Im InterviewBundesfinanzminister Jörg Kukies

„Wir müssen den Unternehmen mehr vertrauen“

Jörg Kukies (SPD) ist seit dem Bruch der Ampel Bundefinanzminister. Noch im Dezember brachte er auch ohne Regierungsmehrheit diverse Finanzmarkt- und Steuergesetze durch den Bundestag. Für die verbleibende, kurze Zeit in dieser Legislaturperiode hat er noch weitere Pläne.

„Wir müssen den Unternehmen mehr vertrauen“

Im Interview: Jörg Kukies

„Wir müssen den Unternehmen mehr vertrauen“

Bürokratie und Berichtspflichten abbauen – Finanzkriminalamt soll zügig beschlossen werden – Warnung zur Haushaltsführung 2025

Jörg Kukies (SPD) ist seit dem Bruch der Ampel Bundesfinanzminister. Noch im Dezember brachte er auch ohne Regierungsmehrheit diverse Finanzmarkt- und Steuergesetze durch den Bundestag. Für die verbleibende, kurze Zeit in dieser Legislaturperiode hat er noch weitere Pläne.

Herr Dr. Kukies, Sie sind seit November Bundesfinanzminister. Was haben Sie sich vorgenommen für Ihre Amtszeit?

Der Haushalt steht im Mittelpunkt. Das zentrale Thema ist, die vorläufige Haushaltsführung für 2025 hinzubekommen. 

Haben Sie noch Hoffnung auf Gesetzgebung vor der Bundestagswahl?

Die Entlastung bei Einkommensteuer, Kindergeld und Kinderzuschlag haben wir entgegen allen Erwartungen sehr schnell durchbekommen. Ein großes Ziel wäre es, das Gesetz zur Bekämpfung der Finanzkriminalität zügig abzuschließen, um die neue Behörde zu errichten.

Warum ist Ihnen dies so wichtig?

Damit würden die Schwachpunkte im Kampf gegen Finanzkriminalität in Deutschland behoben, die in der letzten Prüfung der Financial Action Task Force  angemahnt wurden. Wir haben dies zur Ansiedlung der AMLA, der EU-Behörde zur Geldwäschebekämpfung, in Frankfurt zugesagt.   

Der Gesetzentwurf liegt seit Ende Juni beschlussreif im Bundestag. Was fehlt?

In der letzten Sitzungswoche im Januar könnte der Bundestag das Gesetz beschließen, wenn es eine Mehrheit dafür gibt. Die Entscheidung liegt beim Parlament. Wir sind hoffnungsvoll, dass es dazu kommt.

Sie haben im Dezember einen Schwung von dringlichem EU-Umsetzungen durch den Bundestag bekommen.

Genau. Besonders das Finanzmarktdigitalisierungsgesetz war sehr wichtig. Wir haben viel Zuspruch aus dem Finanzmarkt bekommen. Auch die Satzungsänderung der Europäischen Investitionsbank zum effizienteren Kapitaleinsatz ist gelungen.

Gibt es noch weitere offene Posten?

Wir versuchen noch einige Punkte in einem Omnibus-Gesetz zusammenzupacken und abseits von politischer Aufgeregtheit durchzubringen. Dazu gehört die Kapitalerleichterung für Förderbanken.

Das Zukunftsfinanzierungsgesetz II hat das Kabinett im Dezember gebilligt. Kam das zu spät?

Beim Steuerfortentwicklungsgesetz schien es lange so, als gebe es im Bundestag wie auch im Bundesrat keine Mehrheit. Auf einmal war sie da. Deshalb war es sinnvoll, den Regierungsentwurf im Kabinett vorzubereiten. Union und FDP haben sich öffentlich grundsätzlich zustimmend geäußert. 

Die Reform der Altersvorsorge in allen drei Säulen ist auf der Strecke geblieben. Gelingt noch etwas?

Für mich ist es eine der größten Enttäuschungen, dass wir die Reformen in der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge in dieser Legislatur nicht abschließen konnten. Dabei waren wir sehr weit im Abstimmungsprozess vorangeschritten. Alle Vorarbeiten sind nun gemacht und auf breite Zustimmung gestoßen. Deshalb gehen wir fest davon aus, dass die Arbeit nicht verloren ist. Es ist notwendig, in allen drei Säulen der Altersvorsorge etwas zu tun.

Das SPD-Wahlprogramm unterstützt ausdrücklich die gezielte Förderung betrieblicher Renten sowie der privaten Altersvorsorge.

Die Kapitaldeckung findet sich nicht im SPD-Wahlprogramm.

Das ist falsch. Das SPD-Wahlprogramm unterstützt ausdrücklich die gezielte Förderung betrieblicher Renten sowie der privaten Altersvorsorge. Und: „Angebote ohne Beitragsgarantie, aber mit höherer Renditeerwartung wollen wir stärker verbreitern“ ist ein Zitat aus dem SPD-Wahlprogramm das am vergangenen Samstag beschlossen wurde.

Würde die SPD ein steuerbegünstigtes Vorsorgedepot mittragen?

In der Ressortabstimmung gab es zu weitgehend allen Vorschlägen der Fokusgruppe Private Altersvorsorge breiten Konsens. Da haben standardisierte Modelle von Referenzportfolien eine große Rolle gespielt – und es war breiter Konsens zwischen allen Ressorts, dass wir effektive steuerliche Anreize brauchen.

Sie wollen die EU-Nachhaltigkeitsberichtspflicht CSRD für Unternehmen aufschieben. Was besorgt Sie?

Unser Vorstoß gemeinsam mit der EU-Kommission, Bürokratie abzubauen, bekommt extrem viel Zuspruch – aber wir müssen jetzt ernst machen und in die konkrete Umsetzung kommen. Die Welle von Unternehmen, die bei CSRD zusätzlich in die Berichtspflicht für Nachhaltigkeit genommen wird, wird sehr hoch sein – die nächste Stufe ab 1.1.2026 würde ca. 13.000 deutsche Unternehmen erfassen, insbesondere die Mittelständler.

Was erwartet die Unternehmen?

Jedes von ihnen müsste rund 1.000 Datenpunkte liefern oder zumindest begründen, weshalb weniger geliefert werden – zusätzlich zu den ohnehin schon bestehenden Berichtspflichten im Bereich der Nachhaltigkeit. Indirekt wären noch deutlich mehr Unternehmen betroffen.

Was wäre die Lösung?

Unser Vorschlag ist, die Nachhaltigkeitsberichtspflicht für alle Unternehmen, die nach den CSRD-Vorgaben über das Geschäftsjahr 2025 oder später berichten müssten, um zwei Jahre zu verschieben. Dazu sollten wir auch auf die zusätzlich geplante sektorale Berichterstattung unter CSRD sowie die gesamten Taxonomie-Berichtspflichten vollständig verzichten. Die Zeit, die durch die Verschiebung um zwei Jahre gewonnen würde, sollte genutzt werden, um uns Gedanken über ein deutlich verschlanktes, effektives und effizientes System der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu machen.

Jeder Finanzvorstand kann absurde Geschichten erzählen, wie derselbe Sachverhalt vielfach berichtet werden muss. 

Kommen noch Anforderungen aus dem Finanzsektor hinzu?

Über die Berichtspflichten für Banken und Versicherer hinaus müssen die Unternehmen weitere Berichtspflichten erfüllen um etwa eine Finanzierung zu erhalten. Gerade in der vergangenen Woche hat die European Banking Authority mit einem sehr umfangreichen Dokument wieder eine neue Welle von ESG-Berichtspflichten eingeführt, die auch die kleinste Sparkasse erfüllen muss. Kein Finanzinstitut hat die erforderlichen Informationen auf Lager – sie müssen das von ihren Unternehmenskunden einfordern, was eine neue Bürokratiewelle auslöst.

Was wäre effizient?

Die unterschiedlichen Berichts-Regime sollten so synchronisiert werden, so dass jeder Datenpunkt nur einmal berichtet werden muss. Jeder Finanzvorstand kann absurde Geschichten erzählen, wie derselbe Sachverhalt vielfach berichtet werden muss.  Wir brauchen mehr grundsätzliche Regelungen und weniger Mikromanagement. Zudem müssen die europäischen und internationalen Vorgaben miteinander in Einklang stehen und einheitlich ausgelegt werden.

Brauchen wir stärker prinzipienbasierte Systeme?

Wir müssen den Unternehmen mehr vertrauen. Wir müssen Grundsätze festlegen und dürfen nicht jeden Halbsatz oder Datenpunkt vorschreiben. Die Unternehmen müssen beurteilen, was Relevanz hat.

Wir müssen den Unternehmen mehr vertrauen. Wir müssen Grundsätze festlegen und dürfen nicht jeden Halbsatz oder Datenpunkt vorschreiben.

Die SPD will die Banken- und Kapitalmarktunion weiterentwickeln. Wie steht es um Verbriefungen?

Ende letzten Jahres habe ich mich mit meinem französischen Amtskollegen Éric Lombard über Verbriefungen ausgetauscht. Im Kern geht es um eine risikogerechte Verbesserung der Rahmenbedingungen für Verbriefungen. Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist hier sehr wichtig, und wir stimmen überein, dass Verbriefungen einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Realwirtschaft leisten können. Es wird auf zwei große Themenblöcke hinauslaufen: Wie können wir den Rahmen einer Verbriefung vereinfachen. Dies betrifft die Granularität von Dokumentationspflichten und die Art von Berichten. Die Fixkostenbelastung jeder Verbriefung ist durch die komplexen Offenlegungspflichten und Analysen sehr hoch.

Wegen der fehlenden Umsetzung der CSRD in Deutschland hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Wie geht es weiter?

Das parlamentarische Verfahren war in vollem Gang, als die Koalition zerbrochen ist. Wahrscheinlich wird das Umsetzungsgesetz angesichts der aktuellen Diskussion in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden können. Zur Umsetzung der CSRD sind wir aber natürlich weiterhin europarechtlich verpflichtet. Dann wird man auch sehen, was sich an den europäischen Vorgaben getan hat für die Unternehmen, die ab 2026 berichtspflichtig werden.

Und das Zweite ...

... betrifft alle potenziellen Kapitalbelastungen. Die Belastung einer Verbriefung ist oft erheblich höher als selbst ihre riskantesten Teile. So fehlt es an Kapitaleffizienz. Hinzu kommen sektorale Themen – etwa die hohe Kapitalbelastung von Versicherern und Banken aus Verbriefungen.

Werden wir Fortschritte sehen?

Ja, da wird sich etwas bewegen. Die neuen EU-Kommissarin, Maria Luís Albuquerque, arbeitet an Ideen. Deutschland und Frankreich bringen sich dabei aktiv ein. Wir rechnen mit Legislativvorschlägen, die in der Prioritätenliste weit oben stehen werden. Wer den Draghi-Bericht lobt, muss auch bereit sein, einzusteigen. Die Kapitalmarktunion inklusive risikogerechter Verbesserungen bei Verbriefungen sind im Draghi-Bericht sehr wichtig.

Die neuen Finanzminister in Berlin und Paris sind auf der Linie ihrer Vorgänger?

Insbesondere bei der Kapitalmarktunion besteht große Einigkeit. Mein französischer Kollege hat durch seine Tätigkeit bei der französischen Förderbank Caisses des Depots ein sehr gutes Verständnis, wo es hakt. Ich kann mich mit ihm sehr tief und gut austauschen.

Zur Bankenunion: Sind grenzüberschreitende Fusionen gut für Europa?

Ja. Deutschland ist ein offener Markt für internationale Investoren in unsere Banken, unsere Versicherer und Vermögensverwalter. Unter unseren 15 systemisch relevanten Banken sind fünf nicht deutsch. Wir hatten in der jüngeren Vergangenheit Übernahmen deutscher Privatbanken durch niederländische und französischen Banken. Wir werden auch künftig viele grenzüberschreitende Aktivitäten haben. Und das ist gut so. Da darf kein Missverständnis aufkommen. Es ist absolut wichtig, dass Deutschland ein offener Bankenmarkt ist und bleibt. Wir sind eine globale Volkswirtschaft mit einem sehr hohen Anteil von Export- und Importaktivitäten. Diese müssen finanziert werden.

Feindselige Übernahmen sind im Bankensektor kein Erfolgskonzept – besonders wenn es um systemisch relevante Banken geht.

Dies gilt nicht für Unicredit und Commerzbank?

Es geht um den Einzelfall. Es wurde nicht transparent gehandelt. Feindselige Übernahmen sind im Bankensektor kein Erfolgskonzept – besonders wenn es um systemisch relevante Banken geht.

Unicredit-CEO Andrea Orcel verfolgt kein Erfolgskonzept?

Es geht nicht um Erfolgskonzepte, sondern um Vertrauen und Transparenz bei systemisch relevanten Großbanken.

Die SPD will die Vermögenssteuer wiederbeleben, die Abgeltungssteuer faktisch abschaffen, eine Finanztransaktionssteuer einführen und Spitzeneinkommen höher belasten, also auch Personengesellschaften. Beflügelt dies den Standort Deutschland?

Vor allem wird der Standort durch den „Made-in-Germany“-Bonus beflügelt, der sich im SPD-Regierungsprogramm findet. Da geht es um einen gezielten Investitionszuschuss für Unternehmen, die in Deutschland investieren. Und durch eine Ausdehnung der steuerlichen Forschungsförderung auf größere Unternehmen. An eine Vermögenssteuer hat das Bundesverfassungsgericht hohe Anforderungen gestellt. Eine Substanzbesteuerung sollte natürlich keine negativen Auswirkungen auf den Standort Deutschland und die Investitionsbereitschaft haben.

Kapitalerträge sollen wieder über den Einkommensteuertarif besteuert werden. Werden auch Verluste wieder nutzbar?

Gewinne, die in Form von Dividenden an Privatanleger ausgeschüttet werden, wurden schon auf der Unternehmensebene besteuert. Unter der bestehenden Abgeltungssteuer kommt dabei oftmals eine höhere Besteuerung heraus als im Einkommensteuertarif. Die steuerliche Gesamtbelastung bei Dividenden liegt derzeit bei rund 48%.

Die steuerliche Gesamtbelastung bei Dividenden liegt derzeit bei rund 48%.

Bei der Einführung der Finanztransaktionssteuer sind schon konservative Finanzminister gescheitert.

Ich war bei allen Gesprächen von Olaf Scholz in seiner Zeit als Bundesfinanzminister dabei. Es war damals nicht konsensfähig in Europa, auch nicht davor unter Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Zum Bundeshaushalt: Der Abschluss 2024 steht kurz bevor. Gibt es eine Tendenz?

Die Vorhersage, dass wir auch ohne Nachtragshaushalt gut durchkommen und keine Haushaltssperre benötigen, ist eingetreten. Es sieht so aus, dass ein guter Teil der Rücklage von 10 Mrd. Euro geschont und damit für 2025 erhalten werden kann. Das ist auch nötig, denn die Lücke im Regierungsentwurf des Bundeshaushalts für 2025 besteht fort und hat sich seither eher vergrößert als verkleinert.

Die Lösung wäre?

Für diese Lücke gibt es bisher keine Lösung. Ich bin daher auch etwas verwundert über manche Diskussion in den letzten Tagen zu überplanmäßigen Ausgaben. Das Geld müsste ja irgendwo herkommen. Ich habe noch keinen konkreten Vorschlag gehört, wo es eingespart werden sollte. Sie wissen, dass der Bundeskanzler genau dazu Anfang November einen Vorschlag gemacht hatte. Daran ist die Koalition letztlich zerbrochen. Wir werden auch ohne die nun geäußerten zusätzlichen Ideen sehr viel Disziplin bei der vorläufigen Haushaltsführung für 2025 benötigen.

Wie sollte eine reformierte Schuldenbremse für solide öffentliche Finanzen sorgen?

Das Entscheidende ist: Sie muss zielgerichtet sein. Wir dürfen nicht einfach nur den Spielraum erhöhen. Eine Reform muss fokussiert sein auf Maßnahmen, die unser Wachstumspotenzial nachhaltig und dauerhaft steigern. Und die bestehenden Möglichkeiten innerhalb der Schuldenbremse können besser genutzt werden.

Wie lässt sich das lösen?

Ich plädiere für einen wesentlich präziseren Investitionsbegriff mit wenig Interpretationsspielraum. Der Begriff muss mit einer Erhöhung unseres Potenzialwachstums von derzeit nur 0,5% verknüpft werden. Das strukturell schwache Potenzialwachstum ist das Kernproblem unserer Volkswirtschaft. Anreize für private und öffentliche Investitionen, Entbürokratisierung und mehr Fachkräfte sind Beispiele wie wir unser Potentialwachstum erhöhen können und müssen.

Ich plädiere für einen wesentlich präziseren Investitionsbegriff mit wenig Interpretationsspielraum.

Sie haben Pläne, den Kommunen Altschulden abzunehmen. Wie weit sind Sie?

Wir haben die Anhörung der Länder und Verbände zu dem konkreten Vorschlag nun eingeleitet. Im Anschluss kann das Kabinett beschließen. Wir werden nicht gesamtstaatlich neue Schulden machen, sondern die Verschuldung zwischen der kommunalen, der Länder- und der Bundesebene umschichten. Das Ziel ist, Kommunen mit hohen Altschulden wieder Investitionen in Kindergärten, Schulen und öffentlichen Nahverkehr zu ermöglichen – und die richtigen Anreize zur Vermeidung neuer Schulden zu setzen.

Wird das ein flächendeckendes Vorhaben sein oder nur punktuell auf hochverschuldete Gemeinden zielen?

Unser Vorschlag ist eine Regelung, die es dem Bund ermöglicht, einmalig und gemeinsam mit den Ländern Altschulden übermäßig verschuldeter Kommunen zu übernehmen. Dafür brauchen wir eine Grundgesetzänderung, also eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag wie im Bundesrat. Daher muss die Initiative von Bund und Ländern getragen sein. In jedem Einzelfall muss das betroffene Land mitziehen.

Das Interview führte Angela Wefers

Das Interview führte Angela Wefers

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.