„Umfeld für Emerging Markets hat sich verbessert“
Christopher Kalbhenn.
Frau Damani, wie sieht das Umfeld für Schwellenländeranleihen nach dem schwierigen Jahr 2022 aus?
Das zurückliegende Jahr war für Emerging-Markets-Anleihen extrem schwierig. Belastet haben die stark steigenden Zinsen und die bemerkenswerte Stärke des Dollar. Ferner gab es makroökonomischen Gegenwind durch die Wachstumsabschwächung in China und den Ukraine-Krieg, durch den die Treibstoff- und Nahrungsmittelpreise stark gestiegen sind. In diesem Jahr sind bei einigen der Gegenwinde Anzeichen zu erkennen, dass sie nachlassen. Die Zentralbanken der Industrieländer haben ihre Leitzinsanhebungen bereits zu einem substanziellen Teil gemacht, sind aber noch nicht fertig. Der US-Arbeitsmarkt ist sehr stark. Zwar hat die Disinflation begonnen, aber die Fed ist noch nicht bereit, den Sieg zu erklären. Die Inflation muss noch weiter sinken und der Arbeitsmarkt sich etwas abschwächen. Die Notenbank ist dennoch vorsichtig, da nun etliche Zinserhöhungen erfolgt sind und sich erst noch vollständig auswirken werden.
Ist das Umfeld also nun wesentlich besser geworden?
Wir sind nun in einem Umfeld hoher Renditen und einer niedrigeren Zinsvolatilität. 2022 gab es nicht nur einen starken Anstieg der Zinsen, sondern auch eine immense Zinsvolatilität, die für Verunsicherung und Risikoaversion sorgte. Jetzt hat sich das Umfeld für Emerging Markets verbessert. Die Dollar-Stärke des zurückliegenden Jahres dürfte sich 2023 legen. Hinzu kommt das Ende der Null-Covid-Politik beziehungsweise die Aufhebung der Corona-Restriktionen in China. Das dürfte das globale Wachstum stützen. Der positive Impuls aus China kann noch stärker werden, wenn es entsprechende geld- und fiskalpolitische sowie regulatorische Unterstützung gibt. Der Impuls aus China wird aber weniger investitionsorientiert, sondern stärker konsumorientiert sein. Zu erwähnen ist auch der warme Winter in Europa, der der Region angesichts der Energiekrise zu einem glücklichen Jahresstart verholfen hat. Durch den starken Rückgang der Gaspreise werden in Europa der Konsument und das Wachstum gestärkt. Insgesamt haben wir eine Balance aus Risiken und positiven Rückenwinden. Für die Emerging Markets wird für 2023 und 2024 ein höheres Wachstum erwartet als in den entwickelten Volkswirtschaften. Das löst typischerweise Kapitalzuflüsse in die Schwellenländer aus.
Wie sehen die Inflations- und geldpolitischen Aussichten in den Schwellenländern aus?
Das Inflationsbild bleibt von Land zu Land verschieden. Aber insgesamt betrachtet hat das Inflationsmomentum in den Emerging Markets gegen Ende 2022 begonnen, sich zu verlangsamen. Denn die meisten dieser Länder waren den Industriestaaten im geldpolitischen Straffungszyklus voraus. Einige Zentralbanken signalisieren jetzt eine Zinserhöhungspause, einige haben bereits eine Pause eingelegt und einige sind bereits eher daran, die Zinsen zu senken.
Die Emerging Markets haben zuletzt deutlich zugelegt. Wird sich das fortsetzen?
Während einige Zentralbanken der Schwellenländer bereits eher daran sind, die Zinsen zu senken, ist noch unklar, ob die Fed bereits in diesem Jahr die Zinsen senken kann. Außerdem sind die Wachstumsaussichten in den Schwellenländern besser als in den entwickelten Volkswirtschaften. Ein Teil der besseren Aussichten ist in der Kursentwicklung seit November reflektiert. Hinzu kommt die niedrige Positionierung der Investoren in Emerging Markets bei gleichzeitig hohen Cash-Beständen. Das hat sicherlich zur jüngsten Kurserholung beigetragen und dazu, dass das relativ große Emissionsaufkommen an Schwellenländeranleihen gut aufgenommen wurde. Es gab viele große Neuemissionen von Staaten und Unternehmen, die Investoren sehr gut gezeichnet haben.
Wie beurteilen Sie die Aussichten des unter Investment Grade liegenden Bereichs?
Wie erwähnt sind große Investoren noch vielfach untergewichtet, angesichts des Zinsanstieges und erhöhter Unsicherheit. Das sollte die Assetklasse stützen, auch unterhalb des Investment-Grade-Bereichs. Das Segment in Nöten geratener Emittenten ist im vergangenen Jahr stark gewachsen, unter anderem wegen der großen Schocks und der Schließung der Märkte für diese Emittenten. China ist ein großer Gläubiger dieses Segments und war im vergangenen Jahr stark innenpolitisch fokussiert. Jetzt gibt es aber eine Wende hin zu einer wieder stärkeren Orientierung nach außen. Daher erwarten wir mehr Engagement des Landes bei der Restrukturierung notleidender Kredite von Ländern wie Sri Lanka und Sambia. Es gab auch viele multilaterale Unterstützungsmaßnahmen für diese Länder sowie bilaterale Finanzierungen, etwa durch die Golf-Staaten. Das hat die Notwendigkeit dieser Länder reduziert, sich zu den sehr hohen Zinsen am Markt zu refinanzieren. Dadurch wird das High-Yield-Segment in gewissem Maße stabilisiert. Zudem sollten wir auch beim durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Schockeffekt bei Nahrungs- und Düngemittelpreisen gewisse Anzeichen sehen, dass er nachlässt, nachdem der Energiepreisschock bereits nachgelassen hat. Die Ölpreise dürften aber wahrscheinlich durch die Wiedereröffnung Chinas wieder steigen, wenn auch nicht in dem verheerenden Ausmaß des zurückliegenden Jahres.
Wie hoch sind die derzeit von Schwellenländern gebotenen Verzinsungen?
Investment-Grade-Staatsanleihen bieten derzeit rund 5,25 bis 5,5%, unterhalb des Investment-Grade-Bereichs liegen die Renditen bei rund 12% einschließlich des Segmentes notleidender Kredite. Im stabileren Hochzinsbereich mit „BB“-Ratings sind es etwa 7 bis 8%. Das ist aus Renditesicht recht attraktiv. Bei Lokalwährungsanleihen besteht die Aussicht eines zweifachen Rückenwinds durch die hohen Zinsen, die zurückgehen, und erstarkende Währungen. Interessant ist, dass die Notenbanken der Emerging Markets dieses Mal zum Großteil sehr darauf fokussiert waren, die Inflation und die Inflationserwartungen einzudämmen. Es gab in den Schwellenländern substanzielle Leitzinsanhebungen, und die Zentralbanken sind jetzt noch immer sehr vorsichtig, was Zinssenkungen betrifft.
Was sich im Falle der Türkei nun nicht gerade sagen lässt.
Die Türkei ist ein Land, das weiterhin eine unorthodoxe Geldpolitik betreibt. Durch das entsetzliche Erdbeben erhöhen sich die Herausforderungen zusätzlich. Zudem stehen Wahlen bevor. Auch die Wahlen in Nigeria könnten erhebliche Folgen haben. Beide Volkswirtschaften sind stark zurückgefallen. Nigeria etwa könnte die Governance wiederherstellen, einen ökonomischen Neustart einleiten, fiskalisch disziplinierter werden, etwa durch die Reduzierung von Subventionen, und die Ölförderung hochfahren. Wir sind für Nigeria bezüglich eines Neustarts hoffnungsvoller als für die Türkei.
Wie beurteilen Sie europäische Schwellenländer?
Unter anderem sind die Entwicklungen in Polen und Ungarn interessant. Ungarn ist orthodoxer geworden, was die Geldpolitik betrifft. Das Land hat aggressiv daran gearbeitet, die Inflation einzudämmen, und bewegt sich bezüglich der Gewaltenteilung auf die EU zu. Polen scheint dagegen rückwärtszugehen. Die Regierung hat die Zentralbank unter Druck gesetzt, die Zinsen zu senken, obwohl die Inflation aus unserer Sicht hoch ist. Außerdem gibt es bezüglich der Gewaltenteilung Diskrepanzen mit der EU. Serbien war auf einem guten Weg, was die Fiskalpolitik und strukturelle Reformen betrifft, hat aber durch den Ukraine-Krieg einen Rückschlag erlitten. Mittlerweile verbessert sich die Fiskal- und Strukturpolitik wieder. Wenn sich das fortsetzt, könnte das Land mit dem aktuellen Rating „BB+“ mittel- bis langfristig den Investment-Grade-Bereich erreichen.
Was halten Sie nach dem Machtwechsel von Brasilien?
Brasilien erhält Rückenwind von der Rohstoffseite. Das Land hat als erstes die Leitzinsen angehoben, und das auf sehr hohe Niveaus. Durch die Wahl Lula da Silvas zum Präsidenten ist das politische Bild jetzt komplizierter. Der Markt würde gerne den pragmatischen und marktorientierten Lula von früher sehen. Dieser zeigt sich bislang aber weniger orthodox und hat auf Leitzinssenkungen gedrängt. Wir sind daher etwas vorsichtiger als der Markt. Wir würden zwar gerne den pragmatischen Lula sehen, aber die Lage ist noch unklar.
Machen die hohen Zinsen die Anleihen des Landes denn nicht interessant?
Die Lokalwährungsanleihen rentieren bei zehnjähriger Laufzeit oberhalb von 13%. Das sieht aus Sicht der Risikoaufschläge attraktiv aus, aber es ist unklar, wie schnell und wie weit die Zentralbank die Zinsen senken kann. Der Markt hatte bereits viele Zinssenkungen eingepreist und diese dann wegen der politischen und fiskalpolitischen Unsicherheit wieder ausgepreist. Aber der Risikoaufschlag ist recht attraktiv, selbst wenn es zunächst nicht zu Zinssenkungen kommen sollte. Im weiteren Verlauf dürfte es aber Zinssenkungen geben, wenn die Inflation sinkt und die Wirtschaft sich verlangsamt.
Gibt es Regionen oder Länder, die Ihnen besonders gut gefallen?
Wir fokussieren uns eher auf Länder als auf Regionen. Die Assetklasse ist sehr divers, man muss sich jedes Land einzeln anschauen. Wir unterscheiden zwischen stabileren Ländern wie Mexiko, Indonesien und Südafrika auf der einen Seite und ergänzen diese auf der anderen Seite des Spektrums mit weniger defensiven High-Yield-Ländern. Bei diesen muss man mehr Research betreiben und genauer hinsehen. Beispiele sind Angola und Sambia. Beide Länder haben eine substanzielle Restrukturierung gestartet. Sie sind rohstoffstark, Angola mit Erdöl, Sambia mit Kupfer. Interessant sind auch Senegal und Elfenbeinküste. Sie sind auch „B“-geratet, aber stabiler als Angola und Sambia. Ferner ist der Oman einen Blick wert. Das „BB minus“ geratete Land betreibt eine substanzielle fiskalische Konsolidierung und bemüht sich um die Diversifizierung seiner Volkswirtschaft. Selbst Sri Lanka könnte interessant werden, sollte man dort mehr Restrukturierungsbemühungen erkennen. Denn es gibt zunehmende Bestrebungen, alle Schuldner dazu zu bewegen, einem Plan mit multilateralen und bilateralen Finanzierungszusicherungen zuzustimmen – auch wenn Chinas Antwort noch aussteht. Die Anleihen des Landes sind durch die politische und wirtschaftliche Krise der vergangenen Jahre stark unter Druck geraten. Sie werden auf Niveaus gehandelt, die für sehr stark notleidende Papiere typisch sind, im mittleren Dreißiger-Prozentbereich.
Das Interview führte