„Vielleicht ist das eine Art Ruhe vor dem Sturm“
Im Interview: Michael Hünseler
„Vielleicht ist das eine Art Ruhe vor dem Sturm“
Der CIO der LBBW Asset Management über niedrige Risikoprämien, die Geldpolitik der EZB und der Fed und die unterschiedliche Wahrnehmung von Trump
Michael Hünseler geht davon aus, dass nach der EZB auch die Fed in diesem Jahr die Zinsen senken wird. Dass es bei dem ruhigen Kapitalmarktumfeld bleibt, hält er für wenig wahrscheinlich. An den Aktienmärkten rät er Anlegern, nicht nur in den USA zu investieren, sondern sich regional breiter aufzustellen. Trump werde in Europa anders wahrgenommen als in Amerika.
Herr Hünseler, die EZB hat gerade ihren Leitzins gesenkt. Aber wird auch die Fed in diesem Jahr ihre Leitzinsen senken?
Diese Frage bewegt derzeit die Finanzmärkte. Die konjunkturelle Entkopplung der beiden großen Wirtschaftsräume und damit auch der Geldpolitik ist ungewöhnlich. Die Inflation in den USA ist bei Weitem nicht so kontinuierlich rückläufig, wie das für eine schnelle Zinssenkung notwendig wäre. Gleichzeitig gibt es immer wieder auch Zeichen für eine sich abschwächende Wirtschaft in Amerika. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Fed die Leitzinsen in diesem Jahr senken wird.
Aber wir haben ein Wahljahr in Amerika.
Die Fed wird dieses zusätzliche Spannungsfeld berücksichtigen müssen. Sie möchte sich bestimmt nicht dem Vorwurf aussetzen, die Wahl durch einen Zinsschritt zu beeinflussen. Es müssen daher gute Gründe vorliegen.
Und wird die EZB ihren Leitzins weiter zurückführen?
Sie wird dabei faktenorientiert vorgehen und aktuelle Daten zur Inflation in der Eurozone berücksichtigen. Wir erwarten keine weitere Zinssenkung im Juli. Doch wir gehen davon aus, dass die EZB ihren Leitzins in diesem Jahr noch zweimal senken wird. Der Trendwechsel in der Geldpolitik hat begonnen. Jetzt geht es langsam und mit der gebotenen Vorsicht wieder nach unten.
Was heißt das für die Asset Allocation?
Auch hier könnte es zu einem Trendwechsel kommen. Zuletzt waren ja vor allem Large Caps gefragt. Mit niedrigeren Zinsen und einer später folgenden wirtschaftlichen Erholung werden Small und Mid Caps, also Titel aus der zweiten und dritten Reihe, auf einmal wieder interessanter. Auch dividendenstarke Titel könnten profitieren. In der Vergangenheit wurden solche Titel als eine Art Anleiheersatz gesucht, denn in einem Niedrigzinsumfeld stellen stabile Dividenden eine echte Alternative dar. Auch defensive Titel wie die Versorger könnten dann wieder gefragt sein.
Spricht dies zum Beispiel auch für Versicherungsaktien?
Bei Versicherungen ist etwas Vorsicht geboten, weil rückläufige Zinsen für sie nicht notwendigerweise positiv sind. Einige Versicherungen punkten gerne über eine hohe Dividendenausschüttung. Hier gilt es abzuwägen, welche Geschäftsmodelle die erforderliche Stabilität in den operativen Erträgen aufweisen, sodass keine Ausschüttung aus der Substanz notwendig ist.
Werden auch Autoaktien jetzt wieder interessanter?
Autos haben eine schwere Zeit vor sich, deswegen sind sie auch günstig bewertet. Aber gleichzeitig stehen sie auch für einen Großteil der Dividenden im Deutschen Aktienindex. Eine deutliche konjunkturelle Erholung würde sich definitiv für die Autos positiv bemerkbar machen. Die muss sich aber erst verfestigen. Zykliker sind für uns im Moment weniger attraktiv. Wir sind aktuell eher defensiv positioniert und bei Autos kommen erschwerend auch noch Sonderfaktoren wie etwa durch den wieder aufflammenden Protektionismus hinzu.
Das erste Halbjahr, das für Aktien sehr gut war, ist bald zu Ende. Wie sollten sich Anleger für das zweite Halbjahr positionieren?
Die erste Hälfte war für Aktien überraschend positiv – wenigstens auf den ersten Blick. Denn ein Großteil der bemerkenswerten Aktienindexanstiege ist einigen wenigen Titel zuzuordnen. Wir verlassen gerade den einen Trend, der durch hohe Inflation und das entsprechende Gegengift dazu gekennzeichnet ist. Und der neue Trend muss sich noch entwickeln. Die Unsicherheit ist größer, als die Volatilitätsindikatoren das anzeigen. Vielleicht ist das eine Art Ruhe vor dem Sturm. Egal, welche Risikoprämien Sie sich anschauen, die von den Aktien oder die von Credits, die Risikoprämien sind zu niedrig. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es so nicht bleiben wird und sich der Markt erst einmal wieder finden muss. Wir positionieren uns daher im Augenblick eher etwas defensiver.
Was heißt das jetzt für die Branchen- oder Länderallokation?
Das bedeutet, dass wir insbesondere solche Branchen, die sehr an die Konjunktur gekoppelt sind, also Zykliker, eher meiden. Fluglinien beispielsweise bieten sich in einem solchen Umfeld nicht unbedingt an. Solche Unternehmen bekommen es unmittelbar zu spüren, wenn Konsumenten beginnen, bei ihren Ausgaben wählerischer zu werden oder zu sparen.
Sollten sich Investoren auf globaler Ebene breiter aufstellen?
Ja, durchaus. Indien ist interessanter geworden. China konnte sich von seinem Tiefstand spürbar erholen. Das Land versucht weiter, die Immobilienkrise in den Griff zu bekommen. Es wird sich zeigen, ob das so gelingt. Die unterstützenden Maßnahmen senden aber positive Signale. Vor diesem Hintergrund könnte es interessant sein, jetzt wieder stärker Asien beizumischen.
Und Europa?
In den USA haben die Aktienkurse bereits sehr viel Gewinnwachstum vorweggenommen. Deswegen wäre aus unserer Sicht heute Europa den USA vorzuziehen
Bekommen wir nach der Hausse am Aktienmarkt eine Korrektur oder ist mit stärkeren Schwankungen zu rechnen?
Niedriger könnten die Kursschwankungen kaum sein. Dass es bei diesem wirklich sehr ruhigen Umfeld bleibt, ist vergleichsweise unwahrscheinlich. Hinzu kommen hinreichend viele mögliche Störfaktoren, etwa in Gestalt der geopolitischen Spannungen, die das Potenzial zu sogenannten exogenen Schocks haben. Das Risiko einer unbeabsichtigten, aber in Kauf genommenen Eskalation hat deutlich zugenommen. Die Natur solcher Ereignisse ist aber, dass sie sich kaum seriös prognostizieren lassen und Investoren sich deswegen auch nicht gut auf sie einstellen können.
Was passiert, wenn Trump zum US-Präsidenten gewählt wird?
In Europa trifft eine mögliche Wahl Trumps eher auf Bedenken. Das ist aus europäischer Sicht auch nachvollziehbar, denn eine sprunghafte Außenpolitik und Abschottung dieses großen Wirtschaftsraumes für andere Länder zwingt Europa zu deutlich mehr Eigenverantwortung und Zusammenschluss. Der Wall Street scheint die Wahl dagegen kein Kopfzerbrechen zu bereiten. Und auch in 2017 gab es nach der überraschenden Wahl Trumps zum Präsidenten keinen Crash, sondern zunächst einen eher positiven Verlauf an den Börsen. Mittel- und langfristig mögen sich die Folgen dann anders darstellen, aber das bewegt die Finanzmärkte heute noch nicht.
Das Interview führte Werner Rüppel.