John Greenwood

„Wer Anleihen hält, wird Kapital verlieren“

John Greenwood erwartet, dass die Gelddruckerei der Notenbanken einen Anstieg des allgemeinen Preisniveaus nach sich zieht. Für den Invesco-Chefvolkswirt ist die Teuerung nicht vorübergehender Natur.

„Wer Anleihen hält, wird Kapital verlieren“

Andreas Hippin.

Herr Greenwood, wie halten Sie es mit der Inflation?

Die Regierungen und die Zentralbanken sagen, dass die Inflation ein vorübergehendes Phänomen ist, das sich auf die Wiedereröffnung der Wirtschaft und damit verbundene Engpässe in den Beschaffungsketten zurückführen lässt.

Sollte man ihnen Glauben schenken?

Inflation ist grundsätzlich ein monetäres Problem, das auf das exzessive Drucken von Geld zurückgeht. Ich fordere jeden auf, mir einen Zeitraum zu nennen, in dem es signifikante Inflation gegeben hat, ohne dass zuvor die Geldmenge rasant gewachsen ist. Es gibt nur sehr wenige Beispiele, etwa wenn eine Währung zusammenbricht, aber das ist nicht das, was heute in der Weltwirtschaft vor sich geht.

Womit haben wir es also zu tun?

Wenn Leute zeigen wollen, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt, sprechen sie über spezifische Gründe, die zu einem Anstieg des Preisindex geführt haben. Die Preise für Halbleiter seien gestiegen, die Preise von Gebrauchtwagen, usw. Wenn unter normalen Umständen individuelle Preise steigen und die Verbraucher nicht über mehr Geld verfügen, müssen sie ihre Ausgaben für andere Dinge reduzieren, um die teureren Produkte zu kaufen. Andere Dinge werden deshalb billiger. Es kommt zu einer Anpassung, die am Preisniveau insgesamt nichts ändert. Im Moment findet das aber nicht statt.

Was geschieht stattdessen?

Preise von knappen Gütern wie Halbleitern oder Gebrauchtwagen werden zuerst nach oben getrieben. Wenn die Preise der anderen Güter stabil bleiben, haben wir die ersten Anzeichen für einen Anstieg des allgemeinen Preisniveaus.

Worauf ist das zurückzuführen?

Wir haben monetären Druck, der die Preise nach oben drückt. Zu Beginn der Pandemie belief sich der Geldbestand (M2) in den USA auf 15 Bill. Dollar. Heute sind es mehr als 20 Bill. Dollar (+33 %). Einen so starken Anstieg hat es zuletzt 1943 gegeben und damals war dieser von Preiskontrollen und hohem Druck, die Kriegsproduktion zu erhöhen, begleitet.

Woher kommt das ganze Geld?

Den größten Beitrag haben die Anleihenkäufe der Fed geleistet und diese haben sich direkt in den Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank widergespiegelt. Dadurch sind also sowohl die Assets als auch die Verbindlichkeiten der Notenbank gestiegen. Weil die Fed ihre QE-Wertpapiere aber von Nicht-Banken ankauft, sind die Einlagen bei den Geschäftsbanken in gleichem Maße gestiegen. Drei Viertel des Anstiegs von M2 ist darauf zurückzuführen.

Was ist mit der Kreditvergabe der Geschäftsbanken?

Die Bankkreditvergabe führt auch zu einem Anstieg des Geldbestands: Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, wird der Betrag dem Schuldner gutgeschrieben. In den USA war das in den vergangenen 18 Monaten aber kein bedeutender Faktor. Erst haben die US-Unternehmen im Zeitraum März bis Mai 2020 rund 600 Mrd. Dollar an Kreditlinien gezogen, weil sie nicht wussten, wie es weitergehen würde. Außerdem stellte die US-Regierung eine Menge von Kreditprogrammen zur Verfügung. Die Unternehmen in den USA brauchten dieses ganze Geld aber eigentlich gar nicht. Daher sind einige dieser Bankkredite zurückgezahlt worden und die Gesamtkreditvergabe ist jetzt um weniger als 400 Mrd. Dollar gestiegen, was nur 8 % des M2-Wachstums seit Beginn der Pandemie erklärt. Die Vereinigten Staaten haben weitaus mehr Geld geschaffen als irgendeine andere Volkswirtschaft – auf die Kreditvergabe durch die Banken ist das aber nicht zurückzuführen.

Wohin geht das ganze Geld? In Assetinflation?

Ja, zuerst in Assets wie Aktien, Anleihen, Immobilien und Rohstoffe und dann in wirtschaftliche Aktivität. Das führt schließlich zu steigenden Preisen für Waren und Dienstleistungen. Das ist genau das, was in den USA geschieht. Als Nächstes wird an den Märkten aber viel von Tapering die Rede sein. Das Tempo der Anleihenkäufe wird gedrosselt werden. Ende nächsten Jahres könnte die Fed ihre Neuankäufe auf null heruntergefahren haben.

Aber sie wird nicht so schnell damit beginnen, ihre Bestände abzuverkaufen.

Nein, das wird nicht passieren. Als die Fed im Oktober 2017 damit anfing, ihre Bilanz zu schrumpfen, geriet sie schnell in Schwierigkeiten. Die damalige Fed-Chefin Janet Yellen sagte, das würde so spannend, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen.

Doch es kam anders.

Es gab einen Liquiditätsengpass am Repo-Markt. Die Fed sah sich gezwungen, die Zinsen zu senken, ihre Repo-Transaktionen auszuweiten und dann T-Bills zu kaufen. Die Bilanz wuchs und seit Beginn der Pandemie haben sie den Geldhahn voll aufgedreht. Jetzt ist damit zu rechnen, dass sie die Käufe im Jahresverlauf 2022 schrittweise zurückfahren wird.

Und dann?

Dann wird es die übliche Debatte geben, wann der Leitzins erhöht wird, und dann fängt die Diskussion darüber an, wann die Bilanz geschrumpft wird. Was wir wissen wollen ist: Was sind die Auswirkungen des enormen Anstiegs des ­Geldbestands in den Vereinigten Staaten?

Steigende Kurse.

Aktienkurse und Wohnimmobilienpreise sind schon stark gestiegen, aber nach meiner Einschätzung ist so viel Geld im System, dass es für diese Assets noch Platz nach oben gibt. Natürlich wird es Nervosität in Sachen Tapering und mögliche Zinserhöhungen geben, aber insgesamt dürften die Kurse bzw. Preise weiter steigen.

Auch für Bonds?

Nein, weil die Renditen nicht weiter fallen werden.

Könnten sie nicht weiter unter null fallen?

Am Markt denkt man, dass die Renditen fallen und die Kurse steigen, wenn die Notenbank den Leitzins senkt. Aber das ist ein Fehler. Wenn man sich QE1, QE2 und QE3 in den USA ansieht, waren die Renditen am Ende höher als am Anfang jedes dieser Programme, weil zusätzliches Geld geschaffen wurde. Notenbanken können das lange Ende des Markts nicht kontrollieren.

Auch wenn sie es probieren.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde unternimmt große Anstrengungen in diese Richtung. Sie droht den Anleihemärkten mit erhobenem Zeigefinger und sagt, der Anstieg der Renditen sei sehr schlecht, und dass das so nicht ­passieren sollte. Aber in Wirklichkeit ist das ein Anzeichen für den Erfolg der EZB. Wenn sie Geld schafft, wirkt das stimulierend. Die natürliche ­Folge ist, dass die Anleiherenditen steigen.

Also sollte man jetzt besser nicht in Bonds investieren?

Wer Anleihen hält, wird Kapital ­verlieren. Bis Ende 2022 wird man mit Bonds garantiert Geld verlieren.

Wie sieht es in der Realwirtschaft aus?

Insgesamt befindet sich die wirtschaftliche Aktivität in den USA mehr oder weniger auf dem vor der Pandemie erreichten Niveau. Doch die Ausgaben für langlebige Güter sind in die Höhe geschossen, weil wir alle zuhause sitzen und Dinge im Internet bestellen. Die Ausgabe für persönlich erbrachte Dienstleistungen sind dagegen stark zurückgegangen. Das gilt auch für Großbritannien und die Eurozone.

War das nicht mit steigenden Preisen für viele Dinge verbunden?

Die Fed sagt: Die Ausgaben für langlebige Güter werden sinken und die Preise fallen. Aber was ist mit den anderen Preisen, die zurückgegangen sind? Werden sie bei der Rückkehr in die Normalität steigen? Ich glaube diese ganze Idee von der vorübergehenden Natur der Preisanstiege einfach nicht. Das ist nur Propaganda, um sagen zu können: Machen Sie sich keine Sorgen.

Wäre nicht höheres Wachstum die beste Lösung?

Wir wissen, dass das reale Bruttoinlandsprodukt nur um einen gewissen Betrag steigen kann. Man kann in diesem Jahr etwas aufholen, aber das lässt sich im kommenden Jahr und im Jahr danach nicht wiederholen. Die Angleichung zwischen dem Geldmengenwachstum und der nominalen Wirtschaftsleistung erfolgt größtenteils über die Inflation. Deshalb ist Inflation kein vorübergehendes Phänomen. Sie wird fortdauern.

Wann wird das zusätzlich geschaffene Geld ausgegeben?

Ich denke, das wird sich über drei bis vier Jahre hinziehen. Ich wäre überrascht, wenn es schneller passieren würde. Am Ende dieses Zeitraums wird die Inflation viel höher sein. Auf Grundlage der Quantitätstheorie ergibt sich für die USA derzeit eine potenzielle Veränderung der Preise von 28 %. Ich sage nicht, dass es dazu kommen wird. Das Wirtschaftswachstum und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes werden einen Teil des Geldmengenwachstums absorbieren. Der Rest wird sich in Preisänderungen in den nächsten drei bis vier Jahren niederschlagen.

Treten wir jetzt in eine inflationäre Phase ein?

Es ist falsch zu sagen, dass die Inflation vorübergehender Natur ist. Es ist aber auch falsch zu behaupten, dass wir am Anfang einer Inflationsära stehen. Ich denke, die USA durchleben eine inflationäre „Episode“. Wir haben einen rasanten Anstieg des Geldbestands gesehen und jetzt bewegt sich dessen Wachstum wieder auf das Niveau von vor der Pandemie zurück. Die Kreditvergabe der Banken ist sehr schwach. Wir haben sozusagen einen Einmaleffekt. Das Preisniveau wird am Ende höher liegen. Im Moment liegt die Teuerungsrate in den USA bei 4 % bis 5 %. Das kann noch eine ganze Weile so weitergehen. Ich rechne für das laufende Jahr mit 4,1 % und mit 4 % für das kommende Jahr.

Wie lange lässt sich die Erzählung von der vorübergehenden Natur der Inflation noch aufrechter­halten?

Ab Mitte kommenden Jahres dürfte das nicht länger möglich sein. Bis dahin dürften die Preise in den Geschäften wesentlich gestiegen sein. Auf dem Arbeitsmarkt wird man um höhere Löhne kämpfen. Die höheren Preise werden in Verträge eingehen – in Mieten und Lohnabschlüsse. Der enorme Anstieg des Geldbestands wird sich manifestieren. Notenbanken nehmen nie Geld zurück. Wenn sie es versuchen, kommt es zu einer Kreditklemme wie im September 2019.

Das Interview führte