Goodbye
Rishi Sunak hat seine Rede im Londoner Mansion House wegen pandemiebedingter Restriktionen vor kleinerem Publikum gehalten als sonst ĂŒblich. FĂŒr ihn war es das erste Mal. AlljĂ€hrlich wenden sich die britischen Schatzkanzler bei einem opulenten Dinner an diesem historischen Ort in der City an die Vertreter der Finanzbranche, die in der Square Mile den Ton angibt. Doch was der britische Schatzkanzler bei seinem programmatischen Auftritt in der Residenz des Lord Mayor of London zu sagen hatte, lieĂ gleich in mehrfacher Hinsicht aufhorchen. Denn er machte nicht nur alle Hoffnungen zunichte, dass es mit der EU doch noch zu einer gegenseitigen Anerkennung der Finanzregulierung als gleichwertig kommen könnte. Er rĂŒckte zugleich die Chancen in den Vordergrund, die sich GroĂbritannien in den USA und in der Volksrepublik China bieten.
Man habe versucht, mit der EU eine Reihe von umfassenden gegenseitigen Ăquivalenzentscheidungen zu erreichen, sagte Sunak. Dazu sei es jedoch nicht gekommen. Nun schreite man als souverĂ€ner Rechtsraum voran, der seinen eigenen PrioritĂ€ten folge. GroĂbritannien habe nun die Freiheit, Dinge anders und besser zu machen, und werde davon voll und ganz Gebrauch machen. Er versprach eine unverkennbar eigenstĂ€ndige Herangehensweise, basierend auf britischem Recht, geschĂŒtzt von unabhĂ€ngigen britischen Aufsehern, um die britischen MĂ€rkte zu stĂ€rken. Sunak zog mit dem Goodbye an BrĂŒssel die Konsequenzen aus den von institutioneller SelbstĂŒberschĂ€tzung geprĂ€gten Versuchen von EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness, die regulatorische Zusammenarbeit bei Finanzdienstleistungen mit allgemeinpolitischen Fragen wie der Auslegung des Nordirland-Protokolls der EU-Austrittsvereinbarung zu verknĂŒpfen. Der ergebnislose Ausgang der Verhandlungen ist in erster Linie fĂŒr die Kunden der Finanzbranche innerhalb der Staatengemeinschaft bedauerlich, die kĂŒnftig fĂŒr viele Leistungen mehr bezahlen mĂŒssen, weil sie nur noch eingeschrĂ€nkten Zugang zu einem der wichtigsten Finanzzentren der Welt haben werden.
FĂŒr die City ist der Verlust des ungehinderten Zugangs zu den MĂ€rkten der EU leichter zu verschmerzen. Mit Resteuropa wurde manchen Rechnungen zufolge ohnehin nur ein FĂŒnftel des GeschĂ€fts generiert. Sein Beitrag zur Weltwirtschaft schrumpft. Zudem haben sich die groĂen Akteure der Finanzbranche lĂ€ngst in der EU um Zulassungen bemĂŒht und können dort wie einheimische Firmen auftreten. Sunak rĂŒckt andere MĂ€rkte in den Vordergrund: die Vereinigten Staaten, die schon der gröĂte Markt fĂŒr die britischen Finanzdienstleister sind, und die Volksrepublik China. Allerdings gibt es innerhalb der regierenden Konservativen einflussreiche Kreise, die gegen eine Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Peking sind. Der China-Debatte fehle es an Zwischentönen, bemĂ€ngelte Sunak. GroĂbritannien brauche ein wohlĂŒberlegtes und ausgewogenes VerhĂ€ltnis zum Reich der Mitte. Man könne gemeinsam an globalen Themen wie Gesundheit, der Alterung von Gesellschaften, Klimaschutz und DiversitĂ€t arbeiten und dabei das Potenzial eines schnell wachsenden Markts fĂŒr Finanzdienstleistungen heben, dessen Assets sich auf 40 Bill. Pfund belaufen.
Nahezu unbemerkt unterzeichnete Sunak vor kurzem eine Ăbereinkunft zu Finanzdienstleistungen mit Singapur, einer der heiĂesten Adressen fĂŒr aus der Volksrepublik geflĂŒchtetes Kapital. Ein ambitioniertes Abkommen mit der Schweiz befindet sich in der Pipeline. Zugleich haben Schatzamt und Aufsichtsbehörden wie die Financial Conduct Authority damit begonnen, die Finanzregulierung auf den PrĂŒfstand zu stellen â von den Transparenzanforderungen im Anleihen- und Derivatehandel bis hin zur Prospektrichtlinie. Man will schneller und flexibler agieren. Das ist einfacher, wenn man sich nicht mit 27 anderen LĂ€ndern auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen muss.
Bei der Kundschaft der Finanzbranche kommt das bislang gut an. Nachdem im ersten Halbjahr bei BörsengĂ€ngen an der London Stock Exchange mehr als 9 Mrd. Pfund eingesammelt wurden, liegt die britische Metropole auch im SekundĂ€rmarkthandel mit europĂ€ischen Aktien wieder vorn. Im Januar hatte ihr Amsterdam den Rang abgelaufen, weil Anleger aus der EU auf GeheiĂ BrĂŒssels in diesen Werten keine Transaktionen mehr in London tĂ€tigen dĂŒrfen. Wie aus den Daten von CBOE Global Markets hervorgeht, befand sich London schon im Juni wieder an der Spitze.