InterviewMatthias Born, Berenberg

„Eine Nvidia muss man auf der Agenda haben“

Aktien, die mit KI assoziiert werden, haben zuletzt eine rasante Entwicklung hingelegt. Matthias Born, CIO Equities bei Berenberg, erklärt im Interview der Börsen-Zeitung, wie er die Zukunftsaussichten des Sektors einschätzt, wo Chancen und wo künftige Gefahren lauern.

„Eine Nvidia muss man auf der Agenda haben“

Im Interview: Matthias Born

„Eine Nvidia muss man auf der Agenda haben“

Berenberg-Stratege sieht Adaption von KI erst ganz am Anfang – Neben dem riesigen Potenzial erkennt Matthias Born aber auch Gefahren

Aktien, die mit KI assoziiert werden, haben lange eine rasante Entwicklung hingelegt. Matthias Born, CIO Equities bei Berenberg, erklärt im Interview der Börsen-Zeitung, wie er die Zukunftsaussichten des Sektors einschätzt, wo Chancen und wo künftige Gefahren lauern.

Herr Born, bald zwei Jahre ist die Einführung von ChatGPT nun schon her. Was folgte, war eine rasante Rally bei KI-Aktien. Ein Hype oder die adäquate Marktreaktion auf eine Transformation?

Insgesamt war das eine adäquate Reaktion auf die Transformation. Das sieht man besonders bei den sehr bekannten Aktien wie Nvidia. Da spiegelt sich das Thema KI sehr deutlich in der Umsatz- und Gewinnentwicklung wider. Aber auch bei anderen sieht man schon, dass sehr hohe Investments stattfinden, denn die KI-Infrastruktur muss erstmal gebaut werden. Und das ist über die letzten zwölf Monate auch in starkem Ausmaß passiert: Investments von vielen großen Tech-Playern, aber auch von Datencenter-Betreibern, von Cloudanbietern. Diese Bereiche profitieren erst mittelbar von den Infrastrukturausgaben. Aber an den Umsätzen und Gewinnen von Nvidia sieht man, dass sich diese Investitionen lohnen. Und dort hat sich der Aktienkurs nicht entkoppelt von der Gewinnentwicklung. Die Bewertung am KGV gemessen ist auch gar nicht so hoch, weil die Gewinne mitgelaufen sind. Aber natürlich gibt es auch Bereiche, in denen momentan noch nicht so sichtbar ist, dass KI unmittelbare Auswirkungen auf den Umsatz hat, oder überhaupt seine Wirkung entfaltet, wie zum Beispiel beim autonomen Fahren oder in der Medizintechnik.

Sie vergleichen die Nutzung von KI-Diensten mit der Nutzung des Internets. Demnach stünden wir erst ganz am Anfang der Adaption von KI. Wie lange dürfte es dauern, bis KI-Anwendungen für die breite Masse zum Alltag gehören?

Wir glauben, dass das relativ schnell gehen wird. Es gibt Zahlen von Research-Anbietern, dass schon bis 2027/28 rund 70% der Endgeräte KI-Funktionalitäten haben. Das ist das Entscheidende für den alltäglichen Nutzer und das wird relativ schnell passieren. Bei konsumnahen Anwendungen von Microsoft oder Adobe sind diese KI-Funktionen zum Teil schon implementiert. Bei businessorientierter Software wie beispielsweise von SAP wird es zwar etwas länger dauern, bis Geschäftskunden KI wirklich in vollem Umfang nutzen werden, aber auch wird der KI-Assistent Joule schnell für Effizienzgewinne bei den Kunden sorgen. Die große Frage wird am Ende sein: Wie erfolgreich sind die Unternehmen darin, das zu monetarisieren? Wie hoch ist der Aufpreis, den der Endkunde bereit ist, für die KI-Funktionalitäten zu bezahlen? Das startet gerade erst und das muss man noch sehen. Die ersten Indikationen von Playern wie Microsoft sind da aber gar nicht schlecht. Die gehen in die Richtung, dass sich das sehr wohl bezahlt macht für die Firmen, und auch die Effizienzgewinne bei den Nutzern können immens sein.

Branchengrößen wie Nvidia haben sich im Wert vervielfacht. Was erwarten Sie, wie es für KI-Aktien weitergeht?

Nvidia ist natürlich sehr stark gelaufen. Da ist das Hauptrisiko, dass künftig mehr Wettbewerb in diesen Markt kommt. Ein weiterer Risikofaktor könnte sein, dass momentan schon zu viel in diese Infrastruktur investiert wird, in den Ausbau von Datencentern, den Ausbau von Cloud-Infrastruktur. Das muss sich erstmal mit den entsprechenden KI-Anwendungen füllen. Das ist schwer abzuschätzen, weil der Markt auch einfach so dynamisch ist. Grundsätzlich hat KI schon ein sehr großes Potenzial, sowohl beim Privatanwender als auch im Firmenumfeld. Daher glaube ich nicht, dass wir da in den nächsten Jahren schon Überkapazitäten haben werden.

Zuletzt gab es aber Rücksetzer bei KI-Aktien. Wird das zweifellos große Potenzial inzwischen überschätzt, oder hat man umgekehrt die Kosten für die Entwicklung solcher Angebote zunächst unterschätzt? Anderes gefragt: Werden wir mit dieser Volatilität auch in den nächsten Monaten leben müssen?

Ja. In so einem dynamischen Umfeld wird immer eine gewisse Unsicherheit mitschwingen und es gibt eine breite Spanne an Möglichkeiten, wie sich der Markt in drei, vier Jahren entwickelt hat. Das Potenzial von KI kann riesig sein, aber es gibt natürlich auch Gefahren. Seien Sie aktienspezifisch, wettbewerbsspezifisch, aber auch gesamtmarktspezifisch. Das sind Fragen wie: Rechnet sich das alles? Wird da vielleicht zu viel investiert? Diese Risiken werden immer wieder auftauchen und immer wieder am Markt diskutiert werden.

In der Chipbranche zeigen sich bisher große Diskrepanzen. Während Primus Nvidia einsam seine Runden zieht, haben ehemalige Größen wie Intel ganz schön zu kämpfen. Wie beurteilen Sie die Branche?

Ich glaube, man sollte auf jeden Fall nicht den Innovations- und Marktführer außer Acht lassen. Eine Nvidia muss man auf der Agenda haben! Dennoch haben wir auch andere Halbleiterhersteller im Blick: Broadcom und Marvell sind in diesem Bereich ebenfalls stark unterwegs. Und dann gibt es noch die Möglichkeit zu sagen, ich profitiere von der KI-Entwicklung über die Maschinenlieferanten, mit denen diese Chips produziert werden. Außerdem gibt es noch die Softwarehersteller wie SAP. Ich sehe keinen Hype im KI-Markt, der wird weiter wachsen, aber das Wettbewerbsumfeld wird sich in den nächsten Jahren verändern. Es wäre vermessen, heute zu sagen, welcher Player sich in vier, fünf Jahren da von einem Herausforderer zu einer Größe herauskristallisiert.

Als ein großer Profiteur von KI-Investitionen gelten inzwischen Versorger, denn der Strombedarf solcher Anwendungen ist extrem hoch. Schätzen Sie das auch so ein? Welche Branchen könnten noch profitieren?

Ja. Man braucht allein in den USA bis 2030 30–40 Gigawatt mehr an Strom, allein für die Datencenter, die gebaut werden. Bis zu 8% des Strombedarfs in den USA wird in ein paar Jahren allein durch Datencenter verursacht. Der Stromverbrauch würde sogar noch viel stärker steigen, wenn nicht gleichzeitig die Effizienz steigen würde. Das sieht man zum Beispiel bei Nvidia-Chips. Die neue Generation schafft die 15fache Inferenzleistung, hat aber nur den doppelten Energieverbrauch der vorherigen Generation.

Sehen Sie auch noch verborgene Investmentchancen abseits der Branchengrößen?

Ja. Wenn auch nicht in dem gleichen Ausmaß oder in der Größenordnung. Anwendungen für Finanzdaten könnten beispielsweise von KI profitieren. Auch andere Anwendungen, die viele Daten benötigen. Die London Stock Exchange etwa versucht in einer Partnerschaft zusammen mit Microsoft seit zwei oder drei Jahren für ihre Kunden Tools auf Basis von KI zu entwickeln. Da wird jetzt durch KI kein überdurchschnittliches Wachstum entstehen, aber eine Wachstumsrate von vielleicht 10% statt vorher 8% ist möglich. Sollten sie von KI profitieren, könnte es zu einer Höherbewertung der Aktie kommen.

Auch die Maschinenhersteller im Chipbereich sehen Sie als einen möglichen KI-Profiteur.

Sie dürften zwar nicht direkt profitieren, aber bei gewissen Innovationswellen dann schon, denn denen folgen Wellen der Kapitalinvestments bei den Chipherstellern. Das könnte dann zum Beispiel ASML, aber auch eine ASM International betreffen. Neue Funktionalitäten der Chips und eine höhere Performance führen dazu, dass diese Chips anders produziert werden müssen und man somit neue Produktionstechnologien und effizientere Maschinen zur Herstellung benötigt. Das sind dann die innovativen Player, die davon profitieren sollten, dass diese neuen Technologien eingesetzt werden.

Sie haben sich auch mit dem Speicherchipmarkt beschäftigt.

Ja, das ist ein Markt, der sich stark verändert und auch stark wächst. In dem Bereich sind zum Beispiel SK Hynix aus Asien gut positioniert. Für KI brauchen wir im Speicherbereich hochperformante Chips, die es schaffen, den Datenaustausch viel schneller zu ermöglichen und die eine höhere Speicherkapazität haben. Auch in diesem Bereich dürften neue Produktionsverfahren und Technologien Investments anziehen.

Zur Person: Matthias Born ist seit 2017 CIO Equities und seit 2019 zudem Head of Investments im Wealth and Asset Management bei Berenberg. Er begann seine Karriere 2001 bei Allianz Global Investors (AGI), wo er von 2002 bis 2017 Portfolios für europäische Small Caps, europäische Wachstumstitel und deutsche Aktien verwaltete.

Das vollständige Interview lesen Sie auf www.boersen-zeitung.de. Das Interview führte Tobias Möllers.