Ein Jahr Krieg

Zeitenwende für die Weltwirtschaft

Es ist schwer, die ökonomischen Kosten des Ukraine-Kriegs exakt zu beziffern – und die schlimmsten Szenarien haben sich bislang nicht erfüllt. Klar ist aber, dass die Auswirkungen für die Weltwirtschaft enorm sind. Das gilt auch für die Struktur der globalen Ökonomie. So droht etwa eine Zäsur für die Globalisierung.

Zeitenwende für die Weltwirtschaft

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Der schreckliche Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat nicht nur unermessliches menschliches Leid gebracht. Der Krieg zeitigt auch enorme Folgen für die Weltwirtschaft. Das gilt kurzfristig-konjunkturell, also für das Wachstum der globalen Wirtschaft. Das gilt aber auch langfristig-strukturell, weil er mindestens in Teilen das Wesen des globalen Wirtschaftens verändert. Insbesondere letztere Implikationen sind noch längst nicht in Gänze absehbar.

Was die kurzfristigen konjunkturellen Auswirkungen betrifft, hat der Krieg insbesondere die zur Jahreswende 2021/2022 grassierende Zuversicht beendet, dass mit dem Abflauen der Corona-Pandemie die Weltwirtschaft zu einem kräftigen Aufschwung ansetzen könnte. Ein erster Beleg dafür sind die Wachstumsprognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Noch im Oktober 2021, als der Krieg nicht absehbar war, sagte der Fonds für 2022 ein globales Wachstum von 4,9% voraus. In den folgenden Monaten revidierte er diese Prognose immer weiter herunter bis auf nur noch 3,2% im Oktober 2022. Der Krieg lastet etwa auf den Investitionen und der Konsumbereitschaft, die Rohstoff- und Energieknappheit führt zu Produktionsausfällen.

Die exakten ökonomischen Kosten des Kriegs zu quantifizieren ist indes äußerst schwierig. Das liegt daran, dass es parallel auch andere prägende Ereignisse gab, wie etwa die lange Zeit sehr rigide Null-Covid-Politik in China. Bei anderen Faktoren ist eine trennscharfe Abgrenzung schlechterdings nicht möglich. So dämpft etwa auch die sehr rigide Zinspolitik der weltweiten Zentralbanken gegen die hohe Inflation die Wachstumsaussichten. Die hohe Inflation wiederum geht zwar stark auf den Krieg und die dadurch ausgelöste Energiekrise zurück, aber sie zog auch bereits vor Kriegsbeginn deutlich an.

Zum Jahrestag des russischen Überfalls hat sich das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln dennoch an einer Schätzung versucht. Demnach dürfte die weltweite Wirtschaftsleistung im Jahr 2022 um deutlich mehr als 1,6 Bill. Dollar niedriger ausgefallen sein, als es hauptsächlich ohne die russische Invasion in der Ukraine der Fall gewesen wäre. Im Jahr 2023 könnten sich die weltweiten Produktionsausfälle gemäß den bestehenden Rahmenbedingungen auf nochmals rund 1 Bill. Dollar belaufen, so das IW. Fast 40% der Einbußen 2023 entfallen demnach schätzungsweise auf die aufstrebenden Volkswirtschaften und Entwicklungsländer (siehe Grafik).

Für Deutschland geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) davon aus, dass der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Explosion der Energiekosten das Land im Jahr 2022 knapp 2,5% oder 100 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung gekostet haben. „Diese Kosten werden in den kommenden Jahren weiter wachsen“, sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher. „Deutschland ist wirtschaftlich stärker von der Krise betroffen, weil es eine höhere Abhängigkeit von russischer Energie hatte, einen hohen Anteil an energieintensiver Industrie hat und extrem abhängig von Exporten und globalen Lieferketten ist.“

So hoch die Kosten aber auch sind – die schlimmsten Schreckensszenarien haben sich bislang nicht erfüllt. Das gilt auch für die Eurozone und Deutschland. Die Euro-Wirtschaft könnte sogar um die noch vor kurzem als sicher geltende Rezession herumkommen und in Deutschland dürfte sie viel schwächer ausfallen als befürchtet. Das liegt zum einen an dem milden Winter und zum anderen an den beispiellosen Fiskalhilfen wie dem 200 Mrd. Euro umfassenden „Doppelwumms“ der Ampel-Koalition. Aber viele Volkswirtschaften und einzelne Unternehmen haben sich auch als anpassungsfähiger erwiesen als gedacht.

Für die Weltwirtschaft hob der IWF nun im Januar seine Wachstumsprognosen erstmals seit Anfang 2022 wieder etwas an (siehe Grafik). Ex-IWF-Chefvolkswirt Kenneth Ro­goff warnt aber vor zu viel frühem Optimismus: „Obwohl es einige positive Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung gibt, könnte eine plötzliche Eskalation die Weltwirtschaft ernsthaft destabilisieren, einen Börsencrash verursachen und die Deglobalisierung beschleunigen.“

Langfristig-strukturell bedeutet der Krieg in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur für die Weltwirtschaft. So hat der Krieg endgültig Schluss gemacht mit der Illusion, dass die Inflation auf Dauer besiegt, ja sogar „tot“ sei. Eng verbunden damit ist das Ende des billigen Geldes. 40 Jahre lang sind die Zinsen weltweit in der Tendenz immer weiter gesunken. Damit ist nun Schluss und Kapital wird knapper. Hinzu kommt die Energiekrise. Sie ist bereits im Zuge der Wiederöffnung nach der Pandemie zutage getreten, hat sich aber mit dem Krieg zugespitzt. Jetzt braucht es ein Umdenken bei der Energieversorgung – und bei der Energiesicherheit.

Und schließlich droht auch eine Zäsur bei der Globalisierung und der internationalen Wirtschaftsordnung. Womöglich noch stärker als schon die Pandemie schürt der Krieg Zweifel an der internationalen Arbeitsteilung und an den globalen Abhängigkeiten. Auch die multilaterale Wirtschaftsordnung steht auf dem Prüfstand. Drohte in der Pandemie vor allem eine wirtschaftliche Spaltung zwischen den Industrie- und Schwellenländern, ist es nun die auch ökonomisch zunehmende Blockbildung, die Sorgen machen muss – vor allem der Konflikt zwischen den weltgrößten Volkswirtschaften USA und China. „Großmachtwettbewerb ersetzt Globalisierung“, lautet dazu die These von Union Investment. Kommt es tatsächlich so, dürften die langfristigen wirtschaftlichen Folgen enorm sein.

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