Robert Greil

„2022 dürfte es sich lohnen, auf Aktien zu setzen“

Robert Greil, der renommierte Chefstratege von Merck Finck, erläutert im Interview mit rendite die Perspektiven an den Märkten für 2022. Als besonders aussichtsreich stuft er Aktien ein.

„2022 dürfte es sich lohnen, auf Aktien zu setzen“

Das Interview führte Werner Rüppel.

Herr Greil, die Aktienmärkte sind zuletzt auf neue Hochs geklettert. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Corona-Neuinfektionen zu. Dürfte dies nicht die Hausse an den Aktienmärkten bremsen?

Nein, das ist wenig wahrscheinlich. Rekordhohe Corona-Neuinfektionen verunsichern zwar manche Anleger. Wir gehen jedoch davon aus, dass dank der Impfungen flächendeckende überregionale Lockdowns wie in Österreich weitgehend ausbleiben. Damit dürfte auch die gesamtwirtschaftliche Aktivität deutlich weniger als in den vorangegangenen Wellen belastet werden. Negative Auswirkungen auf die industrielle Produktion sind kaum zu erwarten, und auch der Konsum sollte sich weiterhin robust entwickeln. In einzelnen Bereichen könnten sich zwar die Lieferengpässe infolge coronabedingter Einschränkungen verlängern, doch bleibt der Wachstumstrend der Weltwirtschaft insgesamt intakt.

Zuletzt hat die Teuerung langjährige Hochs erreicht. Bekommen wir eine dauerhaft hohe Inflation?

Das ist ein großer Unterschied zum vergangenen Jahr, da war das Thema Inflation überhaupt keines, weil auch nachfrageseitig alles am Boden lag. Jetzt haben wir überwiegend voraussichtlich vorübergehende Effekte, die die Inflation treiben. Daher dürfte die Teuerungsrate sowohl in den USA als auch in Euroland 2022 zurückgehen. Aufgrund von Basiseffekten und der guten Konjunkturentwicklung in den USA aber weniger als in Deutschland.

Droht nicht eine Stagflation?

Die Weltkonjunktur bleibt – angeführt von den USA – im Expansionsmodus. Daher halten wir die Wahrscheinlichkeit einer Stagflation für gering.

Warum dürfte die Inflationsrate wieder zurückgehen?

Auf die Eurozone bezogen sind es ja drei Komponenten, die die Inflation vor allem treiben. Das eine sind die Nachholeffekte nach den Lockdowns, die wir über den Sommer gesehen haben, die auch noch weiter wirken, aber nachlassen. Die zweite Komponente sind die Engpässe, also angebotsseitig, eben erst war es mehr auf der Rohstoffseite, jetzt ist es mehr auf der Transportseite. Auch hier wird es auf Dauer zu einer Normalisierung kommen. Ja und dann gibt es natürlich das Thema Energiepreise und die Basiseffekte, die momentan der stärkste Inflationstreiber sind. Bei den Energiepreisen hatten wir vor einem Jahr eine Untertreibung und haben jetzt teils eine Übertreibung. Aber auch hier sollte eine Normalisierung stattfinden, gerade bei den sprunghaft gestiegenen Gaspreisen. Bei den Basiseffekten wird ab Januar die deutsche Mehrwertsteuersenkung aus 2020 nicht mehr durchschlagen. Insgesamt werden die Teuerungsraten zurückgehen, doch dürfte es langsamer gehen, als die meisten Marktteilnehmer, auch wir, zunächst geglaubt haben.

Was machen die Notenbanken, müssen Fed und EZB jetzt die Zügel nicht wieder anziehen?

Wir haben heute immer noch extrem expansive Notenbanken, die viel Geld in die Märkte pumpen. Und wir werden 2022 den Großteil vom Jahr sehr viel, wenn auch nachlassenden Liquiditätszufluss von Notenbankseite haben. Die Bremsmanöver müssen allerdings kommen, weil das Wachstum wieder selbsttragender wird und weil der Inflationstrend trotz der Normalisierung auf höherem Niveau bleibt als bisher. Bei der Fed sehen wir das in Form des Abbaus der Nettoanleihekäufe bis Mitte nächsten Jahres, wobei auch da wichtig ist, dass die Fed flexibel bleiben will. Von den ersten Leitzinserhöhungen in den USA gehen wir frühestens im zweiten Halbjahr 2022 oder Anfang 2023 aus. Wichtig ist, dass die Fed das weiterhin sehr behutsam steuert.

Und die Europäische Zentralbank (EZB)?

Die EZB dürfte noch wesentlich stärker auf der unterstützenden Seite bleiben als die Fed. Wir gehen 2022 von keiner Zinserhöhung der EZB aus und glauben auch nicht, dass wir diese 2023 bekommen werden. Ich glaube zudem, dass sich die EZB im Dezember sehr zurückhalten wird, wenn sie den Fahrplan für 2022 ausrollt. Die Liquiditätsunterstützung bleibt signifikant und flexibel.

Also dürfte sich der Euro weiterhin gegenüber dem Dollar abschwächen?

Ja, das ist wahrscheinlich, zumal auch die US-Wirtschaft im kommenden Jahr kräftiger wachsen dürfte wie die der Eurozone.

Und die Banken hierzulande werden weiterhin sogenannte Verwahrentgelte erheben?

Angesichts weiter negativer Einlagenzinsen, die sie der EZB bezahlen müssen, wird dies bis auf Weiteres wohl so bleiben.

Wird sich die Erholung der Weltkonjunktur fortsetzen? Lauern nicht besonders in China Gefahren?

Wir glauben, dass die strukturellen Veränderungen, die China jetzt eingeleitet hat, nachhaltiger Natur sind und dass sie China letztendlich stabiler machen werden. Wenn es wirklich eng wird, kommt China relativ schnell mit Easing-Maßnahmen. Langfristig betrachtet sind Investments in China chancenreich, auch wenn sich das Wachstum dort 2022 auf 5,5% ermäßigen dürfte.

Und wie sind die Perspektiven für die USA und Euroland?

Die US-Konjunktur wird relativ stark bleiben, zumal sie weiterhin von Fiskalprogrammen profitieren wird. Das Infrastrukturprogramm ist jetzt durch, das „Build Back Better“-Programm kommt. Noch dazu sind im November Mid Term Elections, da muss die Biden-Administration vorher liefern. Diese Programme haben eine andere Dimension als das, was wir in Europa sehen. Auch steigen in Amerika die Investitionen in Forschung und Entwicklung. All das ermöglicht in den USA 2022 ein Wirtschaftswachstum von jenseits 4%. In der Eurozone wird es dagegen kaum für 4% Wachstum reichen. Europa selber wird sich relativ gesund erholen, aber nicht mit so viel fiskalischem Rückenwind. Südeuropa dürfte relativ gut abschneiden.

Wie entwickeln sich die Unternehmensgewinne?

Die Basiseffekte fallen heraus und wir bekommen eine Normalisierung. 2022 sollte aber immer noch ein rund zehnprozentiges Gewinnwachstum realistisch sein. Das absolute Niveau der Gewinne geht hoch, das ist das Wichtigste. Und von der Zyklik her spricht auch viel dafür, dass es in der Breite hochgeht. Wir haben in der Industrie volle Auftragsbücher.

Welche Assetklassen sind in diesem Umfeld attraktiv? Anleihen bieten ja immer noch, wenn überhaupt, äußerst geringe Zinsen.

Es bleibt bei der Devise Aktien vor Anleihen. Der Anleihemarkt wird 2022 von einer etwas steiler werdenden Zinskurve geprägt sein. Insofern bieten sich kürzere Durationen an. Chancen bestehen auf dem asiatischen Hochzinsmarkt, der relativ hohe Spreads bietet.

Hat der 2009 begonnene Bullenmarkt bei Aktien Bestand?

Die Chancen sind gut, dass er sich fortsetzt. Denn das Niedrigzinsumfeld hält an und Unternehmen profitieren von Fiskalprogrammen.

Welche Regionen und Titel sind Ihre Favoriten?

Für das nächste Jahr sind die USA die von uns bevorzugte Region. Zum starken Wachstum kommen dort Aktienrückkäufe hinzu. Grundsätzlich bevorzugen wir qualitativ hochwertige Unternehmen, die Marktführer sind und über Preissetzungsmacht verfügen. Wichtig bleiben Real Assets. Neben dem Immobilienbereich vor allem Infrastruktur und dabei insbesondere digitale sowie grüne Infrastruktur mit regenerativen Energien.

Welche Sektoren bevorzugen Sie noch?

Technologie- und Gesundheitstitel bleiben strukturelle Gewinner. Auch deutsche Aktien dürften weiter steigen und könnten im einstelligen Prozentbereich zulegen. Wir gehen davon aus, dass der Dax im Jahresverlauf über 17.000 Punkte klettert.

Hat Gold wieder Potenzial?

Aus Diversifikationsgründen sollten Anleger in einem Portfolio einen Goldanteil von rund 5% halten. Für 2022 gehen wir aber bei dann rückläufigen Inflationsraten eher von einer Seitwärtstendenz bei Gold aus.

Was gibt es noch zu sagen?

Nach turbulenten Jahren könnte 2022 wieder ein halbwegs normales Jahr werden, wobei Corona uns weiter beschäftigen dürfte. Die Notenbanken werden dem Wachstum der Wirtschaft nicht im Wege stehen. Vor allem dürfte es sich 2022 wieder lohnen, auf Aktien zu setzen.