Das „Staatsoberhaupt der Wall Street“ vor schwierigen Zeiten
„Staatsoberhaupt der Wall Street“ vor schwierigen Zeiten
Von Peter De Thier. Washington
Wer Jerome Powell bei Pressekonferenzen beobachtet, gewinnt den Eindruck, er sei die Ruhe in Person. Dass er zu den einflussreichsten Notenbankern der letzten 50 Jahre zählt, steigt ihm nicht zu Kopf. Auch bleibt er cool, wenn ein Reporter wissen will, wie er auf eine Rücktrittsaufforderung von US-Präsident Donald Trump reagieren würde. „Nein, ich würde nicht gehen“ lautet die Antwort. Kurz, bündig, unemotional. Damit demonstrierte Jerome Hayden Powell das wohl wichtigste Markenzeichen seiner langen Karriere als Rechtsanwalt, Investmentbanker, Politiker und Notenbanker: „All Business“.
Mit dem Fokus eines Laserstrahls
Powell hat klare Ziele und verfolgt diese mit dem geradlinigen Fokus eines Laserstrahls. Nichts kann ihn scheinbar aus der Fassung bringen. Weder eine historische Pandemie, die über 30 Millionen Jobs vernichtete und die Vollbeschäftigungskomponente des Fed-Mandats gefährdete. Genauso wenig die höchste Inflation in 40 Jahren und die Tatsache, dass er, der mächtigste Währungshüter der Welt, diese lange Zeit verkannte. Powell bleibt sogar gelassen, wenn ein unberechenbarer Präsident ihm vorwirft, ein „inkompetenter Idiot“ zu sein.
Die souveräne Ausgeglichenheit des 72-Jährigen hängt mit seinem familiären Hintergrund zusammen. Powell wurde in Washington D.C. in eine streng katholische Familie geboren. Vom Kindesalter an wurden den sechs Geschwistern Grundwerte wie Bescheidenheit, Fleiß, Selbstdisziplin und Zielstrebigkeit eingeflößt. Sein Vater war Rechtsanwalt. Dieselbe Laufbahn schlug auch der junge Powell nach seiner Promotion an der juristischen Fakultät der Georgetown University ab. Zuvor hatte er an der Elite-Uni Princeton einen Abschluss als Politikwissenschaftler erworben.
Diverse Karrierestationen
Unterdessen war ihm mit Ende 20 noch nicht klar, in welche Richtung die Karriere führen würde. Fünf Jahre lang war Powell in einer Anwaltspraxis tätig. Mit Anfang 30 wechselte er ins Investmentbanking und sechs Jahre später in die Politik. Unter Präsident George H.W. Bush diente sich Powell zum Staatssekretär mit Zuständigkeit für inländische Finanzen hoch. Es folgten eine Berufsstation bei der Private Equity Firma The Carlyle Group und die Gründung seines eigenen Investmentunternehmens.
In den Notenbankvorstand wurde Powell 2011 vom damaligen Präsidenten Barack Obama berufen. Der Demokrat Obama sorgte damit zugleich für einen Präzedenzfall. Zum ersten Mal seit den achtziger Jahren nominierte nämlich ein Präsident ein Mitglied der Oppositionspartei für den Board. 2017 wollte Obama-Nachfolger Donald Trump dann von seinem Parteifreund wissen, ob er Interesse an der Nachfolge der politisch liberalen Notenbankchefin Janet Yellen hätte. Der Bankenausschuss des Senats bestätigte Powell mit nur einer Gegenstimme. Seit Februar 2018 lenkt Jay Powell die Geschicke der Federal Reserve.
Zerwürfnis mit Trump
Der Grund, warum Bloomberg News ihn „das Staatsoberhaupt der Wall Street“ nennt, mag in der Vielzahl von Herausforderungen liegen, die Powell in nur 7 Jahren zu meistern hatte. Als er 2018 den Job des „Fed-Chair“ annahm, brummte die Wirtschaft. Um potenzielle Inflation im Keim zu ersticken, zog er die Zügel straffer. Auch kündigte Powell an, über „quantitative Straffungen“ die Bilanzsumme der Notenbank zu reduzieren. Damit legte der oberste Währungshüter auch den Grundstein für einen Zoff mit Trump.
Der US-Präsident geißelte die „verrückte Politik“ der Fed. Anstelle der Kursverschärfung forderte er sofortige Leitzinssenkungen. Trump dachte sogar laut darüber nach, Powell vorzeitig aus dem Amt zu drängen. Bald danach wurden erste Zeichen dafür sichtbar, dass der politische Druck dem Chef der unabhängigen Zentralbank unter die Haut ging. Powell beendete nicht nur die Straffungen. Er vollzog eine Kehrtwende, weitete die Fed-Bilanz wieder aus und setzte im Folgejahr den Tagesgeldsatz drei Mal herunter.
Richtungsvorgabe durch Corona
Bis zum Ende von „Trump 1“ und während der Amtszeit von Joe Biden diktierten die ökonomischen Auswüchse der Corona-Krise den Kurs der Geldpolitik. Im März 2020 beschloss der Offenmarktausschuss (FOMC) auf Powells Geheiß einen Nullzins, der zwei Jahre lang Bestand hatte. Begleitet wurde die Lockerung von Anleihenkäufen. Diese ließen die Fed-Bilanz binnen 14 Monaten von 4,2 auf fast 9,0 Bill. Dollar anschwellen.
Unterdessen beging der weltmächtigste Notenbanker einen Fehler, den viele Fed-Beobachter als das folgenschwerste Versäumnis seiner Amtszeit ansehen: Er wiederholte fast zwei Jahre lang, dass die sich beschleunigende Inflation nur „vorübergehend“ sei. Die Folge: Im Juni 2022 kletterte die Jahresrate des Verbraucherpreisindex über 9%. Dann wieder eine Kehrtwende: Die Inflation stelle „eine ernsthafte Gefahr für die US-Wirtschaft“ dar, meinte er. Die Reduktion der Anleihenkäufe („tapering“) war 2022 längst im Gange. Ab März folgten dann elf Zinserhöhungen in Folge. Und der Zielkorridor für den Leitzins erreichte im Sommer 2023 den höchsten Stand seit 2001.
Zum Ausklang ein gemäßigter Kurs
Seit dem Zick-Zack Kurs der vorangegangenen drei Jahre ist die Fed nun auf eine moderate geldpolitische Linie eingeschwenkt. Der Leitzins wurde um insgesamt einen Prozentpunkt heruntergesetzt. Unterdessen bleibt das FOMC in einer Warteposition. Weitere Lockerungen sind prinzipiell vorgesehen. Gleichwohl bleibt unklar, welche inflationären Effekte Trumps Einfuhrzölle entfalten werden. Begleitet wird diese Ungewissheit von wachsenden Sorgen um den Arbeitsmarkt und Konjunkturverlauf.
Folglich steht Jerome Powell während seiner letzten zwei Jahre nicht nur vor komplexen ökonomischen Herausforderungen. Ihm sitzt obendrein ein neuer Präsident im Nacken, der ohne Rücksicht auf die Folgen Zinssenkungen verlangt. Powell muss beweisen, dass er politischem Druck widerstehen und der konjunkturellen Herausforderungen Herr werden kann. Gelingt ihm das, dann hat er den Titel des „Staatsoberhaupt der Wall Street“, deren Geschicke entscheidend vom Kurs der Fed abhängen, redlich verdient.