InterviewMatthew Benkendorf, Vontobel

„Die Leute haben angefangen, die richtigen Fragen zu stellen“

Fondsmanager Matthew Benkendorf von Vontobel sieht den KI-Hype skeptisch. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt der Aktienstratege, warum, ob nun die Zeit für Small Caps gekommen ist und auf welche Unternehmen er setzt.

„Die Leute haben angefangen, die richtigen Fragen zu stellen“

Im Interview: Matthew Benkendorf

„Leute haben angefangen, die richtigen Fragen zu stellen“

US-Aktien: Vontobel-Experte setzt eher auf Med Tech als auf Healthcare – Einen Getränkehersteller hält er für völlig unterschätzt

Fondsmanager Matthew Benkendorf von Vontobel hält den US-Aktienmarkt für sehr gesund. Den KI-Hype sieht er dagegen skeptisch. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt der Aktienstratege, warum nun die Zeit für Small Caps gekommen ist und auf welche Unternehmen er setzt.

Herr Benkendorf, der Hype rund um das Thema KI hat zuletzt einen Rückschlag erlitten. Anleger sehen plötzlich mehr die hohen Kosten und weniger die großen Chancen. War es das nun mit der Rally?

Wir haben eine Änderung im Marktregime gesehen. Der Aufstieg und die Euphorie hinter der Idee von KI musste vor ein paar Wochen einen Ausverkauf hinnehmen. Inzwischen haben sich die Märkte aber stabilisiert und erholt. Ich glaube allerdings nicht, dass die Rally wieder Fahrt aufnimmt. Der Markt ist sehr gesund. Die Leute haben endlich angefangen, sich die richtigen Fragen zu stellen.

Welche sind das?

KI ist aufregend und bietet enorme Möglichkeiten. Die Frage ist, was genau die KI-Anwendungen sein werden und wann der Zeitpunkt ist, an dem diese Anwendungen sich auch in einer wirtschaftlichen Gewinnperspektive abzeichnen. In der ersten Euphorie hatten die Menschen über die Details hinweggesehen. Doch das sind sehr wichtige und schwierige Fragen, die es zu beantworten gilt.

Sorgen bereitete zuletzt auch die Konjunktur in den USA, die mitverantwortlich für den kräftigen Kursrutsch Anfang des Monats war. War das nur der Auftakt für einige unruhige Wochen, oder gehen Sie von einer Stabilisierung aus?

Es gab an den Märkten lange das Narrativ, dass schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind. Weil schlechte Nachrichten eine aggressive akkommodative Geldpolitik für einen längeren Zeitraum bedeuten. Die Märke wollten, dass die Inflation schnell runterkommt, damit wir Zinssenkungen bekommen, damit die Vermögenspreise wieder nach oben gehen. Doch man sollte vorsichtig sein, was man sich wünscht! Dann bei dem Ausverkauf des Marktes sind viele aufgewacht. Das Wirtschaftswachstum könnte sich schneller als wir es wollen verlangsamen. Auch Leitzinssenkungen können da keine schnelle Wende bringen. Das haben die Anleger nun erkannt. Manchmal sind schlechte Nachrichten eben doch schlechte Nachrichten.

Über den weiteren Weg der Fed wird viel spekuliert. Hätte die Notenbank früher eingreifen müssen und kann sie das mit Blick auf die nahenden Wahlen jetzt überhaupt noch? Von wie vielen Zinssenkungen gehen Sie für den Rest des Jahres aus?

An der Fed gibt es immer eine enorme Menge Kritik. Sie muss das Unmögliche für die Undankbaren tun. Und egal, was sie tut, sie kann nie alle Menschen glücklich machen. Ich denke, die Fed hat ihre Arbeit so gut gemacht wie sie kann, angesichts der Komplexität der Situation. Und ich denke, dass es immer wahrscheinlicher wird, dass wir im Herbst ein oder zwei Zinssenkungen bekommen, weil die Fed auf der einen Seite empfindlich auf die Verlangsamung der Wirtschaft reagiert und sich auf der anderen Seite die Inflation in die richtige Richtung entwickelt. Die Zahlen sind immer noch nicht gut, aber sie entwickeln sich in die richtige Richtung. Dann gibt es die Konjunktur. Die Nachfrage ist immer noch ziemlich stark. Für die Fed ist das eine dynamische und knifflige Situation und es ist schwierig, eine sanfte Landung wirklich hinzubekommen. Der gefährlichste Teil beim Fliegen ist die Landung, weil man sehr langsam im Tiefflug fliegt. Das wird oft unterschätzt.  

Viel Bewegung herrschte zuletzt in der Politik. Für die Demokraten tritt Kamala Harris an. Plötzlich ist der Republikaner Donald Trump der alte Mann. Was bedeutet das für die Aktienmärkte, und welche Sektoren können von welchem Präsidentschaftskandidaten profitieren?

Die Märkte neigen dazu, die Auswirkungen von Wahlen im Vorfeld zu überschätzen. Meistens gibt es keine so monumentalen Veränderungen, die das Gleichgewicht der Macht in bestimmten Sektoren wirklich verändern. Ich schaue mir nur die Fakten der historischen Politik an. Harris' Politik ähnelt eher der eines Bernie Sanders, um Ihnen eine Vorstellung von der politischen Ausrichtung zu geben, als der eines Joe Biden oder einer Reihe anderer Kandidaten, die wir in der Vergangenheit gesehen haben, wie Barack Obama. Auch ihre erste Entscheidung, die Wahl ihres Vize-Präsidenten, war eine eher linke. Doch selbst wenn sie das Weiße Haus gewinnt, gibt es noch die Kontrolle über den Kongress. Wir haben dieses großartige System der Checks und Balances.

Auf dem Vormarsch an den Märkten waren zuletzt kleinere Unternehmen und der Index Russell 2000. Ein Wachwechsel, nachdem KMUs Big Tech lange hinterher hinkten?

Das ist eine gute Frage! Wir haben zuletzt einen sehr engen Markt mit wenigen Aktien, die stark gewonnen haben, gesehen. Das war nicht nur ein enger Markt, sondern ein enger Markt mit Namen, die Billionen von Dollar an Kapital in der Marktkapitalisierung umgeworfen haben. Ich habe gesehen, wie Nvidia explodiert ist, und zwar buchstäblich in Billionenhöhe in der Marktkapitalisierung im Laufe von gerade mal sechs bis neun Monaten. Apple, ebenso Microsoft, Amazon, Google. Da geht es nicht um Milliarden, sondern um Billionen.

Und was ist mit Small Caps?

Sie können mit Small Caps eine Menge richtig machen, aber Small Caps streuen sehr breit. Es wäre gut, wenn sich der Markt ein wenig wandelt, und mehr Geld in Small Caps fließt. Wir glauben, dass es eine gute Entwicklung wäre, wenn sich der Markt verbreitern würde. Auch weil sich Small Caps zuletzt relativ schlecht entwickelt haben. Ein Problem könnte allerdings werden, dass diese Unternehmen im Allgemeinen bei einer wirtschaftlichen Schwäche etwas unverhältnismäßig betroffen sind, als große, etablierte Unternehmen. Man muss also ein wenig vorsichtig sein.

Auf welche Unternehmen setzen Sie bei Vontobel? Nach welchen Kriterien wählen Sie Titel aus?

Wir verfolgen die Strategie, dass sich unsere Portfolios auf sehr starke, wirtschaftlich beständige Unternehmen konzentrieren. Indem wir auf Quality setzen, müssen wir uns nicht je nach Umfeld neuorientieren. Ich finde es gefährlich, dass Quality viel mehr mit Wachstum und Dynamik als mit Qualität gleichgesetzt wird. Wir setzen auf wirkliche Qualität, auf Resilienz in wirtschaftlichen Schwächephasen, auf Unternehmen, deren Geschäfte vorhersagbar sind. Deshalb beunruhigen mich die Risiken weniger, weil wir generell Unternehmen besitzen, die widerstandsfähig sind, wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen verschlechtern.

Können Sie uns ein paar Namen nennen?

Wir setzen eher auf Med Tech als auf Healthcare. Daher lieben wir ein Unternehmen wie Abbott Laboratories, das auf sehr vorhersehbare, langlebige Bereiche wie Ernährung, klinische Ernährung, Herzgeräte und Diabetesmanagement setzt. Tatsächlich hat sich das Unternehmen zuletzt nicht so gut entwickelt, aber wir richten unseren langfristigen Blick auf das Gewinnwachstum. Ähnliches gilt für Becton Dickinson. Unserer Meinung nach bieten diese Art von Namen aus dem Gesundheitsbereich einen großartigen Schutz und großartige Chancen.

Und andere Sektoren?

Im Grundnahrungsbereich, der im Allgemeinen eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung aufweist, halte ich Coca Cola immer noch für völlig unterbewertet. Das ist ein phänomenales, langfristiges Unternehmen. Es ist viel innovativer als in der Vergangenheit. Und sie zahlen bis zu 3% Dividende. Auch ein Unternehmen wie Mondelez mit Keksen und Lebensmittelprodukten und Biskuits verspricht eine hohe einstellige Rendite und eine 3%ige Dividende.

Noch einen Geheimtipp?

Ein Geheimtipp ist es vielleicht nicht, aber im Industriebereich halten wir RB Global, eine kanadische Firma. Die haben ein Geschäftsmodell, wie man es von Amazon kennt. Wenn es der Wirtschaft gut geht, kaufen und verkaufen die Leute Dinge, wenn es der Wirtschaft schlecht geht, sind die Leute aber auch gezwungen, Dinge zu kaufen und zu verkaufen. Wenn Sie eine kritische Masse an Bietern und Verkäufern haben und der Endmarkt wächst und ihr Marktanteil wächst, dann ist das einfach eine großartige Geschichte. Und ich denke, dass RB Global eigentlich immer noch ziemlich billig ist.

Zur Person: Matthew Benkendorf ist Chief Investment Officer bei Vontobel Quality Growth. Er kam 1999 zu Vontobel und war Co-Architekt der Anlagephilosophie und des Anlagestils Quality Growth und hat die Strategien für Vontobel maßgeblich mitentwickelt. 2006 hat er als verantwortlicher Portfoliomanager die Strategie European Equity übernommen und zwei Jahre später die Strategien Global Equity, US Equity, International Equity und Emerging Markets Equity. Vorher war er als Research Analyst und Trader tätig. Matthew besitzt einen Bachelor of Science in Betriebswirtschaft und Finanz der University of Denver in Colorado.

Das Interview führte Tobias Möllers. In voller Länge lesen Sie es auf www. boersen-zeitung.de.