Hersteller von Luxusgütern, sprich der zyklische Konsum und ebenso die Finanzwerte, die von dem immer noch steigenden Zinsniveau profitieren. Dies steht im Einklang mit den Branchen, die ich auch in Europa favorisiere.

Abschließend noch die Frage, wie Sie generell die Aussichten für die europäischen Aktienmärkte be­urteilen.

2023 wird eher ein Jahr der moderaten Kursgewinne. Ein Großteil der Kursanstiege in den Leitindizes dürfte somit schon realisiert worden sein. Ich sehe deshalb vom aktuellen Stand aus nur noch ein überschaubares Potenzial für den Gesamtmarkt. Das liegt daran, dass ein Großteil der Nachrichten, die den Markt seit dem vierten Quartal angetrieben haben, bereits eingepreist sein sollte. Da wäre die Konjunkturentwicklung in China zu nennen, das Ausbleiben einer Gasmangellage in Europa, aber auch die seit November pragmatischeren Töne der US-Notenbank, die nun eine datenabhängige Inflationsbekämpfung anstrebt. Allerdings traue ich den genannten zyklischen Sektoren weitere Kursgewinne zu. Hier locken bei europäischen Finanzwerten und Luxusgüterherstellern attraktive Dividendenrenditen von 5 bis 6%. Diese Erträge erhalten Investoren, selbst wenn die Aktienkurse dieser Branchen am Ende des Jahres noch auf dem gleichen Stand wie heute wären.

Das Interview führte

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