Bundeshaushalt

Im Dschungel der Milliarden

Nur noch Eingeweihte haben den Überblick über die vielen Töpfe, aus denen sich der Bundeshaushalt speist. Über Ausgaben und Kredite fehlt Transparenz. Die Fiskalregeln müssen wieder geschärft werden.

Im Dschungel der Milliarden

Bis zum Morgengrauen saßen die Haushälter in der vorigen Woche zusammen, um einen Schlussstrich unter die Planung des Bundeshaushalts 2023 zu ziehen. 18 Stunden haben sie gebraucht. Es war eine der längsten Sitzungen in der Geschichte des Haushalts­ausschusses. Am Ende standen anstelle der ursprünglich geplanten 17,2 Mrd. Euro im nächsten Jahr 45,6 Mrd. Euro Nettokreditaufnahme in der Endabrechnung, 31,1 Mrd. Euro Ausgaben wurden zusätzlich bewilligt. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kann gleichwohl sagen, die Schuldenbremse wird nächstes Jahr wieder ziehen. Formal hat er recht, faktisch gibt diese Bundesregierung deutlich mehr Geld auf Pump aus als ihre Vorgängerin. Dafür ist die Ampel-Koalition eine Reihe von Ausweichmanövern gefahren.

Die Schuldenbremse verursacht – anders als ihre Kritiker behaupten – in schwierigen Zeiten keinen Vollcrash in der Fiskalpolitik. Im Gegenteil: Sie ist flexibel, atmet mit der Konjunktur. Gerade weil die Konjunktur 2022 stärker eingebrochen ist und sich 2023 nicht so wie erwartet erholt, konnten die Haushälter Ausgaben und Neuverschuldung erhöhen, ohne Fiskalregeln zu brechen. Der Kreditspielraum des Bundes ist in solchen Jahren höher. Damit soll die Regierung schwierige Zeiten finanziell überbrücken können. Tatsächlich nutzt die Ampel den punktuellen Spielraum aber für dauerhafte Zwecke – etwa für den Aufbau von 5000 neuen Stellen in Bundesbehörden. Auch für den weltweiten Kampf gegen Hunger, für humanitäre Hilfe und zivile Krisenprävention wurden Mittel deutlich aufgestockt. Auch dies sind keine vorübergehenden Ausgaben. Bemerkenswert ist, dass den Haushältern eine Übersicht fehlt, welche ihrer zusätzlichen Bewilligungen auf Dauer angelegt sind und welche einmalige Projekte sind. Ein solcher Ansatz wäre für solide Haushaltspolitik durchaus hilfreich.

Echte krisenbezogene Ausgaben hat die Ampel in Extrahaushalte verbannt und finanziert sie über Kredite aus Sondervermögen des Bundes: Dazu gehören die 200 Mrd. Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds gegen die Energiekrise. Sie müssen bis 2024 reichen. Das Konzept, Ausgaben für Krisen von laufenden Ausgaben zu trennen, mag zwar Lindner politisch helfen, die Ausgabewünsche in der Regierungskoalition zu zügeln – mit der Schuldenbremse hat dies jedoch nur noch wenig zu tun, jedenfalls nicht mit der ursprünglichen Fassung. Kredite, auch solche in Sondervermögen, mussten zuvor klar dem Jahr der Kreditaufnahme zugerechnet werden. Dies steht für Transparenz. Die Ampel hat mit dieser Regel gebrochen. Kredite werden nun dem Jahr der Entscheidung über Kreditermächtigungen zugerechnet – und da war praktischerweise die Schuldenbremse wegen der Coronakrise gerade ausgesetzt. Ein Limit fehlte. Die neue Zurechnung gilt auch für den Klima- und Transformationsfonds, der 2021 dotiert wurde. 60 Mrd. Euro Kreditspielraum, nutzbar neben der Schuldenbremse, schlummern dort noch.

Überblick über die verschiedenen Töpfe, aus denen sich der Bundeshaushalt nun speist, haben nur noch Eingeweihte – sowohl bei Ausgaben als auch bei Krediten. Tatsächlich werden die Ausgaben 2023 deutlich höher sein als die von den Haushältern in der Bundestagsberatung freigegebenen 476 Mrd. Euro aus dem Kernhaushalt. Hinzu kommen schuldenfinanzierte 120 Mrd. Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds; weitere 37 Mrd. Euro können kreditfinanziert aus dem Klima- und Transformationsfonds abgerufen werden. Damit ist der Bundeshaushalt bei periodengerechter Zuweisung 2023 mit rund 200 Mrd. Euro Kredit belastet – die Ausgaben für die Bundeswehr aus dem Sondervermögen noch nicht eingerechnet.

Eine Übersicht über die eigentliche fiskalische Lage gibt es nicht. Dies wäre der erste Schritt für eine ehrliche politische Debatte. Ein nächster Schritt wäre es, die nationalen Fiskalregeln für den Bund wieder so zu festigen, dass Änderungen im Kleingedruckten nicht ihre Deformation erlauben. Die Schuldenbremse atmet nicht nur mit der Konjunktur, sie kann in echten Krisenfällen auch ausgesetzt werden, sichtbar für alle. Wirksame Regeln sind nötig, wenn die Fiskalpolitik nicht aus dem Ruder laufen soll. Denn es wird schwerer werden für die Regierung. Die Wende in der Geldpolitik hat die Zinsausgaben des Bundes vom Tiefpunkt von 4 Mrd. Euro auf jetzt fast 40 Mrd. Euro pro Jahr verzehnfacht. Diese Rückkehr zu alten Zinszeiten engt politische Gestaltung nicht nur vorübergehend ein. Auf diese Situation muss sich die Ampel dauerhaft einstellen. Wer mit Krediten aus dem Vollen schöpft, wird diese Lage nur verschärfen. (Börsen-Zeitung, 15.11.2022)

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