„Es wird eine langsame Erholung“
hip London
Die britische Autoindustrie blickt nach dem schwächsten Jahr seit 1956 optimistischer in die Zukunft. Das führt zu mehr Investitionsbereitschaft der meist ausländischen Konzerne, in deren Besitz sich die Branche im Vereinigten Königreich befindet. „Potenziell war es das beste Jahr seit 2013 für Investitionen“, sagt Mike Hawes, der CEO des Autoverbands SMMT, in einer Telefonkonferenz für Journalisten. Damals hatte Jaguar Land Rover 1,5 Mrd. Pfund in Aluminiumtechnologie gesteckt. In einem guten Jahr summieren sich die Investitionen auf zwei bis drei Mrd. Pfund. Nach dem Brexit-Referendum sei das Investitionsvolumen jedes Jahr zurückgegangen.
Das Handelsabkommen mit der EU habe der Branche mehr Zuversicht gegeben, sagt Hawes, der die angekündigten Investitionen auf 4,9 (i.V. 3,2) Mrd. Pfund beziffert. Darin sind 2,5 Mrd. Pfund für die West Midlands Gigafactory zur Herstellung von Elektroauto-Batterien ebenso enthalten wie die 1 Mrd. Pfund, die Nissan in ein Zentrum für die Produktion von Elektrofahrzeugen stecken will. Auch Ford und Stellantis öffneten das Portemonnaie. Doch wachsen die Bäume nicht in den Himmel: „Es wird eine langsame Erholung“, erwartet Hawes. Nachdem in den zurückliegenden vier oder fünf Jahren nicht viel investiert worden sei, habe man Chancen verstreichen lassen.
Mit Blick auf die Produktion sei 2021 „im Grunde ein wirklich trostloses Jahr“ gewesen, gibt Hawes zu. Das lasse sich nicht beschönigen. Insgesamt wurden 859 575 Fahrzeuge hergestellt, 6,7 % weniger als im Pandemiejahr 2020. 1956 waren es 707 594. Als Hauptgrund für die anhaltende Schwäche nennt Hawes die Halbleiterknappheit, die auch in anderen Ländern zu spüren ist. Zudem habe Honda im Juli das Werk in Swindon geschlossen, in dem „potenziell“ 200 000 Fahrzeuge hergestellt werden konnten. Etwa ein Viertel des Produktionsrückgangs insgesamt lasse sich auf das Aus der Fabrik zurückführen.
Die Branche habe das erste Jahr jenseits der Außengrenzen der EU hinter sich. Bislang betraf das vor allem Exporte in die Staatengemeinschaft. Doch seit Anfang diesen Jahres gibt es auch Importrestriktionen. „Wir haben noch keine nennenswerten Auswirkungen beobachtet“, sagt Hawes. Doch man werde ein Auge darauf behalten. Der Brexit sei noch nicht völlig abgearbeitet. Großbritannien habe die eigenen Regeln, mit der die EU-Vorschriften abgelöst werden sollten, noch nicht ausgearbeitet. Der Verband will darauf dringen, dass sie sich möglichst nahe an den Brüsseler Vorgaben orientieren. Schließlich werden acht von zehn in Großbritannien produzierten Kfz exportiert. Die EU ist mit 55,0 (i.V. 53,5) % trotz der mit dem britischen Austritt verbundenen Kosten und Reibungsverluste auch weiterhin der wichtigste Handelspartner der Branche. Neun von zehn Firmen gaben bei einer Umfrage des Verbands an, für das EU-Geschäft mehr Zeit und Ressourcen aufbringen zu müssen.
Im vergangenen Jahr wurde eine Rekordzahl batteriegetriebener Fahrzeuge produziert. Alles in allem machten Niedrigemissionsfahrzeuge mehr als ein Viertel der in Großbritannien hergestellten Kfz aus. „Das ist die Richtung, in die wir gehen müssen“, sagte Hawes.