Industriepolitik

Schaulaufen der Kanzler­kandidaten

Auf Einladung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) haben die drei Bewerber um die Nachfolge von Angela Merkel im Bundeskanzleramt ihre Vorstellungen zur Industriepolitik skizziert.

Schaulaufen der Kanzler­kandidaten

sp Berlin

Die drei Bewerber für das Kanzleramt – Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) – haben auf einer Veranstaltung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) ihre Vorstellungen zur Industriepolitik auf dem Weg zu einem klimaneutralen Industrieland skizziert und die Gelegenheit genutzt, drei Monate vor der Bundestagswahl für ihren Kurs zu werben. BDI-Chef Siegfried Russwurm forderte die Politik auf, für das Erreichen der Klimaziele dringend notwendige Richtungsentscheidungen etwa zum Ausbau der nötigen Infrastruktur zu treffen. „Es reicht nicht, Klimaneutralität per Gesetz vorzuschreiben“, sagte Russwurm. Die fortschreitende Digitalisierung und die Erfordernisse für die Bekämpfung des Klimawandels, aber auch der demografische Wandel forderten Deutschland mehr als die Corona-Pandemie, sagte der BDI-Chef. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die per Video zugeschaltet wurde, ging auch auf den Investitionsbedarf bei Spitzentechnologien wie Batteriezellfertigung, Quantentechnologie, künstliche Intelligenz und Cloud Computing ein.

Kanzlerin als Stammgast

„Kanzlerinnen als Stammgäste sind wir gewohnt“, sagte BDI-Chef Russwurm, als er die erste Kanzlerkandidatin von den Grünen, Anna­lena Baerbock, auf das Podium bat. Sie nutzte die Gelegenheit, um die industrielle Logik des Klimaschutzes zu verdeutlichen. Es gehe nicht mehr darum, ob Deutschland klimaneutral werde, sondern ob Deutschland dabei vorangehen könne, sagte sie. „Und wenn ich von Deutschland spreche, dann als stärkstes Industrieland in der Mitte Europas“, betonte Baerbock. Deutschland müsse zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum der Welt werden, forderte die grüne Spitzenkandidatin. Die Politik müsse dafür die richtigen Rahmenbedingungen setzen. „Es geht überhaupt nicht darum zu sagen: Wir brauchen Hunderttausend neue Regeln“, stellte Baerbock klar: „Ganz im Gegenteil.“ Gerade der Energie- und Strommarkt sei mit vielen Regeln überfrachtet, weshalb Deutschland als Erfinder der Energiewende beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinterherhinke.

SPD-Kanzlerkandidat Scholz kündigte im Fall eines Wahlsieges eine umfassende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit an. Die EEG-Umlage wolle er bis 2025 abschaffen, um Strom in Deutschland wieder günstiger zu machen. „Mein Ziel ist ein Industriestrompreis von 4 Cent“, fügte er hinzu. Zuletzt lag der Industriestrompreis inklusive Stromsteuer laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bei 19 Cent je Kilowattstunde. Die Ausbauziele für Wind und Fotovoltaik müssten deutlich angehoben werden, forderte Scholz. „Und zwar nicht ausgehend vom Strombedarf im Jahr 2030 – sondern vom tatsächlichen Strombedarf im Jahr 2045, wenn wir klimaneutral leben und wirtschaften werden“, fügte der Finanzminister mit einem Seitenhieb auf Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hinzu, aus dessen Ministerium die Berechnungen zum Strombedarf stammen.

CDU-Kandidat Laschet, der nach den aktuellen Umfragen die besten Chancen auf die Nachfolge von Merkel hat, bekannte sich ebenfalls zum Ziel der Klimaneutralität, ging wie das gestern verabschiedete Wahlprogramm der Unionsparteien aber nicht ins Detail. Er warnte davor, die Steuern zu erhöhen, weil damit der wirtschaftliche Aufschwung nach der Coronakrise gebremst werde. Für Steuersenkungen gebe es aber keinen Spielraum, sagte er mit Verweis auf die Löcher, die die Pandemie im Bundeshaushalt hinterlassen hat.

Investitionen in den Standort

BDI-Chef Russwurm forderte die Politik auf, grundlegende Standortschwächen zu beseitigen, die die Pandemie etwa bei der Digitalisierung offengelegt habe. Zwar sei die Industrie mit global wettbewerbsfähigen Produkten am Markt. Eine sichere Basis für die Zukunft sei das aber nicht. Die Standortschwächen müsse eine künftige Bundesregierung beherzt angehen. „Der Politik sage ich: Trauen Sie den Unternehmen zu, die richtigen Entscheidungen zu treffen – insbesondere die richtigen Investitionsentscheidungen“, forderte Russwurm. Deshalb sei Technologieoffenheit wichtig. Politik und Staat seien bei den öffentlichen Investitionen gefragt. Es fehlten gut 20 Mrd. Euro pro Jahr, um Infrastrukturdefizite aufzuholen.