Schwellenländer

König Dollars harte Herrschaft

Die Dollar-Aufwertung hat Schwellenländer-Assets 2022 schwer belastet. Nun hoffen Investoren auf einen Umschwung – doch gerade von Währungsseite drohen noch erhebliche Risiken.

König Dollars harte Herrschaft

König Dollar herrscht im laufenden Jahr mit harter Hand über die Märkte der Schwellenländer – doch zuletzt ist bei Investoren Hoffnung aufgekommen, dass die Macht des Regenten bröckelt. Dem J.P. Morgan Emerging Market Bond Index Global Core beispielsweise hat die Hoffnung auf eine schwächere Entwicklung des Greenback zuletzt Auftrieb verliehen. So legte das Barometer, das die Entwicklung von liquiden Staatsanleihen und Bonds staatlich kontrollierter oder besicherter Gesellschaften nachbildet, im November mit einem Plus von 7,6% den stärksten monatlichen Anstieg seit 1998 hin und hat sich im Dezember weiter befestigt.

Für Schwellenländer mit einem großen Volumen ausstehender Dollar-Anleihen zieht ein festerer Greenback Belastungen nach sich, weil ihre eigenen Währungen in der Folge leiden und sie Schulden zu teureren Bedingungen zurückzahlen müssen.

Insbesondere niedriger als erwartet ausgefallene US-Inflationsdaten wirkten sich laut Analysten daher zuletzt positiv auf Emerging-Market-Bonds aus. Im Oktober belief sich die Teuerung in den Vereinigten Staaten auf 7,7%, was den vierten Rückgang gegenüber dem Vormonat in Folge darstellte. Dies weckte Hoffnungen auf einen weniger aggressiven Kurs der Federal Reserve: Notenbankchef Jerome Powell stellte für die Sitzung der Währungshüter in der kommenden Woche eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte in Aussicht, nachdem der US-Leitsatz zuvor viermal in Folge um 75 Basispunkte gestiegen war.

Großvolumige Mittelabflüsse

Im laufenden Jahr haben die US-Zinsanstiege­ für eine Investorenflucht aus Emerging Markets gesorgt. Laut J.P. Morgan sind aus Schwellenländeranleihefonds zwischen An­fang Januar und Ende November 85 Mrd. Dollar abgeflossen, dies bedeutet den größten Schwund seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 2005. Allerdings verzeichneten die Vehikel Mitte November wieder leichte wöchentliche Zuflüsse.

Neben Schwellenländeranleihen liegen auch Aktien im Aufwärtstrend. Ein Emerging-Market-Index von MSCI hat auf Dollar-Basis seit Ende Oktober um 14,7% zugelegt. Am indischen Aktienmarkt fielen zuletzt sogar Rekorde. Die Leitindizes Nifty 50 und Sensex profitierten bei ihren Sprüngen auf Allzeithochs Ende November laut Analysten auch von der Unsicherheit um die chinesische Anti-Corona-Politik, infolge derer sich Investoren von der Volksrepublik ab- und anderen Märkten zuwenden. So hat die Weltbank ihre Prognose für das Wachstum der indischen Wirtschaft im kommenden Jahr von 6,5% auf 6,9% erhöht.

Diese Aussichten ziehen ausländische Investoren an, die laut Daten des Zentralverwahrers NSDL im vergangenen Monat indische Aktien im Gegenwert von 4,4 Mrd. Dollar kauften. Allerdings könnte eine Verlangsamung der globalen Handelsaktivität auch das südasiatische Land hart treffen. So gehen die Weltbank-Ökonomen davon aus, dass jeder Anstieg des Rohölpreises um 10 Dollar zu einer Ausweitung der indischen Leistungsbilanz um 1% führen dürfte.

Zweischneidiges Schwert

Die harte Herrschaft von König Dollar stellt aus Sicht Indiens also ein zweischneidiges Schwert dar. Denn eine Befestigung des Greenback bremst Ölpreisanstiege aus, da die führenden Sorten in der US-Devise notieren. Andererseits hat eine Dollar-Aufwertung stark inflationäre Wirkung auf die Ökonomien der Emerging Markets, was die Gefahr von Währungskrisen nach sich zieht.

Dass eine bedeutende Zahl an Schwellenländern diesbezüglich er­heblichen Risiken ausgesetzt ist, zeigt auch der Damokles-Index des japanischen Assetmanagers Nomura. Dieser setzt sich aus acht Schlüsselindikatoren zusammen, darunter das Verhältnis zwischen Devisenreserven und Importvolumen, die kurzfristige Auslandsverschuldung in Prozent der Exporte, die kurzfristigen Kapitalmarktzinsen, der Haushaltssaldo und die Leistungsbilanz. Wenn der Damokles-Score eines Staates die Schwelle von 100 überschreitet, ist dies laut Nomura ein Anzeichen für stark erhöhte Wechselkursrisiken – habe ein Land diese Marke geknackt, sei in den zwölf Monaten darauf in 64% der Fälle seit 1996 eine Währungskrise gefolgt.

Besonders gefährdet sind gemäß den Daten des Assetmanagers momentan Ägypten, Rumänien, Sri Lanka, die Türkei, Tschechien, Pakistan und Ungarn, doch auch Brasilien ist nach einem Sprung um 67 Indexpunkte seit Mai nicht mehr weit von der 100-Zähler-Grenze entfernt. Zwischen dem damaligen Update und der November-Veröffentlichung des Nomura-Barometers sind die Damokles-Scores von 22 der 32 Länder in der Emerging-Market-Auswahl gestiegen, dagegen gingen sie für lediglich drei Staaten zurück.

In Summe sind die Damokles-Scores der 32 Länder binnen sechs Monaten von 1744 auf 2234 Punkte geklettert, was das höchste Niveau seit 1999 bedeutet. Auch die zum Höhepunkt der asiatischen Finanzkrise in den Jahren 1997 und 1998 erreichten Rekordstände sind damit in Schlagdistanz. Schwellenländer seien ungleich härter von den Schocks durch den Ukraine-Krieg, die Corona-Pandemie, die aggressive Fed-Geldpolitik und die resultierende Stärke des Greenback getroffen worden als Industrienationen.

Indes hat die Hoffnung darauf, dass die Dominanz von König Dollar gebrochen werden könnte, durch stärker als erwartet ausgefallene US-Konjunkturdaten­ einen Dämpfer erhalten. Denn die Fed verfügt damit über mehr Spielraum für weitere Zinserhöhungen – tatsächlich betonte Powell zuletzt auch, dass die Währungshüter im Ringen um Preisstabilität noch einen weiten Weg zu gehen hätten. Die Analysten von Bloomberg Intelligence sehen durch die Spread-Volatilität von Emerging-Market-Anleihen entsprechend weitere be­trächtliche Rückschlagsrisiken für Gläubiger. Vieles spricht also dafür, dass Schwellenländer-Investoren König Dollars Herrschaft auch in den kommenden Monaten in aller Härte zu spüren bekommen.

Von Alex Wehnert, Frankfurt

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