Ulrike Malmendier

Fachkräfte­engpass  könnte „die nächste Wachstums­bremse werden“

Der konjunkturelle Gegenwind lässt nicht nach, Herausforderungen werden teils zu zögernd angegangen. Andererseits wird vor einem Überschießen getroffener Gegenmaßnahmen gewarnt. Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier ordnet die Gemengelage ein.

Fachkräfte­engpass  könnte „die nächste Wachstums­bremse werden“

Angela Wefers und Alexandra Baude.

Frau Prof. Malmendier, lange wurden Sie umworben, nun sind Sie eine Wirtschaftsweise: Wie war der Start für Sie über den Atlantik? Wie intensiv fielen die Diskussionen in einer Phase rasant steigender Energie- und Verbraucherpreise sowie hoher Unsicherheit aus?

Wir hatten im Sachverständigenrat einen großartigen Start. Wir haben uns schnell als Team zusammengefunden und viele hervorragende Diskussionen geführt, von denen ich viel gelernt habe. Zum Inflationsthema habe ich ja eh – von meinem Forschungsgebiet her – einen besonderen Bezug, und es ist schon toll, davon etwas in die Praxis zu bringen.

Sie haben als Verhaltensökonomin einen besonderen Blick auf die Teuerung. Sehen Sie die Inflationserwartungen als entankert an? Eine Sorge, die Zentralbanken derzeit umtreibt.

Derzeit sehen wir die Inflationserwartungen nicht als entankert an. Ganz im Gegenteil könnte man fast überrascht sein, für wie wahrscheinlich die Marktteilnehmer eine Rückkehr zum angestrebten 2-Prozent-Ziel halten. Glückwunsch an die EZB! Im Sachverständigenrat erwarten wir ebenfalls, dass die Inflation im kommenden Jahr sinkt, aber weiterhin relativ hoch bleibt. Die EZB muss auf jeden Fall weiterhin entschlossen handeln, um den Inflationsdruck zu senken und eine Entankerung der Inflationserwartungen zu verhindern.

Die Europäische Zentralbank (EZB) selbst hat die hohe Inflation lange als temporäres Phänomen bewertet und nun im Kampf gegen die Rekordwerte kräftige Zinssprünge von 50 und zweimal 75 Basispunkten hingelegt – trotz Rezessionssorgen. Wie weit kann sie in diesem Spagat noch gehen?

Die Kunst wird darin bestehen, die Zinsen mit Augenmaß zu erhöhen, um die Inflation wirksam zu bekämpfen, ohne dass die Konjunktur übermäßig einbricht. Insofern ist das Abrücken der EZB von ihrer Forward Guidance zu begrüßen. Ich sehe darin das Zugeständnis, dass man von Sitzung zu Sitzung neu bewerten muss, welche Aspekte im Spagat zwischen Inflation und Rezession gerade überwiegen. Jedoch möchte ich erneut betonen, dass die EZB vorrangig die Preisstabilität gewährleisten muss und nur so ihre Glaubwürdigkeit erhalten kann.

Der EZB geht es auch um „günstige Finanzierungsbedingungen“. Die Konditionen ziehen derzeit an. Können Unternehmen in der aktuellen Lage genügend investieren und handeln sie gerade mit Blick auf die Zukunft vorausschauend?

Zunächst einmal hat die EZB ja, anders als die Fed in den USA, kein „dual mandate“, muss sich also primär um die Preisstabilität kümmern. Wachstums- und Finanzierungsfragen sind für sie nachgeordnet. Das heißt nicht, dass diese weniger wichtig sind. Unternehmen müssen gerade jetzt vorausschauend handeln. Wir befinden uns in einer Zeit des strukturellen Wandels und sind mit neuen geopolitischen Realitäten konfrontiert. Hier langfristig zu handeln, heißt zum Beispiel, einseitige Lieferabhängigkeiten zu minimieren oder, angesichts des demografischen Wandels, neue Wege bei der Rekrutierung von Arbeitskräften zu gehen.

Die Bundesregierung steuert mit Schuldenpolitik gegen die Krise. Arbeiten Geldpolitik und Fiskalpolitik hier gegeneinander? Wo liegt das richtige Maß?

Ideal wäre, Hilfsmaßnahmen gezielt den Haushalten und Unternehmen zukommen zu lassen, die durch die Inflation am stärksten belastet sind und bei denen solche Hilfe nicht im Widerspruch zum vorausschauenden Handeln steht, das Sie eben angesprochen haben. Bei den Haushalten beobachten wir zum Beispiel, dass niedrigere Einkommensgruppen ihren Konsum besonders stark einschränken müssen, nicht nur weil die erfahrene Inflation höher ist, sondern auch weil sie einen größeren Anteil ihres Nettoeinkommens für Energie und Lebensmittel ausgeben müssen. Deshalb sollten Haushalte mit einem niedrigen Einkommen möglichst zielgenau entlastet werden. Wenn auch einkommensstarke Haushalte in die Finanzierung einbezogen werden, kann der inflationstreibende Effekt begrenzt werden. Ähnliches gilt für die Unterstützung der Unternehmen, nur dass wir hier auf die langfristige Tragfähigkeit des Geschäftsmodells als Kriterium abzielen sollten.

Die Krise führt zu staatlichen Eingriffen in den Markt – etwa bei den Energiepreisen. Sind die Mechanismen des Marktes noch ausreichend wirksam? Brauchen wir eine genauere Exit-Lösung?

Bei staatlichen Eingriffen werden wir Ökonomen in der Tat schnell nervös. Es wäre ja durchaus möglich, Unterstützungen zielgenau, ohne derartige Eingriffe zu leisten. Hätten wir zum Beispiel über eine quervernetzte Steueridentifikationsnummer die Möglichkeit, Einmaltransfers zielgenau an die richtigen Empfänger zu senden, könnte ihnen ebenso viel geholfen werden wie mit Markteingriffen, gleichzeitig aber die Lenkungsfunktion des Preises (wie zum Beispiel Sparanreize) und die Langfristorientierung erhalten bleiben. Ich hoffe sehr, dass wir entsprechende Lehren aus dieser Krise ziehen werden und so etwas in der Zukunft möglich sein wird!

Die Stimmung der Unternehmen ist derzeit sehr schlecht, ebenso wie die der Verbraucher. Sehen Sie die Gefahr einer Self Fulfillig Prophecy – also die Laune immer mieser wird, der Konsum sinkt, Unternehmen Jobs streichen und so weiter?

Die Stimmung der Unternehmen sollten wir sehr ernst nehmen. Deutschland muss für zukunftsorientierte, innovative Firmen attraktiv bleiben. Im Allgemeinen beobachte ich aber bei den Stimmungsindizes der Unternehmen recht rationales Denken – die Lage ist aktuell jedoch schwierig und wird langfristig schwieriger bleiben, als wir das noch vor zwei Jahren gedacht haben. Kurzfristig brauchen wir daher Entlastungen für Unternehmen, um die akute Krise zu überbrücken. Mittelfristig kann die Verfügbarkeit von günstiger, CO2-armer Energie die Energiekosten der deutschen Unternehmen senken und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Zu Beginn der Krise ging die Sorge vor einer Pleitewelle um. Die Zahlen sind immer noch unterdurchschnittlich. Haben Wirtschaftshilfen der Bundesregierung und die Insolvenzaussetzung tatsächlich Zombie-Firmen kreiert? Befürchten Sie Entlassungswellen mit der Folge einer Nachfrageschwäche?

Wir gehen in unserer Prognose nicht von einer Insolvenzwelle aus. Aber: Nicht bei allen Unternehmen muss mit Wirtschaftshilfen das Überleben gesichert werden. Jedes Geschäftsmodell sollte trotz langfristig erhöhter Energiepreise tragfähig sein. Das heißt übrigens nicht, dass es andernfalls keine Unterstützung geben sollte. Wichtig ist aber, dass in solchen Fällen die Unterstützung entweder in Richtung Umorientierung oder in Hilfe bei der Abwicklung gehen sollte. Entlassungswellen sehen wir ebenso wenig; dazu ist die Nachfrage nach Arbeitskräften zu hoch. Doch die Zukunftsorientierung ist relevant. Deswegen sind Weiterbildung und Erwerbsmigration in unserem Jahresgutachten ein großes Thema.

Der Arbeitsmarkt zeigt sich noch robust, viele Unternehmen treibt der Fachkräftemangel um – wird das die nächste Wachstumsbremse, engagiert sich die Bundesregierung hier genug?

Fachkräfteengpässe könnten tatsächlich die nächste Wachstumsbremse werden. Auf Seiten der Unternehmen würde ich aktivere Bemühungen um qualifizierte Fachkräfte begrüßen. In den USA beobachte ich Riesenanstrengungen, die Firmen unternehmen, um fähige Ausländer im Land zu halten oder erst anzulocken. Warum passiert bei uns da nicht etwas in ähnlichem Ausmaß? Natürlich kann nicht jedes kleine oder mittlere Unternehmen individuell aktiv werden; aber vielleicht Wirtschaftsverbände und lokale oder industriespezifische Zusammenschlüsse. Von Seiten der Regierung müssen bürokratische Hürden abgebaut werden und die Erwerbsmigration für Personen aus Staaten außerhalb der EU geöffnet werden. Wir brauchen Ausländerbehörden, die die Rolle von serviceorientierten Immigrationsagenturen übernehmen. Gleichzeitig sehe ich noch unausgeschöpftes Potenzial in der beruflichen Weiterbildung.

Nicht zuletzt wegen der hohen Inflation haben die Gewerkschaften hohe Forderungen auf den Tisch gelegt: Droht jetzt eine Lohn-Preis-Spirale?

Da würde ich erst einmal abwarten. Historisch gesehen haben die Lohnentwicklungen der Inflation in Deutschland oft hinterhergehinkt, und so sieht es auch derzeit aus. Auch hoffe ich, dass die konzertierte Aktion mithelfen wird, angemessene Anpassungen zu finden.

Verbraucher müssen sich bereits einschränken. Da bleibt weniger Geld für die Altersvorsorge, auch die Sozialsysteme werden stärker belastet. Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma?

Wir müssen leider die neue Realität so akzeptieren, wie sie ist. Bei langfristig höheren Energiepreisen wird unser Land langfristig ärmer sein. Die Frage ist, wie schnell wir es schaffen, uns darauf einzustellen. Deutschland hat nach wie vor wichtige Standortvorteile, von der Rechtssicherheit bis zur traditionell hohen Ausbildungsqualität. Es gilt, diese besser auszuschöpfen, auch durch erhöhte Nutzung des Fachkräftepotenzials. Es wird sicher eine weitere Verschiebung innerhalb der deutschen Industrie geben, so wie wir das ja schon seit den Ölpreiskrisen der 70er Jahre beobachtet haben.

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