Kabinettsklausur

Ampel ringt noch um Entlastungen

Die Ampel-Koalition ist nach der Kabinettsklausur auseinandergegangen, ohne sich auf das erwartete Entlastungspaket zu einigen. Der Industrie will die Regierung beim Strukturwandel helfen.

Ampel ringt noch um Entlastungen

wf Berlin

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zur Unterstützung der Bürger und der Wirtschaft in der Energiekrise „ein sehr präzises und maßgeschneidertes Entlastungspaket“ angekündigt. Dazu würden in den nächsten Tagen noch Gespräche geführt, sagte Scholz nach einer zweitägigen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg in Brandenburg. „Wir arbeiten am großen Bauwerk, und die Architektur dieses Bauwerks hängt eben von allen Einzelteilen ab, die aber nur zusammen eine gute Konstruktion ergeben“, erklärte der Kanzler vor der Presse. Beobachter hatten bereits eine Einigung der drei Koalitionäre in Meseberg erwartet.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte: „Wir brauchen ein wuchtiges Paket für Entlastungen in der ganzen Breite der Gesellschaft.“ Dem Minister zufolge haben die Entwicklung der Steuereinnahmen und der Vollzug im Bundeshaushalt in diesem Jahr finanziellen Spielraum in Höhe eines einstelligen Milliardenbetrags für Entlastungen geschaffen. Im nächsten Jahr habe der Bund Vorsorge in der Haushaltsplanung für einen zweistelligen Milliardenbetrag getroffen. Lindner und die FDP dringen auf den Abbau der kalten Progression in der Einkommensteuer, also die Beseitigung inflationsbedingter Steuererhöhungen. Bundeswirtschaftsminister Ro­bert Habeck (Grüne) favorisiert eine Übergewinnsteuer für Unternehmen, die von der Energiekrise profitieren. Lindner verwies indessen auf hohe rechtliche Hürden eines solchen Vorhabens und die Zuständigkeit der Bundesländer für die Steuerverwaltung. Der Bund habe keinen direkten Einfluss.

Neues Strommarktdesign

Einig ist die Ampel darin, das „Strommarktdesign“ so zu ändern, dass daraus resultierende Preis­erleichterungen bei den Verbrauchern ankommen. Die Bundesregierung wolle nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen beheben, machte Habeck deutlich. Lindner sprach davon, den „Renditeautopiloten“ auszuschalten. Durch die Koppelung der Strom- an die Gaspreise profitierten auch völlig unabhängige Stromproduzenten wie die Solarstromanbieter.

Eine gute Bilanz zog Habeck zu den Bemühungen, den Gasverbrauch zu senken. Den Löwenanteil der bisherigen Einsparungen habe die deutsche Industrie erbracht, sagte Habeck. Dies habe zum hohen Füllstand der Gasspeicher von aktuell mehr als 83% beigetragen. Die Industrie habe dies teilweise durch den Wechsel zu Öl oder Kohle, durch vorgezogene Investitionen in alternative Energien und durch Produktionsdrosselung erreicht.

Als „besorgniserregend“ bezeichnete Habeck indessen, dass ein Teil der Gaseinsparung in der Wirtschaft aus der Stilllegung von Produktion resultiere. Die Bundesregierung will der Wirtschaft den Weg in ein neues Geschäftsmodell ebnen, nachdem billiges Gas aus Russland so bald nicht mehr oder vermutlich nie mehr verfügbar sein wird. Für die betroffenen Branchen bedeute dies einen harten Strukturwandel, möglicherweise auch einen Strukturbruch, sagte Habeck. Die Bundesregierung antworte darauf, indem sie die in der Coronakrise eingeführten Kurzarbeiterregelungen fortführen werde. Zudem werde die Regierung die Industrie darin unterstützen, alternative Produktionsformen und alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Keiner könne ernsthaft erwarten, dass die Gaspreise auf das Niveau vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 zurückkehrten, konstatierte Habeck. „Also brauchen wir Unterstützung für die Zukunft“, sagte der Grünen-Politiker, „und Unterstützung für die Menschen in den Betrieben.“

Der Wirtschaftsflügel der Union bezeichnete die Klausur der Ampel in Meseberg als „Totalausfall“. Schon wieder habe die Ampel nicht geliefert, erklärte die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Gitta Connemann. In den wichtigsten Fragen für Betriebe und Bürger seien keine Entscheidungen getroffen worden. „Deutschland wird mitten in der Wirtschaftskrise allein gelassen“, so Connemann. Die Betriebe brauchten endlich Planungssicherheit.

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