In Spanien werden Milch, Fisch und Bier knapp
In Spaniens Geschäften lichten sich allmählich die Regale. Vor allem Milch, Brot, Fisch und andere Frischprodukte werden knapp. Die Engpässe gehen auf die Folgen des Angriffskriegs in der Ukraine zurück, sind aber auch hausgemacht. Seit zehn Tagen lähmt ein Protest von Lastwagenfahrern im Land die Versorgung und zunehmend auch die Produktion. Wie schon zu Beginn der Pandemie reagieren viele Menschen mit Hamsterkäufen. Die Supermärkte registrierten in den letzten Tagen einen Anstieg der Verkäufe von 23%. Der Protest breitet sich aus wie ein Flächenbrand und bringt die Regierung aus Sozialisten und Linken zunehmend unter Druck. Regierungschef Pedro Sánchez und seine Minister hatten die Aktion anfangs völlig unterschätzt. Hinter dem Aufruf zur Arbeitsniederlegung verbarg sich eine kleine, bis dato fast unbekannte Plattform von selbständigen Transportunternehmern und Fahrern, die „Plataforma para la Defensa del Transporte de Mercancías“. Die traditionellen Gewerkschaften und andere Branchenverbände machten nicht mit, obwohl sie den Unmut über die drastisch gestiegenen Treibstoffpreise teilen. Die Regierung stellte die lautstarken und teils aggressiven Brummifahrer anfangs in die rechte Ecke und unterstellte der Plattform Verbindungen zur rechtsradikalen Vox, die als drittstärkste Kraft im spanischen Parlament sitzt. Die Demonstranten trugen gelbe Schutzwesten, was Kommentatoren in Madrid unweigerlich zu Vergleichen zur Gelbwesten-Bewegung in Frankreich inspirierte. Sánchez vertraute auf die Fernsehbilder von gewalttätigen Übergriffen der Protestler auf andere Lastwagenfahrer, die teilweise unter Begleitschutz der Polizei gestellt wurden.
Dennoch wuchsen in der Gesellschaft die Sympathien für die streikenden Lkw-Führer. Der Anstieg der Preise für Benzin, Diesel, Erdgas und Strom macht schließlich allen zu schaffen. Andere Kollektive schlossen sich dem Protest an, wie Spaniens mächtige Fischereiflotte. Die Regierung sah sich schließlich dazu gezwungen, am Montag am Verhandlungstisch Platz zu nehmen. Allerdings nicht mit der „Plataforma para la Defensa del Transporte de Mercancías“, deren Autorität sie nicht anerkennt, sondern mit dem Dachverband der Transportbranche CNTC. Bei dem Treffen versprach Wirtschaftsministerin Nadia Calviño den Brummifahrern 500 Mill. Euro an direkten Zuschüssen für den Treibstoff. Die Details der Hilfen sollten jedoch erst auf der Kabinettssitzung am kommenden Dienstag festgelegt werden. Dieses Zögern kam nicht gut an, zumal andere Länder wie die direkten Nachbarn Portugal und Frankreich bereits konkrete Zusagen getroffen haben und weit mehr als 500 Mill. Euro bereitstellen. Nicht nur die Plattform, die den Protest angezettelt hatte, wies das Abkommen der CNTC mit der Regierung zurück. Auch andere Berufsverbände scherten aus.
Die Zahl der streikenden Brummifahrer wächst derweil, und die Versorgungslage spitzt sich zu. Einige Industrieunternehmen, wie der Stahlkonzern Acerinox, mussten ihre Produktion herunterfahren. Die Automobilfabriken von Seat und Ford haben Kurzarbeit angesetzt, da der Streik die bestehenden Engpässe der Lieferketten verschlimmert. Der Lebensmittelgigant Danone erklärt, dass die Milch für die Produktion ausgeht, und Spaniens Brauereien warnen vor drohenden Engpässen beim Bier in der Gastronomie.
Die Verbände der Lebensmittelindustrie forderten in einem gemeinsamen Aufruf am Mittwoch die Regierung auf, den Konflikt zu lösen. Man teile die Sorgen der Transportarbeiter wegen der hohen Energiepreise, aber darunter würden auch andere Branchen leiden. Der Streik mache die Sache für alle Beteiligten nur schlimmer, hieß es in der Mitteilung.
Im Parlament musste sich Sánchez am Mittwoch von Parteien aus dem rechten und linken Spektrum Tatenlosigkeit vorwerfen lassen. Der Ministerpräsident hatte in den letzten Tagen auf einer Tour durch mehrere europäische Hauptstädte für seine Ideen zur Kontrolle der Preiseskalation geworben, die auf dem EU-Gipfel diesen Donnerstag und Freitag Thema ist. Eigentlich wollte Sánchez den Gipfel abwarten. Doch dann zog die Regierung ein Treffen mit der Transportbranche auf diesen Donnerstag vor.