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Überfällige Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik

Die deutsche Bundesregierung gefährdet mit ihrer ökologischen Planwirtschaft den Standort. Sie muss dem Markt mehr Freiheiten geben, damit der Standort nicht weiter verlottert.

Überfällige Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik

Überfällige Zeitenwende

Die Ampel-Koalition gefährdet mit ihrer ökologischen Planwirtschaft den Wirtschaftsstandort.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Unter einer Politik der Gängelung und der Verbote ist es in der Vergangenheit nie zu Wachstumsschüben gekommen. Nur in freiheitlicheren ökonomischen Phasen hatte die deutsche Wirtschaft wieder Tritt gefasst und neue Chancen ergriffen.

Ende der 90er Jahre: Die deutsche Volkswirtschaft galt als sklerotisch, die Bundesrepublik als „kranker Mann Europas“. Eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit belastete die Sozialkassen, die Wettbewerbsfähigkeit und die Standortqualität lagen am Boden. Mit den Reformen der „Agenda 2010“ hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder Anfang der 2000er Jahre dann das Ruder herumgerissen. Das Land besann sich wieder auf seine Stärken, der Sozialstaat wurde zurechtgestutzt, das Wachstum kam zurück. Deutschland wurde wieder Europas Zugmaschine.

Auch heute hätte die deutsche Volkswirtschaft eine solche Kurskorrektur nötig: Das Wachstum kommt nicht auf die Beine, der Standort verliert rapide an Attraktivität, die hohe Inflation hat das Vertrauen vieler Menschen in eine gedeihliche Zukunft erschüttert. Sorge vor einem Kontrollverlust macht sich zudem breit im Zuge der Migrationskrise und innenpolitischer Probleme, was gepaart mit den ohnehin vorhandenen ökonomischen Ängsten eine gefährliche politische Melange entstehen lässt.

Staat ist fiskalisch ausgeblutet

Die jahrzehntelang geübte Praxis, jede Krise und jeden Strukturwandel mit immer mehr Geld – gern als Bazooka, Wumms oder Doppel-Wumms umschrieben – einfach zuzukleistern und das Krisenende schlicht auszusitzen, trägt schon lange nicht mehr. Denn damit wird ein Gemeinwesen nicht resistenter. Und das spüren die Menschen. Es fehlt zunehmend an klaren Perspektiven und belastbaren Visionen für ein Deutschland in einer multipolaren, unfriedlichen und sich ökonomisch verändernden Welt, die sich eigentlich in ökonomischen Reformen und auch fiskalischen Strukturveränderungen niederschlagen sollten. Zumal die bisherige Politik den Staat finanziell längst hat ausbluten lassen. Nur über eine Reihe von Schattenhaushalten waren die jüngsten Krisen überhaupt noch finanzierbar.

Patchwork-Politik statt Masterplan

Unter der Ampel-Koalition ist die Lage noch schlimmer geworden. Zwar wurde als roter Faden im Regierungshandeln eine „Klimastrategie“ ausgerufen, doch einen Masterplan und einen darauf abgestimmten konkreten Stufenplan sucht man vergebens. Vielmehr ähnelt das Klein-Klein der vielen Einzelmaßnahmen und das in allen Sektoren einsickernde Mikromanagement einer Patchwork-Politik, die nicht ansatzweise das große Bild erahnen lässt.

Den Anschub soll wieder einmal die Industriepolitik leisten, weil marktgerechtere Instrumente den handelnden Akteuren wohl zu langsam sind, womöglich die aus ihrer Sicht „falschen“ Ergebnisse liefern und sich große Projektförderungen in der Öffentlichkeit einfach besser inszenieren lassen. Wieder einmal glaubt die Regierung also, mehr über die Zukunft zu wissen als die auf innovativen Märkten im Wettbewerb stehenden Unternehmen.

Gesetzeswirkungen nicht bedacht

Und das hat Folgen: Das Heizungsgesetz setzte zunächst auf eine einzige Technologie, die Wärmepumpe, ohne die nötige Versorgung mit günstigem Strom und die Zahl der zur Verfügung stehenden Handwerker im Blick zu haben. Es sollen nach den Kernkraftwerken auch die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, ohne die dafür nötigen Speicher für erneuerbaren Strom zur Verfügung oder Stromfernleitungen gebaut zu haben. Milliarden werden zudem aufgewendet, um die Menschen zu gebührlichem Umweltverhalten anzuhalten und um schädliche ökonomische Nebenwirkungen eigener Gesetze sozial abzufedern.

Und auch in anderen Wirtschaftsbereichen feiert die Industriepolitik Renaissance: Um unabhängiger von China zu werden, werden Chip- und Halbleiterfa­briken flugs mit Staatsgeldern angelockt und mit vielen Milliarden gefördert. Andere, kleinere, womöglich innovativere und zukunftsweisendere Start-ups und Unternehmen gehen leer aus.

Standortfaktoren vernachlässigt

Parallel dazu werden gleichzeitig die allgemeinen Standortfaktoren dramatisch vernachlässigt: Seit 2014 hat Deutschland nach dem Report des International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne enorm an Wettbewerbsfähigkeit verloren und ist von Platz 6 auf Platz 22 abgestürzt. Unternehmen planen angesichts dessen bereits Produktionsverlagerungen ins Ausland, wie Umfragen etwa der Unternehmensberatung Deloitte oder Studien des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigen.

Ein entscheidender negativer Standortfaktor neben der hohen Steuerlast, der weiter um sich greifenden, lähmenden Bürokratie, den steigenden Lohnkosten und dem Facharbeitermangel ist allerdings die Umsetzung der deutschen Klimatransformation selbst. Das „Wall Street Journal“ (WSJ) bezeichnete den gleichzeitigen Ausstieg aus der Atom- und Kohleverstromung ohne fertiges Konzept für den Einstieg in eine stabile regenerative Infrastruktur schon 2019 als die „weltweit dümmste Energiepolitik“.

Und das spüren die Menschen, weil der Strompreis weiter steigt, was wiederum Rufe nach einer Strompreisbremse nach sich zieht, und Milliardenhilfen nötig werden, um die Industrie vor den allerschlimmsten Folgen abzuschirmen. Zugleich wird der Import von Atomstrom aus Frankreich nötig, der nur in Deutschland als „giftig“ angesehen wird, anderswo aber als „grün“ gefeiert und obendrein weltweit sogar eine neue Kernkraft-Renaissance ausgerufen wird. Das verunsichert die Bürger zutiefst, lässt sie am Berliner Sachverstand zweifeln, untergräbt zugleich die bislang vorhandene positive Grundstimmung für den ökologischen Umbau der deutschen Wirtschaft und ist ferner Nährboden für zunehmenden Unmut über das politische System insgesamt.

Karlsruhe stoppt Finanzierung

Durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Klimafonds, das der Bundesregierung den Zugang zum aus Coronazeiten transferierten „Geldspeicher“ versperrt hat, muss die Ampel-Koalition nun für den Haushalt 2024 mit den vorhandenen Steuermitteln auskommen – was ja nicht wenig ist. Schließlich sind die Steuereinnahmen aktuell die höchsten, die jemals den Bürgern abverlangt wurden; und zwar absolut und relativ zur Wertschöpfung. Allerdings haben auch die Subventionsausgaben Rekordhöhen erreicht – und die Investitionsquote des Staates ist auf ein Rekordtief gesunken. An diesem Missverhältnis müsste man zunächst ansetzen.

Die Hoffnung war denn auch groß, dass die Haushaltsnöte schließlich auch zu einem auch strukturellen Umdenken führen. Dringlich wäre, den Fokus wieder auf mehr Wachstum und Standortqualität und damit Wettbewerbsfähigkeit durch bessere Rahmenbedingungen zu setzen, um dann auf dieser Basis den ökologisch-transformatorischen Wandel voranzutreiben. Zumal dieser in einer Wachstumsphase natürlich leichter durchsetzbar als unter den gegenwärtigen Bedingungen.

Fortschreibung alter rot-grüner Denkmuster

Aber weit gefehlt! Die Entscheidungen der Ampel-Koalition sind eine Fortschreibung der bisherigen Denkmuster: Industriepolitik und Mikromanagement gehen weiter. Es wird überall nur etwas mehr gespart. Einiges ist zudem so knapp kalkuliert, dass eine neue „Haushaltsnotlage“ geradezu absehbar wird, um die Schuldenbremse erneut aussetzen zu können.

Allerdings steckt auch ein Hoffnungsschimmer im vor Weihnachten gefundenen Haushaltskompromiss: Die CO2-Abgabe wird viel höher ausfallen als bislang geplant. Das wird derzeit in der Öffentlichkeit zwar ausschließlich als Kostenschub für die Konsumenten verunglimpft, und eine Phalanx an Kommentatoren geißelt die damit verbundenen Preiserhöhungen für Wirtschaft und Haushalte. Aber nur so wird die Klimawende tatsächlich gelingen: Wenn Wirtschaft und Privathaushalte auf Preissignale reagieren und daraufhin Zug um Zug umsteuern. Denn das Instrument gibt eben nicht genau vor, wie die Treibhauswirkung von Produktion und Konsum vermindert wird, sondern überlässt dies dem Markt, der stets den kostengünstigsten Weg findet. Das ist nicht nur für den Staat billiger, sondern unterm Strich auch für Privathaushalte und Wirtschaft. Etwaige soziale Verzerrungen können dann etwa durch das versprochene Klimageld ausgeglichen werden, das momentan stattdessen für Dauersubventionen nicht mehr konkurrenzfähiger industrieller Prozesse draufgeht.

Mehr Marktmechanismen bisher nur als Drohgebärde

Ob die Ampel wirklich hinter dem Mechanismus der CO2-Abgabe steht, darf bezweifelt werden. Denn bislang hatte sie nur eine entschärfte Variante der Abgabe ins Spiel gebracht; und die offenkundig auch nur, um Hausbesitzer über die Warnung vor steigenden Gaspreisen zum Einbau einer Wärmepumpe zu bewegen.

Aber Not macht manchmal auch klüger. Und so kann man nur hoffen, dass die Erkenntnis in die Notwendigkeit einer noch tiefergehenden politisch-ökonomischen Kurskorrektur analog zur „Agenda 2010“ doch noch um sich greift. Erfahrungsgemäß kam es in der Vergangenheit ja noch nie unter einer Politik der Gängelung und der Verbote zu Wachstumsschüben, geschweige denn zu einer System-Metamorphose wie der Klimatransformation. Vielmehr waren es stets die freiheitlicheren Phasen, die der Wirtschaft wieder Mut gegeben und neue Chancen eröffnet hatten. Und gerade in Zeiten auch des technologischen Wandels (Roboter, Digitalisierung, künstliche Intelligenz) ist mehr Freiheit und Experimentierfreude noch wichtiger! Ein klares Signal zum Aufbruch würde Deutschland nicht nur ökonomisch und ökologisch wieder attraktiv machen, sondern auch unsere Demokratie stabilisieren, der inzwischen nachgesagt wird, zu langsam, zu unbestimmt, zu schwach zu sein. Dabei waren die Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit dieser Regierungsform einst ihr Kennzeichen in Abgrenzung zu den erstarrten Autokratien.

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