Schlüsselbranche im Dauerstress
Chipindustrie
Schlüsselbranche im Dauerstress
Von Stefan Kroneck
Aufgrund wachsender exogener Schocks verringert sich
die Verlässlichkeit
von Prognosen
der Chiphersteller.
Es gibt kaum einen Wirtschaftszweig, in dem es für Unternehmen schwieriger ist, Vorhersagen bzw. Prognosen zu treffen, als die Chipindustrie. Das liegt nicht nur per se am schwankungsanfälligen und kapitalintensiven Geschäft mit den elektronischen Mikrobauelementen, sondern vor allem an der fortschreitenden Globalisierung der Aktivitäten. Dadurch wird die ohnehin frühzyklische Halbleiterbranche noch anfälliger für überraschende Störungen jedweder Art, die Volkswirte als „exogene“ Schocks bezeichnen.
Zu Letzteren zählen außergewöhnliche verheerende Naturkatastrophen, ausbrechende Kriege, Terroranschläge und tiefgreifende geopolitische Verwerfungen. Momentan richten sich diesbezüglich alle Blicke mehr als jemals zuvor auf das Weiße Haus in Washington und den dort amtierenden US-Präsidenten Donald Trump.
Risikofaktor Geopolitik
Der rechtspopulistische Republikaner ist mit seiner erratischen Handels- und Außenpolitik in der Tat ein Risikofaktor für das Weltgeschehen im Allgemeinen und auf wirtschaftlicher Ebene für den Hochtechnologiesektor, zu dem die Chiphersteller gehören, im Besonderen. Die besonnenen, geschickten Reaktionen Mexikos, Kanadas und Chinas mögen dessen jüngste Vorstöße in Sachen Strafzölle abgemildert haben, dennoch bleibt die Gefahr eines globalen Handelskriegs, der auch die EU einschlösse, unter Trumps Ägide permanent bestehen.
Dabei ist der Matador der größten Volkswirtschaft der Erde Dreh- und Angelpunkt eines Dauerkonflikts mit dem aufstrebenden China. Das zur weltweit zweitgrößten Wirtschaftsmacht aufgestiegene Reich der Mitte macht den USA Rang 1 nach und nach streitig. Dabei ist es allerdings gleichgültig, ob die Führungsmacht des Westens von einem Politiker der Republikanischen oder der Demokratischen Partei gelenkt wird. Die Auseinandersetzung um die Vorherrschaft auch auf technologischer Ebene wird ebenso die nächsten Dekaden prägen. Das zeigte Trumps Amtsvorgänger Joe Biden von den Demokraten.
Dualismus zwischen USA und China prägt
Der Dualismus zwischen den USA und China wirft einen Schatten auf die Chipindustrie, die in den vergangenen Jahren zu einer Schlüsselbranche mutiert ist. Mancher behauptet sogar, dass Halbleiter im 21. Jahrhundert das Öl als Schmierstoff der globalen Wirtschaft ablösen würden. Das heftige Ringen beider Großmächte um die Führungsrolle auf dem Zukunftsfeld künstliche Intelligenz (KI), wo Leistungshalbleiter sehr umfangreich zum Einsatz kommen, stützt diese These. Nicht von ungefähr versucht Washington, Peking den Zugang zu westlicher Technologie und Know-how auf diesem Gebiet zu erschweren. Das beschleunigt tendenziell den Trend zum Protektionismus. Chips dienen zunehmend als Mittel zum Zweck. Der Halbleitermarkt ist zu einem Spielball der Politik geworden.
Dies forciert zusätzlich den Eindruck, dass die Chipindustrie sich in einem dauerhaften Ausnahmezustand, in einer Art Dauerstress befindet. Trumps Strafzölle-Coup, der jüngste KI-Vorstoß des chinesischen Start-ups DeepSeek im Bereich der KI und Pekings Säbelrasseln um die für die Chipbranche äußerst wichtige Inselrepublik Taiwan lösten Schockwellen aus, die die Halbleiterhersteller unmittelbar trafen.
Verlässlichkeit von Firmenprognosen leidet
Das schwierigere Umfeld führt dazu, dass die Verlässlichkeit zukunftsgerichteter Aussagen von börsennotierten Chipproduzenten und deren Zulieferern enorm abnimmt. Das erhöht wiederum die Verunsicherung von Investoren, weil die Planbarkeit für Unternehmenslenker herausfordernder wird. Manche Manager könnten dann dazu neigen, keine Ausblicke mehr öffentlich abzuliefern.
Das sorgte für noch heftigere Kursausschläge bei Chipwerten an den Börsen. Das wachsende Risiko einer erhöhten Volatilität an den Kapitalmärkten verdeutlichen die sehr konträren Angaben von STMicroelectronics und Infineon zu der Frage, wann die gegenwärtige zyklische Branchenflaute endet. Anleger, die in diesen Technologiesektor investiert haben, benötigen viel Geduld und gute Nerven.