Netto null bei Green Buildings in weiter Ferne
Nein, wir machen keinen Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft. Ein bitteres Fazit, das Susanne Eickermann-Riepe, Vorstandsvorsitzende der RICS in Deutschland kürzlich bei der Vorstellung des Sustainability Report 2022 zog. Tatsächlich zeigt der auf Grundlage einer Befragung von mehr als 3000 Immobilienexperten und Mitgliedern der Branchenvereinigung erstellte Bericht ein durchaus differenziertes Bild – das sich im Übrigen auch aufhellt, weitet man den Blick.
Green Buildings, also als nachhaltig zertifizierte Gebäude, werden in Deutschland immer stärker nachgefragt. 2021 haben vor allem Versicherer sowie offene und geschlossene Fonds hierzulande etwa 12,4 Mrd. Euro überwiegend in solche grünen Bürogebäude investiert. Das waren rund ein Viertel aller Einzeldeals – im historischen Vergleich ein Rekordhoch (siehe Grafik). Konzentriert haben sich diese meist von der DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen zertifizierten Gebäude auf die sogenannten A-Städte Berlin, Frankfurt und München. Immerhin sind in Deutschland schon rund 2600 Gebäude zertifiziert und können damit als besonders nachhaltig gelten, heißt es im Bericht „Investmentmarkt Green Buildings 2022“ von BNP Paribas Real Estate.
Institutionelle als Vorreiter
Es zeigt sich also: Gerade große, institutionelle Investoren sind in Sachen Nachhaltigkeit Vorreiter. Das liegt nicht nur an den eigenen Unternehmenszielen (bzw. denen der Konzerne, zu denen sie gehören), sondern auch an einer entsprechenden Nachfrage. Denn viele, gerade internationale, Mieter ziehen nur noch Bürogebäude, die ressourcensparend errichtet wurden und auch so betrieben werden können. Das nachzuweisen, ist allerdings nicht trivial. Die Immobilienexperten von BNP Paribas Real Estate schreiben in ihrem Bericht, dass viele Transaktionen unter einer ungenügenden ESG-Datenbasis leiden. Die Zertifikate, die zu ihrer Verleihung eine Vielzahl von Daten verlangen, sind da sicherlich eine Hilfe.
Ein Blick auf den Neubau ernüchtert. In Deutschland geben 71% der vom Branchenverband RICS Befragten an, Kohlenstoffemissionen überhaupt nicht zu messen. Knapp die Hälfte geben an, dass die graue Energie oder Treibhausgasemissionen, die während des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes entstehen (z. B. Herstellung der Materialien, Konstruktion des Gebäudes und Entsorgung von Materialien z. B. beim Abriss) nicht gemessen werden (siehe Grafik). Das ist kein Wunder, denn grundsätzlich hapert es im Bauwesen an der Digitalisierung. Das gilt für traditionelle Bauprozesse und erst recht für Nachhaltigkeitsanalysen.
Immerhin wird damit begonnen, den Energiebedarf und dessen Kosten digital zu messen. Bei der grauen Energie wirds dann schon deutlich schütterer. Insgesamt sagen 42 % der befragten Immobilienprofis, dass sie bei weniger als der Hälfte oder gar keinem ihrer Projekte digitale Hilfsmittel und Verfahren für Nachhaltigkeitsanalysen einsetzen. Wie sollen so die Klimaziele erreicht werden? Wird sich daran bald etwas ändern? Einer der üblichen Modernisierungsblocker, der auch bei der Digitalisierung genannt wird, nämlich die Kosten, dürfte überwindbar sein. Schwerer wiegt da schon, dass es zu wenig qualifiziertes Personal gibt. Da ist insbesondere der Nachwuchs gefragt.
Klare Nachfrage fehlt
Überraschend ist aber der an dritter Stelle der Digitalisierungsblocker genannte Mangel an klarer Nachfrage von Kunden oder Interessengruppen. Das scheint der weiter steigenden Nachfrage sowohl von Investoren als auch von Nutzern nach grünen Gebäuden zu widersprechen (siehe Grafik). Und noch deutlicher: Es gibt immer häufiger einen „brown discount“ sowohl bei den Preisen als auch bei den Mieten, sprich nichtnachhaltige Objekte verkaufen sich schlechter und erzielen eine geringere Miete als entsprechende grüne Objekte am gleichen Standort. Allerdings: Das gilt für (Büro-)Gebäude in den zentralen Geschäftsbezirken der Metropolen, also letztlich nur einem sehr kleinen Teil des Immobiliengesamtbestandes.
Da könnte auch die Erklärung für die Wahrnehmung der Bauwirtschaft eines geringen Interesses an nachhaltigen Gebäuden liegen: Bei Gebäuden in Nebenstandorten oder mittelgroßen und kleineren Städten dürfte das Label „grün“ eine sehr viel geringere Rolle spielen als zum Beispiel in Frankfurter Bankenviertel. In der „Provinz“ sind sowohl die internationalen Investoren sehr viel seltener anzutreffen als auch die Mieter ausländischer Provenienz.
Und nicht zuletzt geht es ja auch um den zeitlichen Horizont bei der Beurteilung eines Immobilieninvestments oder eines Mieters: In der kurzfristigen Betrachtung sind nachhaltige Gebäude sowohl im Bau als auch im Unterhalt teurer als entsprechende konventionelle Gebäude. Bezogen auf den Energieverbrauch hat sich das allerdings seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs und der anschließend explosionsartig angestiegenen Preise insbesondere für Gas und Strom geändert.
Angesichts von Hitzewellen, Trockenheit und Flutkatastrophen vor der eigenen Haustür wird das Bewusstsein für die großen Gefahren des Klimawandels bei immer mehr Menschen geschärft. Die Bewertung solcher Klimarisiken gehört daher für immer mehr Investoren zur Basisanforderung bei Transaktionsentscheidungen. In einer Ausbaustufe geht es dann um eine ESG-Due-Diligence, die immer häufiger neben einer rein kaufmännischen und technischen Beurteilung zum Regelfall wird.
Die Frage ist aber letztlich, wie eine solche Nachhaltigkeitsbewertung dann in die Preisbildung einfließt. Gefordert sind dabei auch die Immobilien-Sachverständigen, die als neutrale Instanz im Transaktionsfall zwischen (potenziellen) Käufern und Verkäufern stehen. Auch diese Sachverständigen müssen ESG-Kriterien in ihre Bewertung immer stärker einbeziehen, sind dabei aber auch auf oft unvollständige Daten angewiesen.
Nachholbedarf im Bestand
Zentral für den Beitrag der Immobilienwirtschaft zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels und zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ist aber die Sanierung des Bestandes. Die bisherigen Anstrengungen reichen dafür bei weitem nicht aus. Und auch der Vergleich bei Unternehmen von postulierten Zielen und tatsächlichen Anstrengungen stimmt nicht unbedingt optimistisch. RICS-Deutschlandchefin Eickermann-Riepe verwies kürzlich auf „Climate Action 100+“, eine Initiative von Investoren, die sicherstellen wollen, dass die Unternehmen mit den größten Treibhausgasemissionen die notwendigen Schritte gegen den Klimawandel unternehmen. Von den dort erfassten 167 Unternehmen, die rund 80% der weltweiten Treibhausgase emittieren sollen, haben sich bisher gerade mal die Hälfte auf das Netto-null-Ziel bis 2050 festgelegt (laut „Progress Update 2021“). Auf kürzere Frist werden es dann noch deutlich weniger. Kapital für diesen Wandel zur Klimaneutralität haben bisher nur sechs Unternehmen beiseitegelegt.
Insgesamt zeigt sich deutlich, dass wirkliche Fortschritte in Richtung Klimaneutralität nur durch Gesetze, Verordnungen und Normsetzungen erreicht werden können. Das fordern sowohl die Unternehmen der Bauwirtschaft und anderer Industrien wie die Investoren. Kehrseite ist allerdings, dass dabei ein hoher Detaillierungsgrad gefordert ist (sonst kann man nicht vernünftig messen und vergleichen), der den Umsetzungsaufwand erhöht.
Detailregelungen brauchen aber auch ihre Zeit, bis sie verabschiedet werden. Zeit, die eigentlich angesichts des schnell fortschreitenden Klimawandels nicht vorhanden ist. Initiativen von Unternehmen und Investoren, die eine große Breitenwirkung entfalten, sind daher mindestens als Ergänzung zu begrüßen – und unverzichtbar, um die Klimaneutralität deutlich früher als 2050 zu erreichen.
Von Thomas List, Frankfurt