Bondmärkte

Rentenmärkte zwischen Inflation und Rezession

Bis auf Weiteres ist mit einer hohen Volatilität am Rentenmarkt zu rechnen, denn dieser wird sich auch in naher Zukunft im Spannungsfeld zwischen Inflation und Rezession befinden, analysiert die DZ Bank.

Rentenmärkte zwischen Inflation und Rezession

Von Günther Scheppler*)

Die Inflation in der Eurozone ist im Juli auf 8,9% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Eine derart hohe Preissteigerungsrate hat es in der noch jungen Historie der Eurozone nicht einmal annähernd gegeben. Ausgelöst wurde der Preisauftrieb durch die Corona-Pandemie. Insbesondere die Schließung chinesischer Häfen aufgrund der dortigen Null-Covid-Politik hat die Preise für Rohstoffe und Vorprodukte in die Höhe getrieben. Verstärkt wurde der Effekt durch den Ukraine-Krieg, der mittlerweile extrem hohe Energie- und Nahrungsmittelpreise zur Folge hat. Der Rentenmarkt hat auf diese Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit deutlich reagiert. Die Rendite der zweijährigen Bundesanleihe ist vom Tief Anfang März bei minus 0,79% auf plus 1,33% Mitte Juni gestiegen.

Stumpfes Schwert

An der fundamentalen Situation, die die Inflation begünstigt, hat sich bisher nichts geändert. Der Fortgang des Ukraine-Krieges ist ungewiss und die Pandemie keineswegs zu Ende. Dennoch ist die zweijährige Bundrendite seit Mitte Juni auf aktuell 0,37% gefallen. Hintergrund des signifikanten Renditerückgangs sind die zunehmenden Rezessionssorgen der Investoren. Angesichts anhaltender globaler Lieferengpässe, einer drohenden Energiekrise und knapper Rohstoffe nehmen die Befürchtungen über negative Wirtschaftswachstumsraten zu. Da die Rezession als natürlicher Feind der Inflation gilt, setzt sich am Markt langsam die Meinung durch, dass die Europäische Zentralbank (EZB) zur Bekämpfung der Preissteigerungsrate die Leitzinsen weitaus weniger stark anheben muss als noch vor einigen Wochen angenommen. Wobei das Schwert der Zinsanhebung im Rahmen der aktuellen Inflationsphase ohnehin ein eher stumpfes ist, da diese hauptsächlich auf exogenen Preisschocks basiert.

Beim Einpreisen einer Rezession könnte man den europäischen Marktakteuren im Vergleich zu US-Investoren­ aber eine gewisse Halbherzigkeit attestieren. In Übersee ist die Renditekurve seit Anfang Juli invers geworden. Die US-Anleger haben die aktuelle technische Rezession antizipiert, was zu einem überproportionalen Rückgang der zehnjährigen Staatsanleiherendite geführt hat. Diese wird aktuell 31 Basispunkte (BP) unter der zweijährigen Rendite taxiert. Die Renditestrukturkurve der Bundesanleihen hat sich in den vergangenen Wochen ebenfalls deutlich verflacht. Die Differenz der Rendite zwischen zwei- und zehnjährigen Bundesanleihen ist von 82 BP Anfang Juli auf aktuell 49 BP zurückgegangen. Sie ist aber keineswegs invers geworden. Gemessen an den vergangenen Rezessionen in der Eurozone ist die Kurvensteilheit zum aktuellen Zeitpunkt auch noch vergleichsweise hoch. Vor der Rezession 2008/09 war die Bundkurve invers. In der Rezessionsphase zu Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 sank der Renditeaufschlag der zehnjährigen Bundesanleihe gegenüber der zweijährigen auf 15 BP.

Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Unternehmensanleihen passen ebenfalls nicht zu einem Rezessionsszenario. Kommt es tatsächlich zu einer Rezession, dürften die Banken mit erhöhten Kreditausfällen konfrontiert werden, da die Unternehmen außerhalb des Finanzsektors mit einer deutlich verringerten Nachfrage zu kämpfen haben. Das spricht eigentlich für tendenziell höhere Risikoaufschläge. Gemäß der Entwicklung des iBoxx Euro Corporates Senior Index ist der durchschnittliche Risikoaufschlag von Unternehmensanleihen im Vergleich zu Bundesanleihen jedoch von 219 BP Anfang Juli auf aktuell 186 BP gefallen. Selbst im Bereich der Hochzinsanleihen hat sich der durchschnittliche Risikoaufschlag gegenüber korrespondierenden Bundesanleihen im gleichen Zeitraum von 668 BP auf aktuell 574 BP verringert. Die Bonität der Emittenten dieser Anleihen hat keinen Investment-Grade-Status, und die Ausfallwahrscheinlichkeit der Bonds ist dementsprechend hoch. Man sollte meinen, dass sich Investoren gerade von diesen Anleihen trennen, wenn eine Rezession in der Eurozone bevorsteht.

Das zum Teil irrational anmutende Verhalten der Investoren im Finanzmarkt ist aber verständlich. In der jüngeren Wirtschaftshistorie hat es keine Rezessionsphase gegeben, die von einer sehr hohen Inflation begleitet wurde. Dementsprechend groß ist die Verunsicherung der Marktakteure. Das lässt sich allein schon an der Volatilität des Bund-Futures ablesen. Dessen an­nualisierte 30-Tage-Volatilität hat derzeit ein Niveau von knapp 14%. Eine derart hohe Volatilität hat es zuletzt während der Staatsschuldenkrise 2011/12 gegeben und zuvor in der Bankenkrise 2008/09. Zum Vergleich: Im Median hat die Volatilität in den vergangenen 15 Jahren knapp 6% betragen. Die Wahrscheinlichkeit, zum aktuellen Zeitpunkt auf dem falschen Fuß erwischt zu werden und innerhalb kurzer Zeit größere Verluste zu erleiden, ist somit hoch.

Dass sich die Renditejäger aktuell dennoch aus der Deckung wagen und ihre Portfolios erneut mit Bank-, Unternehmens- und Hochzinsanleihen füllen, kann nur mit einer Antizipation einer Verlängerung der Niedrigzinsphase erklärt werden. In einer solchen Phase ist eine hohe Rendite Trumpf, und diese findet sich aktuell in den riskanteren Anleihesegmenten. Investment-Grade-Bankanleihen bieten im Durchschnitt derzeit einen Renditeaufschlag von 1,95 Prozentpunkten gegenüber gleichlaufenden Bundesanleihen, Unternehmensanleihen ein Renditepremium von 1,70 Prozentpunkten. Sollte das Zinsniveau in den kommenden Quartalen auf einem niedrigen Niveau verharren, sind diese Risikoaufschläge durchaus attraktiv. Die Strategie, aktuell in die riskanteren Anleihesegmente zu investieren, sollte sich auszahlen, wenn die Eurozone am Ende keine Rezession erfährt oder lediglich eine leichte Rezession durchläuft. Das ist eine realistische Annahme, da das Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone im zweiten Quartal des laufenden Jahres immerhin noch um 0,7% im Vergleich zum Vorquartal gestiegen ist. Im ersten Quartal betrug das Wirtschaftswachstum nur 0,5%. In einem Szenario einer tiefgreifenderen Rezession würden höhere Risikoaufschläge drohen. In der Rezession, die die Bankenkrise begleitet hat, betrug der Risikoaufschlag der Unternehmensanleihen gegenüber Bundesanleihen in der Spitze 373 BP, in der Rezession während der Staatsschuldenkrise 289 BP.

Hohe Volatilität

Es gilt allerdings zu beachten, dass die Zentralbank in der Rezession 2008/09 bei der Bekämpfung der Fragmentierung in den Anleihemärkten nicht halb so viel Energie an den Tag gelegt hat wie in den vergangenen zehn Jahren. Mit dem jüngst von der EZB installierten Transmission Protection Instrument (TPI) möchte die Zentralbank erneut fundamental ungerechtfertigte Ausweitungen von Risikoaufschlägen einfangen. In der Vergangenheit hat sie mit ihren Anleihekaufprogrammen recht erfolgreich die Märkte beruhigt. Bis auf Weiteres ist dennoch mit einer hohen Volatilität am Rentenmarkt zu rechnen, denn dieser wird sich auch in naher Zukunft im Spannungsfeld zwischen Inflation und Rezession befinden.

*) Günther Scheppler ist Chefstratege Rentenmärkte bei der DZ Bank.