Der gefallene Prinz will sein Erbe nicht verlieren
Amerikas Leitzins-Lenker (2): Michael Barr
Der gefallene Prinz will sein Erbe nicht verlieren
Von Alex Wehnert, New York
Am 28. Februar 2025 ging für Michael Barr eine turbulente Zeit als oberster amerikanischer Bankenkontrolleur zu Ende. Der im Juli 2022 angetretene Jurist gab Ende des vergangenen Monats den Posten als Vize-Vorsitzender der Federal Reserve für Aufsicht ab – ein Schritt, der bei vielen Vertretern der Wall Street grimmige Genugtuung auslöste.
Opfer für den König
Denn Barr hat sich im Finanzsektor insbesondere durch sein Vorpreschen bei der Umsetzung des globalen Bankenpakets Basel III im Finanzsektor wenig Freunde gemacht. Vor seiner Rücktrittsankündigung Anfang Januar spekulierten Beobachter in Washington, dass der für einen marktfreundlicheren Regulierungskurs stehende US-Präsident Donald Trump versuchen könnte, Barr seines Amtes zu entheben. „Es wäre nicht das erste Mal, dass der Prinz für den König geopfert wird“, sagte ein Wall-Street-Insider damals gegenüber der Börsen-Zeitung. Mit „König“ ist in diesem Fall Fed-Chef Jerome Powell gemeint, der für Trump ebenfalls zum Feindbild geworden ist, aber auch unter der neuen Regierung unbeirrt an seinem Posten festhalten will.
Der „Prinz“ lässt sein Erbe nun indes nicht ganz los. Zwar hat das Trump-Lager mit der Republikanerin Michelle Bowman eine neue Favoritin für den Spitzenposten der Fed-Bankenaufsicht auserkoren, doch der bis vor kurzem amtierende Barr bleibt dem Gouverneursrat der Notenbank erhalten – und übt damit auch künftig entscheidenden Einfluss auf die Geldpolitik in den Vereinigten Staaten aus.
Inflationsbekämpfung mit Vorrang
Der in Washington, D.C. geborene Demokrat hat die Zinserhöhungen seines republikanischen Vorsitzenden Powell ab 2022 ausdrücklich mitgetragen. Er sei zwar auf das Doppelmandat der Fed aus Vollbeschäftigung und stabilen Preisen fokussiert, betonte er in Reden wie seiner Ansprache an den New Yorker Forecasters' Club 2023 wiederholt. Allerdings stimme er mit Powell darin überein, dass „die Wirtschaft ohne Preisstabilität für niemanden funktioniert“ – es dann also auch nicht möglich sei, den Arbeitsmarkt nachhaltig zu stärken. Damit räumte er der Inflationsbekämpfung den Vorrang ein.
Zugleich zeigt sich der 59-Jährige überzeugt, dass „Geldpolitik und Finanzstabilität untrennbar miteinander verbunden sind“, wie er noch kurz vor seinem Abtritt vom Fed-Vizeposten bei einer Veranstaltung an seiner Alma Mater, der Renommieruniversität Yale, unterstrich. Dabei bezog sich Barr auf die Regionalbankenkrise in den Vereinigten Staaten 2023, als es mit dem Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB), der Signature Bank und der First Republic Bank in kurzer Folge zu drei der vier größten Zusammenbrüche von Finanzinstituten in der amerikanischen Geschichte kam.
Schwere Managementfehler
Denn die harten und rapiden Zinserhöhungen der Fed trafen die Geldhäuser, die ihre Anleiheportfolios und Derivate-Positionen nicht ausreichend gegen resultierende Risiken abgesichert hatten, unerwartet. Barr geriet angesichts der später offenbar gewordenen Managementfehler bei den betroffenen Banken in die Kritik, seiner Aufsichtsfunktion nicht ausreichend nachgekommen zu sein. Der langjährige Beamte, der während der Regierungsjahre Bill Clintons und Barack Obamas wichtige Rollen innerhalb der Treasury einnahm, räumte im Nachgang der Regionalbankenkrise zwar ein, dass „wir nicht genug getan haben“, verteidigte zugleich aber das Vorgehen im Zuge des Zusammenbruchs der SVB.

Das Geldhaus war nach einem Einlagenrückgang zu verlustreichen Wertpapierverkäufen gezwungen, die Ankündigung einer Kapitalerhöhung löste bei Kunden Panik aus. Das Finanzministerium, die Fed und die Einlagensicherung FDIC versuchten die Lage durch Garantien von Bankeinlagen und die Schaffung neuer Notfallkreditprogramme zu beruhigen. Das Finanzdienstleistungskomitee im US-Repräsentantenhaus äußerte damals erhebliche Zweifel daran, dass die Regulatoren ausreichend für einen Bank Run vorausgeplant hätten.
Verfechter der Finanzstabilität
Die Aktienkurse mehrerer weiterer Geldhäuser gerieten unter Druck, die Vertrauenskrise schwappte über den Atlantik und führte letztlich auch zur Notübernahme der Credit Suisse durch die Rivalin UBS. Barr wurde darauf seine Reputation als „Erzfeind der Wall Street“ gerecht, die er vor allem im Nachgang der Finanzkrise 2008 erhielt. Der Vater dreier Kinder, der an der University of Michigan lehrt, war damals Mitverfasser des Dodd-Frank Act, durch den Washington die Finanzstabilität zu stärken und für mehr Transparenz und Verantwortlichkeit im Bankensektor zu sorgen suchte. Bei der Gründung der Verbraucherschutzbehörde Consumer Financial Protection Bureau nahm er einst eine Schlüsselrolle ein, zudem zählte er zu den schärfsten Verfechtern der sogenannten „Volcker-Regel“, die Banken den Eigenhandel mit Wertpapieren untersagte.
Nach dem SVB-Kollaps setzte Barr sich für eine Umsetzung des globalen Bankenpakets Basel III in den Vereinigten Staaten in einer Form ein, durch die Mindestanforderungen für das harte Kernkapital (CET1) globaler, systemisch wichtiger US-Institute um 20% gestiegen wären. Damit hätten die Aufschläge deutlich übertroffen, die zum Beispiel die Aufsichtsbehörde EBA für europäische Institute vorsieht. Branchenvertreter warfen Barr daraufhin vor, seine Initiative werde die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Banken schwächen und die Kreditvergabe zulasten der Gesamtkonjunktur Barr eindämmen. Der Notenbanker ruderte unter diesem Druck im September 2024 zurück: Es seien „umfangreiche und tiefgreifende Änderungen“ an den Entwürfen geboten.
Schwieriger Zickzackkurs
Nach Barrs jüngsten Ankündigungen sollen die Mindestanforderungen für die CET1-Quoten globaler, systemisch wichtiger US-Institute um 9% steigen. Banken mit einer Bilanzsumme von weniger als 250 Mrd. Dollar könnten nach Barrs Änderungsvorschlägen indes fast aus dem Schneider sein. Auf sie käme lediglich die Verpflichtung zu, nicht realisierte Gewinne und Verluste aus ihren Wertpapierportfolios in die Berechnung ihrer Eigenkapitalquoten einzubeziehen.
Kritiker sehen in Barr, der sich nach den Präsidentschaftswahlen 2020 als freiwilliges Mitglied in der Übergangsmannschaft des damals siegreichen Joe Biden engagierte, einen Opportunisten. Durch seinen Zickzackkurs habe er mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Powell, der die Unterstützung seines Ex-Vize nicht mit gleicher Münze zurückzahlte und dessen Vorgehen in Bezug auf das „Basel III Endgame“ öffentlich implizit in Frage stellte, sagte zuletzt gar, die Fed komme ohne einen stellvertretenden Vorsitzenden für Bankenaufsicht zurecht.
Die Position wurde nach der Finanzkrise 2008 geschaffen. Einen neuen Vize kann Trump nur aus dem Kreis der aktuellen Fed-Gouverneure um Favoritin Bowman nominieren. Durch seinen Rückzug von dem Kontrolleursposten hat sich Barr laut seinen Fürsprechern indes in den Dienst einer größeren Mission gestellt. Denn indem er seiner Demission durch Trump zuvorkam, verhinderte er wohl einen langen und von den Aufgaben der Notenbank ablenkenden Rechtsstreit.
Blockade im Gouverneursrat
Zugleich blockiert er aber weiterhin einen Platz im Gouverneursrat. Für Trump öffnet sich die nächste Gelegenheit, einen eigenen Kandidaten für den elitären Notenbankzirkel zu ernennen, laut Plan erst mit dem turnusgemäßen Abschied der Demokratin Adriana Kugler im Januar 2026. „Im aktuellen Umfeld kann ich dem amerikanischen Volk in meiner Rolle als Gouverneur besser dienen“, betonte der gefallene Prinz Barr zuletzt entsprechend augenzwinkernd.
Zuletzt erschienen: Das „Staatsoberhaupt der Wall Street“ vor schwierigen Zeiten (1)
Die bisher erschienenen Teile der Serie "Amerikas Leitzins-Lenker finden Sie hier.