Finanzmarkt

Anleger fürchten neue Schocks in Japan

Der bevorstehende Wechsel an der Spitze der japanischen Notenbank bringt Unsicherheit an den japanischen Aktienmarkt. Steigende Zinsen und hohe Lohnabschlüsse könnten die Unternehmensgewinne gefährden.

Anleger fürchten neue Schocks in Japan

Von Martin Fritz, Tokio

Im Börsenviertel Kabuto-cho, Japans Gegenstück zur Wall Street, erinnern sich viele Marktteilnehmer zum Beginn von 2023, im hiesigen Tierkreiskalender ein Jahr des Hasen, an das Sprichwort: „Das Jahr des Hasen ist das Jahr des Sprungs.“ Aber vor dem Sprung halten alle still, denn die Neubesetzung der Spitze der Bank of Japan (BoJ) liegt im Nebel, obwohl Gouverneur Haruhiko Kuroda am 8. April in Pension geht. Schon länger kursieren die Namen der vier wahrscheinlichsten Kandidaten für sein Amt, aber die Regierung entscheidet sich wohl erst Mitte bis Ende Februar.

Die Ungewissheit über die künftige Notenbankführung wirft einen großen Schatten auf die Aussichten von Japans Aktienmarkt im neuen Jahr. Denn die Auswahl des neuen Spitzenmannes und seine ersten Schritte werden möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Aktienkurse haben.

Höhere Lohnabschlüsse

Höhere Zinsen würden den Yen aufwerten lassen und dadurch die Gewinne vieler Unternehmen belasten. Rechnet man den positiven Effekt durch die starke Yen-Abwertung 2022 heraus, schrumpfen die Vorsteuergewinne der Großunternehmen laut Nomura schon im aktuellen Geschäftsjahr (bis 31.3.23) um 1,8%. Ebenso könnten Lohnabschlüsse von über 3% im Frühjahr die BoJ ermutigen, ihre Geldhähne zuzudrehen, da die Inflation nachhaltiger würde. Im November lag die Inflationsrate ohne frische Lebensmittel und Energie, die von den Währungshütern am meisten beachtet werden, mit 2,8% deutlich über ihrem Inflationsziel von 2%. Im abgelaufenen Jahr schlugen sich Japans Aktien recht wacker im Vergleich zum S&P 500 oder dem Dax  40. Der Nikkei 225 gab 2022 insgesamt 9,4% ab und erlitt damit erstmals seit vier Jahren einen Verlust. Der marktbreite Topix gab um 5,1% nach. Die Ausblicke auf 2023 fallen unterschiedlich aus, unter anderem je nach Einschätzung der Entwicklung des Yen und der Exporte in Abhängigkeit von der Weltkonjunktur.

Morgan Stanley MUFG sieht den Topix in zwölf Monaten eher nahe ihrem „Bären“-Szenario von 1690, aber schließt auch ihr „Bullen“-Ziel von 2150 nicht aus. Unterdessen sieht der Vermögensverwalter Nikko AM den Topix auf 2120 und den Nikkei 225 auf 30000 steigen. „Japan dürfte die beste Performance erzielen“, meinte Stratege John Vail. Die Divergenzen ergeben sich auch aus der erwähnten Unsicherheit über die BoJ-Führung. Schließlich sind mit dem Namen von Amtsinhaber Kuroda alle drei Kernstücke der jetzigen Geldpolitik verbunden – große Kaufprogramme für Staatsanleihen und Aktienindexfonds, der negative Leitzins und die Steuerung der Renditekurve. Ein Nachfolger könnte Änderungen relativ leicht vornehmen, da Kuroda selbst eine mögliche Kurskorrektur vorbereitet zu haben scheint.

Bei ihrem letzten Treffen im abgelaufenen Jahr verdoppelte die BoJ bekanntlich die Obergrenze für die Rendite von Staatsanleihen (JGBs) mit zehn Jahren Restlaufzeit auf 0,5%. Dieser unerwartete Schritt entsprach de facto einer Zinserhöhung und leitete Japans Abschied vom Negativzins ein. Zwar beharrte Kuroda darauf, dass die Änderung nur der „glatteren“ Kontrolle der Renditekurve diene. Tatsächlich verteidigte die BoJ danach die neue Obergrenze durch gesteigerte Anleihekäufe. Aber der 78-jährige Geldhüter hatte im September selbst erklärt, eine größere Schwankungsbreite für die zehnjährige Rendite bedeute eine (unerwünschte) Straffung der Geldpolitik. Dazu kommen Spekulationen, dass die BoJ ihre Inflationsprognose erhöhen und dadurch den Weg für höhere Zinsen freimachen wird.

Zwei Gruppen

Seit der BoJ-Entscheidung kurz vor Weihnachten sortierten sich Analysten und Akteure daher in zwei Gruppen: Die eine, wenn auch nicht besonders große Gruppe, beschwört das Ende der ultralockeren Geldpolitik. Der britische Hedgefonds Bluebay Asset Management, der seit Juni auf einen Wertverlust von JGBs spekuliert, erwartet im Frühjahr eine Anhebung der Obergrenze auf 0,75% oder einen Abschied vom Ins­trument der Zinskontrolle. Morgan Stanley MUFG vermutet die Aufgabe des 0-%-Ziels für zehnjährige JGBs im Sommer. Sollten die Löhne im Frühjahr kräftig anziehen, steigt laut dem „Hauptszenario“ der Deutschen Bank die BoJ im dritten Quartal aus der Renditekontrolle aus.

Die andere Gruppe erwartet zunächst keine großen Korrekturen mehr, auch nicht vom neuen Gouverneur. J.P. Morgan sagt einen „graduellen Prozess der Normalisierung“ der Geldpolitik vorher, der sich „wahrscheinlich über mehrere Jahre“ hinziehen werde. UBS Japan gießt ihre Ansicht in das Motto „Kein Exit, noch nicht“. Auch Barclays Japan erwartet keine Änderung der Geldpolitik im neuen Jahr.

Möglicher Wandel

Selbst konkrete Empfehlungen orientieren sich am möglichen Wandel der Geldpolitik. Japanische Banken sind nach Ansicht von Morgan Stanley ein guter „Hedge“ gegen eine restriktivere Geldpolitik. Auf der Kaufliste von UBS Japan stehen der Lebensversicherer Dai-ichi Life und der Sachversicherer MS&AD sowie die drei Finanzgruppen MUFG, SMFG und Mizuho als Gewinner von höheren Zinsen. Dagegen warnt Capital Economics vor Versicherern, da Staatsanleihen 40% ihrer Assets ausmachten, bei Geschäftsbanken seien es nur 5%.

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