Euro winkt ein Jahr der Stabilisierung
Das Jahr 2022 als für den Euro herausfordernd zu bezeichnen, wird wohl kaum jemand für übertrieben halten. Die Gemeinschaftswährung stand auf eine Art und Weise unter Druck, die stark an ihre Anfangszeit erinnert, in der sie als Neuling einen schweren Kampf um Vertrauen zu führen hatte. Anfang 1999 bei rund 1,18 Dollar, fiel sie im Januar 2000 unter die Parität zum Greenback, um im Oktober jenes Jahres bei rund 0,83 Dollar ihr Rekordtief zu markieren. Die Parallelen sind verblüffend: Ende 2021 bei rund 1,14 Dollar, fiel der Euro Mitte Juli erstmals seit 20 Jahren unter die Parität, um gegen Ende September ein Tief von rund 0,95 Dollar zu markieren.
„Unbuyable“
Wie angeschlagen das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Währung in den ersten drei Quartalen war, verdeutlichte ein Kommentar der Société Générale, die den Euro im Sommer als „unbuyable“, also als unkaufbar bezeichnete. Vor allem zwei Faktoren haben eine Flucht aus der Gemeinschaftswährung ausgelöst. So weitete sich die transatlantische Zinsdifferenz in den ersten Monaten des Jahres stark aus, weil die US-Zentralbank zur Bekämpfung der gestiegenen Inflation ihren Leitzins mit hohem Tempo anhob, während die Europäische Zentralbank (EZB) zunächst noch stillhielt. Hinzu kam der entsetzliche Krieg in der Ukraine, der zum einen Sicherheit suchende Marktteilnehmer in den Dollar trieb. Zum anderen zogen die Energiepreise an und es drohte eine Gasknappheit. Das ließ einen schweren wirtschaftlichen Einbruch in der Eurozone befürchten, die zugleich einen ihrer Vorteile im Vergleich zu den Vereinigten Staaten verlor. Ihr Leistungsbilanzüberschuss ist unter der Last der drastisch gestiegenen Beträge, die für Energie in Länder außerhalb des Euroraums überwiesen werden müssen, deutlich geschrumpft.
Mittlerweile hat sich der Euro auf ungefähr 1,06 Dollar erholt und sein Jahresminus auf rund 7% eingegrenzt. Die Belastungen für die Währung haben sich deutlich abgeschwächt, und es besteht nun die Chance, dass 2023 für den Euro ein Jahr der Stabilisierung wird. Denn das transatlantische Zinsgefälle hat sich deutlich zugunsten des Euro verändert. Nachdem sie sich im Juli mit einer Leitzinsanhebung um 50 Basispunkte dem globalen geldpolitischen Trend angeschlossen und das Ende der Euro-Negativzinsen im Euroraum eingeläutet hat, hat sie ihren Einlagensatz mittlerweile auf 2% erhöht und in ihrer Dezember-Sitzung mit den Markt überraschenden falkenhaften Tönen weitere Erhöhungen zur Bekämpfung der Inflation angekündigt. Das hinterlässt am Markt deutliche Spuren. Der Vorsprung der Renditen zweijähriger amerikanischer Staatstitel auf die Verzinsungen von Bundesanleihen derselben Laufzeiten, der im Sommer Höhen von rund 2,8 Prozentpunkten erreichte, liegt nur noch bei rund 1,7 Prozentpunkten.
Außerdem ist das im Sommer noch befürchtete wirtschaftliche Desaster des Euroraums ausgeblieben. Es ist gelungen, trotz des Wegfalls der russischen Lieferungen die Speicher zu füllen, so dass ein schwerer Gasmangel für diesen Winter verhindert werden konnte. Zudem haben sich die konjunkturellen Indikationen des Euroraums in den zurückliegenden Monaten als deutlich robuster als erwartet erwiesen. Darüber hinaus haben die geopolitischen Konflikte ein Stück weit ihre hemmende Wirkung auf den Risikoappetit der Marktteilnehmer und damit ihren stützenden Effekt für den Dollar verloren. Das gilt nicht zuletzt auch für den Krieg in der Ukraine. Befürchtungen über eine Eskalation des Konflikts beziehungsweise eine direkte Einbeziehung der Nato haben nachgelassen. Auch wenn es sich furchtbar anhört, hat sich zudem bei den Marktteilnehmern ein gewisser Gewöhnungseffekt eingestellt.
Gleichwohl spielt der Krieg für die Devisenmärkte auch im Jahr 2023 eine entscheidende Rolle. Der Euro hat sehr stark unter ihm gelitten, sein Absturz begann mit dem Kriegsausbruch. Anzeichen für ernsthafte Verhandlungen zunächst über einen Waffenstillstand würden der Währung einen kräftigen Schub verleihen und gleichzeitig die Dollar-Nachfrage nach Sicherheit suchender Marktteilnehmer reduzieren. Leider sieht es derzeit jedoch nicht nach einem zeitnahen Ende des Krieges aus.
Gasmangel bleibt Thema
Vor diesem Hintergrund bestehen für den Euro zwar gute Aussichten auf eine Stabilisierung beziehungsweise auf eine Fortsetzung der im September begonnenen Erholung. Das weitere Aufwärtspotenzial dürfte aber insgesamt moderat sein, solange der Ukraine-Krieg anhält. Hinzu kommt, dass zwar eine Gasrationierung in diesem Winter wohl vermieden werden kann. Noch ist jedoch unklar, ob beziehungsweise in welchem Ausmaß das russische Gas in einer Größenordnung ersetzt werden kann, dass die Speicher für den Winter 2023/2024 wieder aufgefüllt werden können. Somit dürfte das Thema Gasmangel in absehbarer Zeit wieder auf den Tisch kommen. Auch die durch die jüngste Fed-Sitzung allerdings etwas gedämpfte Erwartung, dass die US-Zentralbank bei sinkenden Inflationsraten Spielraum erhalten könnte, nicht nur im Frühjahr mit Leitzinserhöhungen aufzuhören, sondern im weiteren Jahresverlauf sogar ihren Leitzins zu senken, wenn sich die amerikanische Wirtschaft abschwächt oder sogar eine ausgewachsene Rezession einsetzt, spricht nicht unbedingt für deutliche Avancen des Euro. Denn das würde zum einen auch den Euroraum wirtschaftlich negativ beeinflussen. Zum anderen würde eine Rezession in den Vereinigten Staaten wahrscheinlich auch für Verunsicherung unter den Marktteilnehmern sorgen, was den Dollar über Safe-Haven-Zuflüsse stützen würde.
Bei alledem sollte auch beachtet werden, dass 2022 nicht in erster Linie ein Jahr der Euro-Schwäche war. Es war vor allem ein Jahr der Dollar-Stärke auf breiter Front, getrieben von Safe-Haven-Zuflüssen und der amerikanischen Geldpolitik. Zudem haben andere führende Währungen wesentlich stärker nachgegeben als der Euro. So ist der Yen im Verlauf auf das niedrigste Niveau seit dem Jahr 1990 gefallen und lag zuletzt im Vergleich zu Ende 2021 mit rund 13% im Minus. Da die Bank of Japan als einzige größere Notenbank an ihrem ultralockeren Kurs festhält, hat sich der Zinsrückstand auf den Dollar deutlich ausgeweitet. Allerdings könnte die kürzliche Anhebung der Obergrenze für zehnjährige Staatsanleiherenditen darauf hin deuten, dass die Zentralbank in absehbarer Zeit von dem ultralockeren Kurs abkehrt.
Pfund in Vertrauenskrise
Auch das britische Pfund hat stärker nachgegeben als die Gemeinschaftswährung. Zuletzt lag es mit rund 11% im Minus, nachdem es im September mit einem Rekordtief von rund 1,03 Dollar sogar auf Tuchfühlung mit der Dollar-Parität gegangen war. Auslöser war der chaotische finanzpolitische Kurs der neuen Premierministerin Liz Truss, die Steuersenkungen und Entlastungsmaßnahmen ankündigte, die die Marktteilnehmer um die Staatsfinanzen des Landes fürchten und das Weite suchen ließen. Die Ankündigungen mussten wieder zurückgenommen werden und Truss musste nach äußerst kurzer Amtszeit ihren Stuhl räumen. Nicht der Euro leidet unter einer veritablen Vertrauenskrise, sondern das Pfund.
Von Christopher Kalbhenn, Frankfurt