LeitartikelBundestagswahl

Die getriebene Republik

Die Erwartungen an die künftige Regierung sind schon vor der Bundestagswahl gewaltig – ebenso wie die mögliche Fallhöhe, sollten diese Erwartungen enttäuscht werden.

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Bundestagswahl

Die getriebene Republik

Von Andreas Heitker

Die Erwartungen an die künftige Regierung sind schon vor der Wahl gewaltig – ebenso wie ihre mögliche Fallhöhe.

Nur noch wenige Abschlusskundgebungen und ein Wahlkampf geht zu Ende, den so wohl keiner der Parteistrategen geplant hatte. Die Spitzenkandidaten waren in den letzten Wochen von TV-Sendung zu TV-Sendung gehetzt, hatten weder ernsthafte Debatten noch abseitige Comedy-Formate, geschweige denn ein Podcast-Studio ausgelassen. Und zur Not musste es auch einmal ein Twitch-Livestream sein. Es ging immer um Aufmerksamkeit in einem extrem kurzen Wahlkampf. Doch die bestimmenden Themen in den Debatten prägten nicht die einzelnen Parteien und ihre Kandidaten. Diese wurden vielmehr von den Attentätern von Magdeburg und Aschaffenburg gesetzt und nach seiner Amtseinführung auch von Donald Trump mit seiner Wirtschafts- und insbesondere Ukraine-Politik. Die Verteidigungsfähigkeit Europas und ihre Finanzierbarkeit stehen auf einmal ganz oben auf der Dringlichkeitsagenda der Politik. Deutschland ist vor der Wahl am Sonntag ein getriebenes Land – von eigenen Ängsten, globalen Krisen sowie den Angriffen auf westliche Werte und eine regelbasierte internationale Ordnung.

Und jetzt? Die Erwartungen, die an die künftige Regierung herangetragen werden, sind gewaltig. Kein Wirtschaftsverband, der in diesen Tagen nicht einen deutlichen Politikwechsel fordert, um den Standort wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Der „Economist“ hob bereits den wahrscheinlichen nächsten Kanzler auf den Titel mit der Frage „Can Friedrich Merz save Germany – and Europe?“. Gemessen an den Hoffnungen ist die mögliche Fallhöhe des CDU-Chefs damit beachtlich. Denn es ist ja klar, dass die Union nach einem Wahlsieg nicht durchregieren und die strukturelle Krise der Wirtschaft mit dem Umlegen eines Schalters lösen kann. Es ist auch klar, dass sich CDU/CSU nach der Wahl ernsthafter als bisher fragen muss, wie all ihre Versprechen finanziert werden können.

Wahlkampf-Endspurt: Friedrich-Merz-Fans der Jungen Union in dieser Woche im niedersächsischen Vechta (Foto: picture alliance / Noah Wedel | Noah Wedel)

Im Wahlkampf gab es kaum größere Bewegungen in den Umfrageergebnissen, vom erstaunlichen Comeback der Linken einmal abgesehen. Weder Sozialdemokraten noch Grüne konnten so etwas wie ein Momentum entfachen und entscheidend Boden gutmachen. Und die Zustimmung für die Union blieb selbst nach dem umstrittenen Migrationsvorstoß von Merz und den sich anschließenden Massendemonstrationen auf den Straßen stabil. Auf den ersten Blick läuft daher alles auf eine „große“ Koalition hinaus. Sollten allerdings Liberale und das BSW doch noch ein wenig zulegen und den Sprung in den nächsten Bundestag schaffen, müssten sich CDU/CSU gleich zwei Partner für eine Koalition suchen – mit allen damit verbundenen Problemen bei der Kompromisssuche. Die Ampel lässt schön grüßen.

Ob Deutschland in den nächsten Wochen wieder rasch eine stabile Regierung erhält, hängt insbesondere an der Koalitionsfrage. In Berlin kursiert derzeit das Narrativ, wonach die nächste Legislaturperiode die letzte Chance für die Parteien der demokratischen Mitte sei. Sollte sich die nächste Koalition demnach erneut als dysfunktional erweisen, werde 2029 die AfD das Ruder übernehmen, heißt es. Ob dies ein realistisches Szenario ist, sei einmal dahingestellt. Unstrittig ist aber, dass eine handlungsfähige Regierung in der aktuellen Phase mit globalen Krisen, einer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft und zeitgleichem protektionistischen Druck von außen die Basis von allem ist.

Am Sonntag könnten mehrere politische Karrieren zu Ende gehen

Und jetzt? Diese Frage werden sich am Sonntagabend auch die Spitzenkandidaten stellen müssen. Es könnten dann gleich mehrere politische Karrieren zu Ende gehen: Olaf Scholz dürfte die SPD erstmals bei einer Bundestagswahl unter die 20%-Marke führen. Auch bei einer erneuten Regierungsbeteiligung wäre der heutige Kanzler außen vor. Christian Lindner wird sich bei einem Scheitern der FDP an der 5%-Hürde zumindest auf heftigen Gegenwind einstellen müssen. Und was wird aus Robert Habeck, wenn er künftig nicht mehr als Minister mitmischen darf? Dass seine Grünen ihm als Dank für einen nicht wirklich zündenden Wahlkampf den Partei- oder Fraktionsvorsitz überlassen, erscheint zweifelhaft. Die Ampel ist seit Anfang November Geschichte. Gut möglich, dass dies bald auch für ihre drei prägenden Köpfe gilt.

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