Chinas Wirtschaft gerät aus dem Tritt
nh Schanghai
Chinas Wirtschaft hat nach positiven Ansätzen für eine Konjunkturbelebung im Zuge der Aufhebung von Lockdowns in wichtigen Großstädten keine weitere Zugkraft mehr entwickelt. Das zeigen die neuen Daten des Pekinger Statistikbüros. Im Juli ist die Industrieproduktion um 3,8% gegenüber Vorjahresmonat gewachsen und hat damit im Vergleich zum Juni bereits wieder leicht an Schwung verloren. Analysten hatten einen Zuwachs von 4 bis 5% auf dem Zettel. Zwar gibt es positive Entwicklungen in einigen zuvor vom Lockdown in Schanghai hart getroffenen Sektoren, etwa der Automobilindustrie. In bauverwandten Branchen aber, darunter Zement, Stahl und Glas, sieht man verstärkte Schleifspuren.
Eine böse Überraschung bieten die Juli-Daten des Einzelhandels. Die Umsätze im Retail-Sektor sind nur noch um 2,7% gegenüber Juli 2021 vorangekommen, während die Experten mit einer doppelt so hohen Anstiegsrate gerechnet hatten. Im Juni lag das Plus bei 3,1%. Damit scheinen die chinesischen Konsumkräfte nach dem kurzen Aufbäumen im Juni bereits wieder zu schwinden.
Der physische Einzelhandel und konsumverwandte Dienstleistungen sind die großen Leidtragenden der Nulltoleranzpolitik zu Corona. Sie fügt der Gastronomie, dem Unterhaltungssektor und dem Tourismusgewerbe auch nach der förmlichen Aufhebung des harten Lockdowns in Schanghai und anderen Großstädten über mannigfaltige Restriktionen und Mini-Lockdowns schwere Schäden zu und zwingt Kleinunternehmer massenhaft zur Aufgabe.
Gegenwärtig sind keine Anzeichen für eine Erholung des schwer angegriffenen Konsum- wie auch Investitionsvertrauens zu erkennen. Zwar zeigt sich der Staat bemüht, die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen durch neue Anleiheprogramme auf Kommunalebene anzukurbeln, bei den privaten Unternehmens- und Immobilieninvestitionen aber fällt das Tempo weiter zurück. Die für das jeweils aufgelaufene Jahr ausgewiesenen Anlageinvestitionen sind nach sieben Monaten um 5,7% gegenüber der Vorjahresperiode angewachsen. Auch dies bedeutet eine Entschleunigung, nach einem Plus von 6,1% in der ersten Jahreshälfte.
Probleme am Arbeitsmarkt
Analysten nehmen die Juli-Daten denn auch zum Anlass, der chinesischen Wirtschaft eine Fortsetzung der Wachstumsschwäche zu prophezeien, was im krassen Gegensatz zu den vollmundigen Versprechen der Regierung für einen nachhaltigen und konsumgeleiteten Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte steht. Sorge dürfte den Wirtschaftsplanern auch die Beschäftigungsentwicklung machen. Zu Ende Juli ist die offiziell ausgewiesene und nur für urbane Gebiete geltende Arbeitslosenrate leicht von 5,4 auf 5,5%, angestiegen, während die Jugendarbeitslosigkeit auf immer neue Rekordwerte klettert und bereits knapp 20% erreicht.
Für 2022 steuert China nun – vom Pandemie-Jahr 2020 abgesehen – auf das niedrigste Wirtschaftswachstum seit Anfang der 90er Jahre zu. Die Prognosen der China-Ökonomen bewegen sich im Band zwischen 2,9 und 4,1%. Der Internationale Währungsfonds rechnet mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 3,3%. Das offizielle Wachstumsziel der Regierung (5,5%) liegt nach 2,6% Wachstum in der ersten Jahreshälfte und anhaltenden Schwächesymptomen außer Reichweite.
Peking scheint damit von großen Stimulus-Paketen erst einmal wieder abzusehen und sich auf Impulse mit Signalwirkung für Finanzmärkte zu beschränken. In diesem Sinne hat die Zentralbank am Montag den wichtigsten Refinanzierungssatz für Geschäftsbanken im Rahmen der Medium-term Loan Facility (MLF) sowie den Zins für einwöchige Repogeschäfte am Geldmarkt um jeweils 0,1 Prozentpunkte auf 2,75% beziehungsweise 2% gesenkt. Der für Marktteilnehmer überraschende Schritt dürfte binnen Wochenfrist zur entsprechenden Senkung der Referenzzinsen der Banken für einjährige Unternehmenskredite und fünfjährige Hypothekendarlehen führen, die gegenwärtig schwache Kreditvergabeaktivität aber kaum signifikant ankurbeln.