Aktienmärkte

„Der Zollkrieg nimmt groteske Züge an“

Der Zoll-Streit, den US-Präsident Donald Trump losgetreten hat, hat die Aktienmärkte auf Achterbahnfahrt geschickt. Die Börsen-Zeitung hat Experten gefragt, wie es nun weitergeht. Die Einschätzungen zur weiteren Entwicklung gehen auseinander, Verständnis für Trumps rabiaten Kurs gibt es nicht.

„Der Zollkrieg nimmt groteske Züge an“

„Der Zollkrieg nimmt groteske Züge an“

Trumps Hin und Her schickt die Aktienmärkte auf eine Achterbahnfahrt – Experten-Umfrage zeigt: Unberechenbare Handelspolitik erschwert Prognosen

Der Zoll-Streit, den US-Präsident Donald Trump losgetreten hat, hat die Aktienmärkte auf Achterbahnfahrt geschickt. Die Börsen-Zeitung hat Experten gefragt, wie es nun weitergeht. Die Einschätzungen zur weiteren Entwicklung gehen auseinander, Verständnis für Trumps rabiaten Kurs gibt es nicht.

tom Frankfurt
Von Tobias Möllers, Frankfurt

Donald Trumps aggressive Zollpolitik hält die Märkte seit Tagen in Atem. Neben einer großen Verunsicherung bei Anlegern haben die Aktienmärkte dies- wie jenseits des Atlantiks zunächst mit deftigen Abschlägen und nach Trumps jüngster Volte dann mit satten Gewinnen reagiert. In Deutschland ist das einst stattliche Plus des deutschen Leitindexes seit Jahresbeginn zwischenzeitlich komplett aufgezehrt worden.

„Die Nervosität wird nicht sobald verschwinden. Und Jahresprognosen sind generell ein undankbares Geschäft. In Zeiten von Donald Trump gilt das umso mehr. Schon jetzt hat er mit seiner erratischen Politik großen Schaden angerichtet. Neue Höchststände sind auf absehbare Zeit nicht zu erwarten“, sagt Philip Vorndran, Partner bei Flossbach von Storch. „Die kommenden Wochen werden weiter von Volatilität gekennzeichnet sein", glaubt auch Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank. „Trotz der jüngsten Aussetzung von Zöllen gegenüber den meisten Ländern ist der Schaden nicht wiedergutzumachen: Die USA sind nicht länger ein verlässlicher Handels- und Finanzpartner. Das ist das bisher wichtigste Ergebnis von drei Monaten Trumponomics und es ist kein gutes Ergebnis für die USA“, konstatiert Kater.

Viel Unsicherheit eingepreist

Etwas optimistischer ist Benjardin Gärtner, Leiter Portfoliomanagement Aktien bei Union Investment: „Wir erwarten, dass nach der starken Korrektur bereits viel Unsicherheit eingepreist ist. Wir erwarten keine Rezession in den USA, weshalb wir davon ausgehen, dass die meisten wichtigsten Aktienindizes zum Jahresende zumindest höher stehen könnten als aktuell. In Europa könnte aufgrund der niedrigeren Bewertungen der Spielraum für Kursgewinne sogar noch größer sein als in den USA.“ Mit Prognosen, wo die Aktienmärkte am Jahresende stehen, bleiben die meisten Experten aber zurückhaltend. Konkrete Zahlen nennt der Aktienmarktstratege der Helaba, Markus Reinwand: „Der faire Wert des Dax beträgt gegenwärtig rund 19.000 Punkte. Deutlich niedrigere Werte wären aus heutiger Sicht Kaufkurse. Unsere derzeitige Jahresendprognose für den Dax beläuft sich auf 20.000 Punkte." Die LBBW hatte zuletzt die pessimistischsten Prognosen am Markt, hat diese aber nun angepasst und sieht den Dax zum Jahresende ebenfalls bei 20.000 Punkten. DZ-Experte Sören Hettler sieht sogar Aufwärtspotenzial: „Im späteren Verlauf der zweiten Jahreshälfte dürfte in der Wahrnehmung der Marktteilnehmer wieder Platz für andere Einflussfaktoren sein. Voraussichtlich handelt es sich dabei um die für Anfang 2026 vorgesehenen Steuersenkungen in den USA sowie die ersten zarten Effekte der staatlichen Ausgabenprogramme für Verteidigung und Infrastruktur in Europa. Diese dürften den Boden für eine Jahresendrally und nachhaltig bessere Zeiten an den Aktienmärkten in Europa und den USA bereiten.“

„Volatilitätsindikatoren wie der VIX deuten auf anhaltende Turbulenzen hin, aber überverkaufte Bedingungen könnten eine Rally zum Jahresende auslösen, wenn die Angst nachlässt“, hofft auch Hans Selleslagh, Finanzexperte beim Online Broker Freedom24.

Ausmaß überrascht

Zunächst einmal aber haben die Aktienmärkte auf Trumps Zoll-Ankündigungen mit einem massiven Einbruch reagiert. Dabei hatte Trump schon in Wahlkampf und erst recht seit seiner Ernennung nie einen Hehl daraus gemacht, dass Zölle ein wesentlicher Teil seiner Politik sein werden. Die Aktienstrategen haben dafür eine Erklärung: „Die von Trump beschlossenen Zölle sind höher und auch umfangreicher als erwartet ausgefallen“ erläutert Union-Investment-Experte Gärtner. „Trump hat reziproke Zölle angekündigt. Darunter haben sich die meisten Marktteilnehmer vorgestellt, dass die Vereinigten Staaten ihre Zölle jeweils auf das Niveau des Handelspartners anpassen“, erklärt Berndt Fernow, Leiter Research bei der LBBW. Die tatsächliche Höhe der „sogenannten reziproken Zölle“ habe die Anleger dann geschockt.

China, das auf die Zölle der USA mit massiven Gegenzöllen reagiert hat, hat die Talfahrt der Aktienmärkte dann noch einmal verschärft. Die EU hält sich bisher zurück. Für Jan Holthusen, Bereichsleiter Research und Volkswirtschaft der DZ Bank, muss die EU mit Trump „aus einer Position der Stärke heraus verhandeln“. Als Druckmittel verweist er auch auf die vom Centrum für Europäische Politik ins Spiel gebrachte Digitalsteuer. Lieber wäre den meisten Experten aber der Verzicht auf weitreichende Zölle und der Abbau von Handelshemmnissen. „Aus ökonomischer Sicht sind Gegenmaßnahmen für die EU-Wirtschaft nicht sinnvoll“, so Helaba-Mann Reinwand: „Besser wäre es, man könnte sich auf Vorschläge wie „Null-für-Null Zölle“ auf Industriegüter einigen“. Sollte es doch zu Gegenzöllen kommen, erwartet Union-Investment-Mann Gärtner, dass „die Belastungen für die USA geringer ausfallen als für andere Länder“. Deka-Chefvolkswirt Kater rechnet mit einer stärkeren internen Integration der großen Wirtschaftsblöcke. Bilaterale Abkommen könnten dafür sorgen, dass die US-Wirtschaft „eher in eine isolierte Position innerhalb der Weltwirtschaft geraten“ wird.

„Trump ist unberechenbar“

Gegenwind im eigenen Land schien Trump lange nicht zu fürchten. Dabei sind auch die US-Aktienmärkte deutlich abgesackt. Als sich abzeichnete, dass Investoren im großen Stil US-Staatsanleihen abstoßen könnten, griff Trump dann doch zur zeitweisen Suspendierung der meisten Zölle. „Der Aktienmarkt bleibt zwar für Trump ein bedeutender Gradmesser, aber das Vermächtnis, als Retter der USA in die Geschichte einzugehen, scheint ihm wichtiger", glaubt Flosbach-Experte Vorndran. Zudem seien die US-Zwischenwahlen im Herbst 2026 noch weit entfernt. „Sein „man on the moon“-Projekt heißt MAGA“, glaubt Vorndran. Wenig Hoffnungen hat auch Benjardin Gärtner: „Die Handelspolitik von Donald Trump ist unberechenbar und erratisch. Es macht den Eindruck, als sei der US-Präsident rationalen Argumenten kaum zugänglich.“ „Es ist pure Ideologie, die die US-Regierung gegenwärtig treibt. Das bedeutet, dass sie sich von Fakten nicht beeinflussen lassen wird“, konstatiert auch Deka-Chefvolkswirt Kater. Deutliche Worte findet auch Holthusen: „Der von Trump angezettelte Zollkrieg mit China nimmt durch die jüngste Eskalation groteske Züge an. Die aktuell angedrohten hohen Zölle sind langfristig nicht haltbar. Die Folgen wären massive Preissteigerungen und Lieferengpässe in den USA.“ Deka-Mann Kater erwartet Lockerungen, aber erst mittelfristig: “Die Inflationsraten in den USA werden spürbar ansteigen, das Wachstum geht zurück, die Arbeitslosigkeit steigt. Das erhöht den Druck auf die US-Regierung, die bisherigen Maßnahmen im Laufe des kommenden Jahres zu lockern, um bei den Zwischenwahlen nicht unter die Räder zu kommen."

Schnelle Rettung von den Notenbanken erhoffen sich die Experten zumindest in den USA nicht. „Die Zollentscheidungen werden die Inflation in den USA spürbar erhöhen", glaubt LBBW-Analyst Fernow. DekaBank und Union Investment kommen sogar wortgleich zu dem Schluss: „Der Fed sind die Hände gebunden.“ Die US-Notenbank „dürfte erst im Fall einer deutlichen Verschlechterung der Konjunktur zu Zinssenkungen greifen“, erläutert Gärtner. Helaba-Experte Reinwand erklärt: „In den USA wirken die Zölle als stagflationärer Schock. Die Fed, die mit der Inflationsentwicklung sowieso schon unzufrieden war, wird nun noch mehr zögern, den Leitzins weiter zu senken.“ Auf kurze Sicht sei nicht mit Zinssenkungen zu rechnen. „Sollten sich die höheren Inflationsraten in deutlicheren Lohnsteigerungen niederschlagen, müsste die US-Notenbank längerfristig sogar über erneute Zinsanhebungen nachdenken“, fürchtet Hettler von der DZ Bank. Flossbach-Experte Vorndran schaut noch weiter in die Zukunft: „Powells Amtszeit endet nächstes Jahr im Mai. Spätestens dann könnte Trump einen ihm wohl gesonnenen Nachfolger installieren.“

EZB hat es leichter

Positiver blicken die Experten auf Europa und die EZB: „Die Wahrscheinlichkeit von Zinssenkungen im Euroraum ist durch die Zölle zuletzt sogar gestiegen. Die Rezessionsängste in der Eurozone haben zugenommen, gleichzeitig sind die Inflationserwartungen gesunken“, sagt Helaba-Experte Reinwand. An den Terminmärkten werde bereits das Szenario einer Reduktion des EZB-Einlagensatzes unter die 2%-Marke gespielt. Zu einem ähnlichen Schluss kommt Gärtner: „Das schwächere Wachstum verringert hier die durch den Handelskonflikt entstehenden Inflationsrisiken. Wir rechnen damit, dass die EZB daher die Zinsen in diesem Zyklus noch zwei Mal senken wird.“ Die LBBW erwartet nach zwei Zinsschritten bis zur Jahresmitte sogar noch einen dritten in der zweiten Jahreshälfte und einen Einlagesatz bei 1,75%.