Billionenmarkt für US-Kommunalanleihen unter Druck
Von Alex Wehnert, Frankfurt
Die Teilnehmer am 4 Bill. Dollar schweren Markt für amerikanische Municipal Bonds haben im laufenden Jahr mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Im ersten Quartal 2022 warfen die US-Kommunalanleihen die schwächsten vierteljährlichen Erträge seit 40 Jahren ab, und auch in den Folgemonaten setzte sich der Abschwung fort. So sackte der S&P Municipal Bond Index zwischen Anfang Januar und Ende Mai um nahezu 10% ab – nach einer leichten Erholung in den vergangenen Wochen beläuft sich der Verlust seit Jahresbeginn noch auf über 7%.
Damit schneidet das Barometer zwar besser ab als Staatsanleiheindizes wie der Bloomberg US Treasury Total Return. Doch Investoren, die über Jahre robuste Erträge aus Kommunalanleihen gewöhnt waren, verabschieden sich derzeit in Scharen aus dem Markt. Laut dem Informationsdienstleister Bloomberg sind im laufenden Jahr per saldo fast 89 Mrd. Dollar aus Municipal Bonds abgeflossen – die kumulierten Zuflüsse von 84 Mrd. Dollar aus dem Gesamtjahr 2021 sind damit bereits ausradiert. Aktuell seien wenig Anzeichen dafür erkennbar, dass sich der Trend im zweiten Halbjahr umkehren werde.
Zur Begründung für das nachlassende Anlegerinteresse verweisen Analysten auf die hohe Inflation. Denn einerseits führte die aggressive Reaktion der Federal Reserve auf die anziehende Teuerung zwischenzeitlich zu stark steigenden Kapitalmarktzinsen und setzte somit die Anleihekurse unter Druck. Bestandsinvestoren, die jahrelang aufgrund des Vorteils der nach US-Recht steuerfreien Erträge auf Municipal Bonds setzten und dafür niedrigere Renditen als in anderen Anleiheklassen in Kauf nahmen, sahen den Wert ihrer Anlage erodieren und zogen sich zurück.
Vor allem aber droht die Inflationsbeschleunigung in Verbindung mit einem stark eingetrübten konjunkturellen Umfeld, die kommunalen Etats erheblich zu belasten, die ohnehin schon unter steigenden Kosten aus langfristigen Rentenleistungen leiden. Dies führt zu wachsenden Sorgen über eine langfristig schwächere Performance von Municipal Bonds.
Ratings zurückgenommen
Zudem besteht bei den US-Kommunalanleihen ein weiterer Unsicherheitsfaktor, der Anleger angesichts der Liquiditätsverknappung und der hohen Risikoaversion an den Märkten von einem Einstieg abbringt. So nahm die Agentur S&P Global allein im Juni Ratings für 30 Städte, Landkreise und Gemeinden zurück, weil diese ihre Finanzberichte für das Haushaltsjahr 2020 noch nicht vorgelegt hatten. Bereits im April stellte der Finanzdienstleister das „A+“-Rating für New Orleans aufgrund von Reporting-Verzögerungen auf Überprüfung – eine Stadt dieser Größenordnung wurde zuletzt vor mehr als einem Jahrzehnt auf „Credit Watch“ versetzt.
Laut S&P könnte die Südstaatenmetropole, deren ausstehende Anleiheschulden sich auf mehr als 500 Mill. Dollar belaufen, den unschmeichelhaften Status nach der Vorlage ihrer Zahlen für 2020 in den kommenden Wochen zwar wieder loswerden. Doch zeigt sich anhand des Beispiels von New Orleans ein besorgniserregender Trend. Denn während die Stadt die Verzögerungen bei der Veröffentlichung und Attestierung des Finanzberichts auf Sondereffekte wie eine Cyberattacke im Dezember 2019 oder Schäden durch den Hurrikan „Ida“ im Spätsommer 2021 zurückführt, weist eine Studie der University of Illinois in Chicago strukturelle Probleme der US-Kommunen nach. Im Jahr 2020 hätten diese im Median 164 Tage gebraucht, um ihre geprüften Finanzberichte vorzulegen – gegenüber 2009 ist die Dauer damit um 10% gestiegen.
Dass ein kommunaler Investor ähnliche Säumigkeiten bei Unternehmen aus seinem Portfolio dulden würde, ist für Beobachter dagegen kaum vorstellbar. So müssen US-Firmen ihre Zahlen gemäß Bundesregularien abhängig von ihrer Größe 60 bis 90 Tage nach Abschluss des Berichtszeitraums vorlegen.
Am Markt für Municipal Bonds, an dem ungefähr 35000 bundesstaatliche und lokale Regierungen als Emittenten auftreten, kommt erschwerend hinzu, dass aktualisierte Finanzinformationen häufig nur dann verfügbar sind, wenn öffentliche Einrichtungen neue Schulden aufnehmen. Gerade Kleinstädte und andere weniger bekannte Emittenten wie Schulbezirke sind nach einer ersten Emission oft jahrelang nicht am Markt aktiv. Damit bleiben die jährlichen Finanzberichte für viele Investoren die einzigen unabhängig geprüften Informationsquellen.
Laut S&P können Reporting-Verzögerungen zudem Anzeichen für tiefgreifende Management-Probleme darstellen. Zuletzt zog die Agentur im Jahr 2003 das Rating für eine Großstadt zurück, damals traf es San Diego. Im November 2006 sanktionierte die US-Börsenaufsicht SEC die kalifornische Metropole dann wegen Wertpapierbetrugs, weil diese Investoren nicht ausreichend über die Höhe ihrer Renten- und Pensionsverpflichtungen informiert hatte.
Die Risiken am Markt für Municipal Bonds zeigen sich auch anhand des Defaults von Puerto Rico im Jahr 2017. Das US-Außengebiet hatte zuvor Anleiheschulden im Volumen von 70 Mrd. Dollar und ungedeckte Pensionsverpflichtungen in Höhe von 50 Mrd. Dollar angesammelt. Nach der Restrukturierung halten einige Portfoliomanager bestimmte puerto-ricanische Bonds wieder für attraktiv. Konservativ eingestellte Investoren dürften den Default des Inselstaats aber als warnendes Beispiel betrachten – ebenso wie die abnehmende Transparenz anderer Emittenten.