Entkoppelung mit der Brechstange
China-USA
Entkoppelung mit der Brechstange
China steht im Handelskonflikt mit den USA plötzlich isoliert da. Das exportlastige Wirtschaftsmodell ächzt. Die Chancen, dass Peking rasch einlenkt, sind dennoch gering.
Von Norbert Hellmann
Der Schock sitz tief. Peking hat sich in den sechs Monaten seit Donald Trumps Wahlsieg akribisch auf alle Eventualitäten einer Handelskonfrontation vorbereitet. Nach den Entwicklungen der letzten Tage steht man dennoch gefühlt vor einem Scherbenhaufen. Mit zwei Dingen konnte nicht gerechnet werden. Zum einen, dass Trump nach sanften Einstieg mit einem einigermaßen verkraftbaren Strafzollaufschlag von 20% binnen kürzester Zeit mehr als 120% draufpackt. Zum anderen, dass mit dem urplötzlichen Strafzoll-Moratorium für praktisch alle US-Handelspartner jetzt nur noch China im Fadenkreuz steht.
Taktische Isolation
In Sachen psychologischer Kriegsführung ist die an der Wall Street stürmisch gefeierte Geste gegenüber dem Rest der Welt ein wirkungsvoller Schachzug. Im Beziehungsgeflecht von europäischen und asiatischen Ländern zu den beiden Großmächten erschwert dies Interessenkoalitionen, bei denen man gefühlt mit China in einem Boot sitzt, um sich der Handelsattacken des wildgewordenen Bündnispartners USA zu erwehren. Trump hat klargemacht, wer mit mir redet, den Ring küsst und einen Deal anbietet, wird belohnt. China hat mit seinen Antworten auf die US-Zollstrafen klargemacht, dass man sich auf diese Weise weder einschüchtern noch an den Verhandlungstisch zwingen will. Das führt zu einem klassischen Showdown, bei dem sich zwei autoritäre Landesführer gegenüberstehen. Wer zuerst zuckt, hat verloren.
Neue Eskalationsgefahren
Mit bilateralen Strafzöllen jenseits von 100% ist man an einer Schwelle angelangt, ab der weitere Tariferhöhungen keine große Rolle mehr spielen beziehungsweise den Warenaustausch nicht weiter abwürgen können. Es gibt aber weitere Eskalationsmöglichkeiten, auf Ebene des Finanzsystems, des Kapitalverkehrs und der jeweils vor Ort investierten Unternehmen. Wenn sich hier Restriktionen hochschaukeln, landet man bei einer bisher für undenkbar gehaltenen totalen Entkoppelung zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten. Die Gefahr, dass aus einem Handelskrieg ein Finanzkrieg erwächst, kann nicht unterschlagen werden, ist aber nicht imminent. Die Chancen, dass sich Washington und Peking in Verzicht auf persönliche und nationale Eitelkeiten rasch am Verhandlungstisch zusammenfinden, sind allerdings ebenfalls gering. Auf einen konstruktiven Deal, mit dem sich Strafzölle deutlich zurückfahren lassen, kann man derzeit kaum hoffen.
Anpassungsschmerzen
Dass eine solche Handelsschlacht keine Gewinner kennt, ist für Ökonomen klar. Eher stellt sich die Frage, wer mehr zu verlieren hat und größere Anpassungsschmerzen erleiden muss. Ein signifikanter Abbau des Handelsdefizits mit China bringt zunächst einmal Chaos in die Konsumlandschaft der USA. Es gibt bei unzähligen Verbrauchsgütern derzeit keine Substitute für chinesische Waren, angefangen mit fast allen elektronischen Accessoires, auf die ein US-Haushalt zugreift.
Druck beim Wachstumsmodell
Für das exportlastige China ist der Handelskrach mit den USA eine extreme Herausforderung. Analysten rechnen mit einer möglichen Beeinträchtigung des diesjährigen Wirtschaftswachstums von mehr als 2%. Das wäre auch mit geballtem Stimulierungseifer kaum vollwertig auszugleichen. Aus Pekinger Sicht wäre eine von den USA provozierte Verfehlung des Wachstumsziels bei 5% zwar ein Schandfleck, längst aber nicht der Auslöser für eine Wirtschaftskrise. Eher entfaltet die Rückkehr von Trump einen eigentlich wünschenswerten Druck zur Anpassung des Wachstumsmodells.
Trügerische Ambition
China kommt für rund 30% der Weltindustrieproduktion, aber nur etwa 13% des weltweiten Konsums auf. Es gilt, von der einseitigen Fixierung auf eine überkapazitätsträchtige Industriepolitik abzukehren und der Stärkung des Binnenkonsums und der Sozialsysteme Priorität einzuräumen. Peking wird sich immens schwertun, den Schaden aus einem langgestreckten Handelskrieg abzufangen und den Binnenkonsum adäquat anzuregen. Das ist allerdings immer noch wesentlich realistischer als die Vorstellung, die im Weißen Haus zu regieren scheint: nämlich, dass Amerika über die Abnabelung von China wieder zum großartigen industriellen Powerhouse erwächst.