Suche nach dem Boden
Die Bewegungen des Dax in der zweiten Hälfte der abgelaufenen Woche dürfen mit Fug und Recht als spektakulär bezeichnet werden. Nach den Daten zur US-Inflation, die erneut höher ausfiel als erwartet, sackte der Index am Donnerstagnachmittag bis nahe an die Marke von 12000 Punkten ab, um eine scharfe Kehrtwende zu vollziehen. Sie führte den Dax auf ein am Freitagvormittag erreichtes Hoch von 12588 Zählern, ein Anstieg um nahezu 5% innerhalb nur weniger Handelsstunden. Es wäre jedoch verfrüht, nun den Schluss zu ziehen, dass der Aktienmarkt definitiv seine Tiefs gesehen hat, und fest mit einer demnächst startenden nachhaltigen Erholung zu rechnen.
Denn die Treiber der Gegenbewegung sind nicht unbedingt nachhaltig. Zu einem großen Teil war sie technischer Natur, getrieben von Eindeckungen und Schnäppchenjagd. Der Markt war ausverkauft, die globale Fondsmanagerumfrage der Bank of America wird am Dienstag wahrscheinlich erneut eine extrem negative Anlegerstimmung und hohe Liquiditätsbestände aufzeigen. Zudem trieb die Erleichterung über die durchsickernden weiteren Abstriche an den fiskalischen Entlastungsvorhaben der neuen britischen Regierung die Bewegung, und nach der ersten Enttäuschung über die US-Inflationsdaten fokussierte sich der Markt darauf, dass die Jahresteuerungsrate immerhin erneut etwas gesunken ist.
Probleme ungelöst
Jedoch löst der Umstand, dass die britische Regierung nach dem von ihr ausgelösten Vertrauensverlust um Schadensbegrenzung bemüht ist, nicht die Probleme, mit denen die Aktienmärkte zu kämpfen haben. Das Gleiche gilt für die leicht rückläufige Jahresinflation in den USA. Die Daten haben letztlich gezeigt, wie hartnäckig die hohe Inflation ist. Einstweilen bleibt es dabei, dass die Zentralbanken entschlossen die Zügel weiter anziehen werden. Zins-, Inflations- und Rezessionsrisiken werden ebenso wie die geopolitischen Konflikte weiterhin die Aktienmärkte belasten und die Volatilität hoch halten.
Auf der Habenseite der Aktienmärkte stehen die deutlich gesunkenen Bewertungen, die hoffen lassen, dass der Boden nicht mehr weit entfernt ist. Allerdings sind diesbezüglich noch viele Fragen offen. Bislang hat sich das düstere Umfeld noch nicht entsprechend in den Ergebnisberichten der Unternehmen und den Analystenerwartungen niedergeschlagen. Wahrscheinlich müssen hier noch nennenswerte Abstriche vorgenommen werden, wovon dann auch das Bewertungsbild betroffen wäre.
Das Bankhaus M.M. Warburg etwa hegt Zweifel, was die Konsenserwartungen betrifft. Für die Dax-Unternehmen würden Gewinnzuwächse von 7,3 % in diesem und weiteren 5,4 % im nächsten Jahr erwartet. „Obwohl die Gewinnprognosen für das Jahr 2023 zuletzt etwas reduziert wurden, scheinen sie uns angesichts der konjunkturellen Risiken zu optimistisch zu sein, sodass wir weitere Anpassungen nach unten erwarten.“ Die Berichtssaison für das dritte Quartal werde wahrscheinlich mehr Klarheit bringen, ob die positiven Aussichten für das kommende Jahr aufrechtzuerhalten sind oder nicht. „Sollte dies der Fall sein, könnten sich die Aktienkurse in der nächsten Zeit wieder deutlich erholen, selbst eine Jahresendrally ist dann angesichts der schlechten Stimmung der meisten Marktteilnehmer möglich“, so die Bank, die aber noch zur Vorsicht rät.
Auch die Commerzbank betrachtet die Konsenserwartungen mit Skepsis. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für den Dax sei in den vergangenen Quartalen von 18 auf 10 gefallen und notiere damit auf einem Niveau, welches in den Jahren 2003, 2009 und 2020 am Ende eines Bärenmarkts zu beobachten gewesen sei. Dennoch hätten die Aktienmärkte die für 2023 drohende Rezession noch nicht vollständig eingepreist. Zum einen basiere das Dax-KGV von 10 auf der wohl zu optimistischen Erwartung, dass die Dax-Unternehmen eine Nachsteuermarge von 7,5% erzielen werden, verglichen mit langjährigen Durchschnittsmargen von 4,5%. „Eine Rückkehr zu dieser durchschnittlichen Gewinnmarge würde das Dax-KGV von 10 auf 16 erhöhen“, so die Bank. Zum anderen notiere das Kurs-Buchwert-Verhältnis des Dax mit 1,25 über dem Niveau von 1,0 bis 1,2, welches in vergangenen Rezessionen regelmäßig erreicht worden sei. „Das pessimistische Anlegersentiment und die defensive Positionierung der Aktieninvestoren dürften zwar kurzfristig immer wieder zu schnellen Aktienerholungen führen. Doch mittelfristig sollten sich die Aktien-Abwärtstrends fortsetzen.“