GastbeitragKünstliche Intelligenz

KI ruft Wettbewerbshüter auf den Plan

Wettbewerbshüter machen Bedenken gegen einige Entwicklungen auf dem KI-Markt geltend. Aber zu viel Regulierung kann Innovationen bremsen. Politik und Kartellbehörden stehen vor der anspruchsvollen Aufgabe, den Wettbewerb um KI innovativ, aber auch fair zu gestalten.

KI ruft Wettbewerbshüter auf den Plan

KI ruft Wettbewerbshüter auf den Plan

Partnerschaften zwischen Start-ups und großen Technologiekonzernen im Fokus – Risikofaktor Abwerbeverbote – Zu viel Regulierung kann Fortschritt hemmen

Von Elena Wiese und Julian Urban *)

Seit dem Launch von OpenAIs ChatGPT 3.5 im November 2022 hat nicht nur das allgemeine Interesse an KI zugenommen, sondern auch das der Kartellbehörden. Allein im letzten Jahr haben Kartellbehörden aus zehn Jurisdiktionen Untersuchungen im KI-Markt gestartet. Die globalen Bedenken gipfelten jüngst in einer gemeinsamen Erklärung der wichtigsten Wettbewerbsbehörden diesseits und jenseits des Atlantiks: Die US-amerikanischen Kartellwächter DoJ (Department of Justice) und FTC (Federal Trade Commission), die britischen Wettbewerbshüter CMA (Competition and Markets Authority) und die Europäische Kommission äußern sich besorgt über den Stand des Wettbewerbs im Bereich KI.

Die Behörden erkennen zwar das transformative Potenzial von KI und die potenziellen Vorteile für Verbraucher, Innovation und Wirtschaftswachstum, sind aber gleichzeitig besorgt über die Vermachtung des KI-Ökosystems durch Abhängigkeiten, die Integration von KI-Produkten in bestehende Ökosysteme und Partnerschaften zwischen etablierten Tech-Playern und Start-ups.

Grenzen der Fusionskontrolle

Der Fokus liegt u. a. auf „Big Tech“-Partnerschaften: Etablierte Tech-Player sichern aufstrebenden, aber notorisch auf Geld und Ressourcen angewiesenen Start-ups Finanzierung, Zugang zu Daten oder Rechen- und Cloud-Kapazitäten zu. Im Gegenzug erhalten sie Minderheitsbeteiligungen, manchmal auch einen Sitz im Aufsichtsrat und die (mitunter exklusive) Möglichkeit, die Technologie des Start-ups zu nutzen.

Kartellbehörden befürchten, dass durch solche Partnerschaften das Innovationspotenzial der Newcomer geschmälert oder gar ganz von ihren Partnern vereinnahmt wird. Sie stehen aber gleichzeitig vor dem Problem, dass sich diese Form der Partnerschaften zumeist ihrer Kontrolle entzieht. Denn für die Fusionskontrolle, die strukturelle Unternehmensverbindungen erfassen soll, sind diese Partnerschaften oft nicht greifbar. Sie begründen in der Regel keinen in der EU oder ihren Mitgliedsstaaten anmeldepflichtigen Zusammenschlusstatbestand.

Monatelanges Ringen

Trotzdem schauen die Kartellbehörden weltweit sehr genau hin: So haben sowohl die FTC, die CMA, die EU-Kommission als auch das Bundeskartellamt die Partnerschaft zwischen Microsoft und OpenAI untersucht. Nach monatelangem Ringen kamen die EU-Kommission und das Bundeskartellamt zu dem Schluss, dass keine Anmeldepflicht besteht. Die CMA prüft derzeit noch und auch die US-Kartellbehörde FTC prüft weiter, ob eine Umgehung der Anmeldepflichten vorliegt. Schon jetzt zeigen die Untersuchungen aber Wirkung: So hat etwa Microsoft als Folge des Drucks der Wettbewerbsbehörden ihren Sitz als Beobachter im Board von OpenAI aufgegeben.

Die mangelnde Schlagkraft des Kartellrechts dürfte aus Sicht der Kartellbehörden unbefriedigend sein. Hinzu kommt, dass der Kartellbehörde in Brüssel jetzt auch noch ein weiteres Mittel fehlt, um Transaktionen im KI-Ökosystem zu prüfen. Denn der EuGH hat in seiner Illumina/Grail-Entscheidung der eigenwilligen Verweigerungspraxis der EU-Kommission einen Riegel vorgeschoben, wonach die Kommission auch Transaktionen prüfen konnte, für die weder sie noch ein Mitgliedstaat zuständig war. Damit sollten gerade auch Aufkäufe vielversprechender (KI-)Start-ups erfasst werden, bei denen zwar eine hinreichende strukturelle Verbindung besteht, die umsatzbezogenen Schwellenwerte aber nicht erreicht wurden.

Datenzugang wichtig

Die EU-Wettbewerbsbehörden sind generell besorgt, dass die Eintrittsbarrieren für neue, innovative KI-Marktteilnehmer steigen und der Markt langfristig von einigen wenigen Akteuren dominiert werden könnte. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass erfolgreiche KI-Anwendungen Zugang zu Daten, Rechen- und Cloud-Kapazitäten oder leistungsfähigen Chips erfordern. Gerade KI-Start-ups verfügen zwar über die innovativen Ideen und Mitarbeiter, nicht aber über den Rest. Die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle kann aber den Zugang ermöglichen, wenn er verweigert wird. Sie richtet sich nur gegen Unternehmen, die einen Markt beherrschen.

Was dieser Markt umfasst, wird damit zur wichtigen Weichenstellung. Zugang müssen Marktbeherrscher regelmäßig dann gewähren, wenn die Ressourcen nicht anderweitig zugänglich sind, der Zugang für die Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich ist (also den Wettbewerb anderweitig ausschaltet) und der Inhaber nicht geltend machen kann, dass eigene schutzwürdige Interessen entgegenstehen. So können nicht nur junge KI-Akteure Zugang zu notwendigen Ressourcen erlangen, sondern ebenso auch andere Unternehmen, die sich durch einen unzureichenden Daten-, Cloud- oder Chip-Zugang in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gehindert sehen.

Ausbau der Ökosysteme

Daneben steht die Sorge der Kartellbehörden, dass etablierte Technologiekonzerne ihren privilegierten Zugang zu Ressourcen sowie ihre erworbenen oder eigenen KI-Fähigkeiten nutzen könnten, um ihr eigenes Produktökosystem zu erweitern und damit ihre Marktposition insgesamt zu festigen. Kartellrechtlich sind es hier häufig sog. Kopplungen, die im Visier der Kartellbehörden liegen. Dies betrifft die Bündelung zweier oder mehrerer Produkte (z.B. eines allgemeinen Suchdienstes und eines KI-basierten virtuellen Sprachassistenten). Kunden bevorzugen dann häufig das Paketangebot und Anbieter von Einzelprodukten haben das Nachsehen.

Digital Markets Act

Es ist jedoch eine schwer zu ziehende Grenze, ob zwei Produkte künstlich zusammengefasst oder nur einer (neuen) korrespondierenden Nachfrage gerecht werden. Die Kartellbehörden schrecken derzeit jedoch nicht davor zurück. In einigen Verfahren gehen sie gegen entsprechende Verhaltensweisen etwa im Bereich Sprachassistenten oder Cloud-Lizenzbedingungen vor.

Noch mehr Eingriffsmöglichkeiten bietet der Digital Markets Act (DMA), der sogenannte Gatekeeper einer präventiven Verhaltenskontrolle unterwirft, sowie sein deutsches Pendant des §19a GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Auch hier laufen zahlreiche Verfahren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass KI und Cloud vom DMA nicht, und nur allenfalls indirekt, erfasst werden. Es werden aber bereits Stimmen lauter, die dies ändern wollen.

Jagd auf Spezialisten

Nicht nur technische Kapazitäten sind gefragt, auch der Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften wie KI-Ingenieuren ist enorm. Immer häufiger sind sogenannte Acqui-Hires zu beobachten. Dabei werden Start-ups mit dem Ziel gekauft, die relevanten Mitarbeiter zu übernehmen. Gelingt dies nicht, wird aggressiv um die Mitarbeiter geworben. Im Fokus der Kartellbehörden stehen daher derzeit insbesondere „No poach agreements“, also Abwerbeverbote.

Abwerbeverbote im Blick

Das Problembewusstsein in den Personalabteilungen ist noch nicht immer ausgeprägt. In den Augen der Wettbewerbshüter können Abwerbeverbote jedoch zu spürbaren Einschränkungen des Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt führen und werden als besonders schwerwiegende, sogenannte „Hardcore-Beschränkungen“ eingestuft. Ein Kartellverstoß liegt daher nahe und die EU-Kommission ist, wie die jüngsten Verfahrenseinleitungen gegen Abwerbeverbote zeigen, gewillt, diese zu verfolgen.

Keine KI ist auch keine Lösung

Auch wenn Unternehmen daher froh sind, KI-Ingenieure an Bord zu haben: Abwerbeverbote stehen im Fokus der Behörden. Unternehmen sollten daher auch u.a. ihre HR-Abteilung schulen und für mögliche Risiken gewahr machen.

Den aufgezeigten Bedenken der Kartellbehörden stehen die enormen Effizienzgewinne gegenüber, die durch den Einsatz von KI erzielt werden können. Die Anwendungsmöglichkeiten von KI-Diensten sind nahezu unbegrenzt. Ein innovativer und starker Wettbewerb kann zu besseren oder kostengünstigeren KI-basierten Produkten führen und kommt letztlich den Verbrauchern zugute. Ein Zuviel an Regulierung kann dabei das Innovationspotenzial hemmen, indem es die betroffenen Akteure zu sehr gängelt. Ein Zuwenig wiederum schmälert die Chancen von Newcomern und Nischenplayern. Es ist daher die anspruchsvolle Aufgabe von Politik und Kartellbehörden weltweit, den Wettbewerb um KI innovativ, aber auch fair zu gestalten.

*) Elena Wiese ist Partnerin von Hogan Lovells und Dr. Julian Urban ist Senior Associate der Kanzlei.

Dr. Elena Wiese ist Partnerin von Hogan Lovells und Dr. Julian Urban ist Senior Associate der Kanzlei.