Ökonomen mahnen Bundesregierung
Ökonomen mahnen Bundesregierung
Bundesrat stimmt Anpassung der Schuldenbremse zu – Volkswirte warnen, dass Investitionen ins Leere laufen könnten
Der Bundesrat stimmt der Grundgesetzänderung bei der Schuldenbremse zu. Der Weg für die deutlich expansivere Fiskalpolitik der kommenden Bundesregierung ist damit frei. Ökonomen befürchten, dass die Effekte auf die Wirtschaft verpuffen könnten, wenn die Politik keine Strukturreformen einleitet.
ahe/mpi Berlin/Frankfurt
Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat den Verfassungsänderungen zur Lockerung der Schuldenbremse und der Einrichtung eines neuen Sondervermögens mit Zweidrittelmehrheit zugestimmt. Die Finanzpakete zugunsten von mehr Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben erhielten 53 von 69 möglichen Ja-Stimmen.
Ökonomen warnten, dass die positiven Effekte der expansiven Fiskalpolitik auf die Konjunktur kleiner ausfallen könnten als angenommen. „Damit Deutschland wieder wettbewerbsfähig wird, müssen nicht nur Investitionen in die Infrastruktur, sondern gleichzeitig Strukturreformen getätigt werden“, fordert Alexander Kritikos, Leiter der Forschungsgruppe Entrepreneurship beim DIW. „Sonst läuft das Land Gefahr, dass die Effekte der Investitionen verpuffen.“ Eine Ansicht, die sehr viele Ökonomen teilen.
Auch Ministerpräsidenten wollen Reformen
Diese Sorge äußerten auch zahlreiche Ministerpräsidenten in der Bundesratsdebatte. „Was nützt uns das schönste Sondervermögen, wenn wir es nicht umgesetzt bekommen“, warnte etwa der Bremer Oberbürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), der bessere Prozesse und schnellere Genehmigungsverfahren forderte. Der bayerische Regierungschef Markus Söder (CSU) sagte, die Finanzpakete seien nur eine „erste Etappe“ zur Modernisierung Deutschlands. Die zusätzlichen Investitionen bezeichnete er als „deutschen Marshall-Plan“.
Kapazitätsmangel bremst
Ein Problem angesichts der gewaltigen öffentlichen Investitionen, die anstehen, könnte allerdings ein Mangel an Produktionskapazitäten der Unternehmen sein. Angesichts des Fachkräftemangels lässt sich das in vielen Branchen auch nicht so schnell lösen, meint Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. „Im Tiefbau, der in Zukunft viele zusätzliche Staatsaufträge erhalten dürfte, hat in den vergangenen zwölf Monaten sogar fast ein Drittel der Unternehmen über einen Mangel an Arbeitskräften geklagt.“

Viel Nachfrage, aber zu wenig Angebot würde den Inflationsdruck in Deutschland spürbar erhöhen. „Ein beträchtlicher Teil der Mehrausgaben von jährlich gut 2% des Bruttoinlandsprodukts wird in höheren Preisen verpuffen“, befürchtet Krämer daher. Auch der ehemalige Wirtschaftsweise Volker Wieland rechnet mit wieder stärker steigenden Preisen. „Wir sehen nun einen Richtungswechsel hin zu einem starken, schuldenfinanzierten Anstieg der Staatsausgaben, insbesondere für Verteidigung und Infrastruktur“, sagt er. „Das wird Inflationsdruck erzeugen.“
Im Bundesrat mahnten die Länder eine zügige Arbeit an den nun anstehenden Ausführungsgesetzen der Finanzpakete durch die neue Bundesregierung an. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält zugleich eine grundlegende Staatsreform für nötig, in der auch die Zuständigkeiten von Bund und Ländern klarer geregelt werden.
Noch kein Tilgungsplan
Manuela Schwesig (SPD), Regierungschefin in Mecklenburg-Vorpommern, verknüpfte ihre Zustimmung mit der Forderung, dass noch in diesem Jahr eine grundlegende Reform der Schuldenbremse abgeschlossen wird. Söder wiederum verlangte eine Neuordnung des Länderfinanzausgleichs. Die Grüne Mona Neubaur, stellvertretende Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, kritisierte, dass es noch keinen Plan zur Schuldentilgung gibt.
Das DIW hat fünf Punkte ausgemacht, welche die künftige Bundesregierung dringend angehen sollte, um den Wirtschaftsstandort zu stärken. Das Sondervermögen solle vor allem für Investitionen in Verkehrs- und Bildungsinfrastruktur genutzt werden. Dies senke die Transportkosten, erhöhe die Produktivität und bekämpfe den Fachkräftemangel sowie die soziale Ungleichheit. Im Zusammenspiel mit privaten Investoren müsse die Bundesregierung zudem die digitale Infrastruktur deutlich ausbauen.
Verzweifelte Rufe nach Bürokratieabbau
Auch eine höhere innere Sicherheit stärkt laut DIW den Wirtschaftsstandort. Deshalb brauche es unter anderem eine Modernisierung von Polizei und Justiz. Neben Investitionen in Bildung sollte die Politik auch das Renteneintrittsalter schrittweise auf 70 Jahre anheben und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz überarbeiten, so Kritikos. Diese Reformen brauche es, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken.
FDP und AfD scheitern
Als elementar betrachtet das DIW auch den seit langem vergeblich geforderten Bürokratieabbau. Dieser müsse laut Kritikos „radikal“ ausfallen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) verweist darauf, dass Bürokratieabbau ganz oben auf dem Wunschzettel der Betriebe steht. „Die Mehrheit von 54% der Unternehmen sehen dies als eine der drei wichtigsten Prioritäten für die neue Regierung, für gut drei Viertel der Unternehmen ist das eine der Top-5-Aufgaben“, sagt Susanne Seyda, Leiterin des Clusters IW-Befragungen.
Im Bundesrat hatten Mecklenburg-Vorpommern und Bremen den Paketen zugestimmt, obwohl Linke an den Landesregierungen beteiligt waren. Mehrere FDP-Landtagsfraktionen hatten zuvor vergeblich versucht, die Zustimmung ihrer Länder im Bundesrat gerichtlich untersagen zu lassen. Auch die AfD scheiterte erneut mit einem Eilantrag in Karlsruhe.