Andreas Dombret

„Geldpolitik und Aufsicht sind in einem gewissen Ziel­konflikt“

Der Ex-Bundesbanker Andreas Dombret über die Notrettung der Credit Suisse, die Rolle von Aufsicht und Regulierung und die Folgen für die Notenbanken.

„Geldpolitik und Aufsicht sind in einem gewissen Ziel­konflikt“

Mark Schrörs.

Herr Dombret, die Schweizer UBS übernimmt die schwer angeschlagene Credit Suisse. UBS-Verwaltungschef Colm Kelleher spricht von einer „Notrettung“. Wie beurteilen Sie den Deal?

Ja, zweifellos, dies war eine Notrettung – für die Credit Suisse und für den Finanzplatz Schweiz. Allerdings, und das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit: Die Notrettung ist in kürzester Zeit sehr professionell umgesetzt worden und im Ergebnis gelungen. Man hat sich in Bern und Zürich mit großem Einsatz und mit voller Konsequenz gegen eine neue Finanzkrise gewandt und dafür alles Erforderliche aufgeboten. Die Märkte erkennen das zu Recht an.

Hätte eine Pleite der Credit Suisse eine Weltfinanzkrise wie im Jahr 2008 auslösen können? Ist diese Gefahr nun gebannt oder droht weiter eine globale Krise – zumal auch die Turbulenzen im US-Bankensektor anhalten?

Das ist eine hypothetische Frage, die sich jetzt Gott sei Dank nicht mehr stellt. Die Credit Suisse ist in Europa ein Einzelfall, der jetzt erfolgreich abgearbeitet ist, und zwar privatwirtschaftlich durch die UBS mit einem sehr direkten Eingriff der Schweizer Behörden. Die Insolvenz einer so großen Bank wie der Credit Suisse hätte zweifellos zu immenser Verunsicherung geführt, und eine gewisse Ansteckung geht damit immer einher. Allerdings sind die Banken seit 2008 sehr viel auskömmlicher mit Eigenkapital und Liquidität ausgestattet, so dass ich aktuell keine systemische Ansteckung erkennen kann. Eine globale Krise als Folge der Credit-Suisse-Schieflage schließe ich also aus, und die USA werden ihre regionalen Banken ebenfalls zeitnah in den Griff bekommen.

Europäische und deutsche Bankenaufseher betonen gebetsmühlenartig die Stabilität der europäischen und deutschen Banken. Aber gibt es nicht auch bei den hiesigen Instituten Verwundbarkeiten, und sind sie gegen die globalen Ansteckungsgefahren wirklich immun?

Komplett immun gegen Panik an den Märkten sind die allerwenigsten, aber ich sehe keinen anderen Fall einer europäischen Bank mit einer ähnlichen Verwundbarkeit wie die der Credit Suisse. Ihr Geschäftsmodell wies erhebliche Fragen auf, nicht zuletzt nach der künftigen Ertragskraft, bei gleichzeitig großen operativen Risiken. Die Einlagenbasis der Credit Suisse war bereits seit dem vierten Quartal 2022 stark bedroht, was auf keine andere europäische Bank zutrifft. Und kein europäisches Haus fährt ein derart offenes Zinsrisiko, wie einige US-Regionalbanken es leider getan haben. Und es stimmt: Die Bankenaufsicht in Europa ist engmaschiger und in Teilen konsequenter als die in den USA, was sich jetzt als Vorteil für uns erweist. Insofern sehe ich die Finanzstabilität in Europa zwar herausgefordert, aber nicht gefährdet. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Aufsicht und Geldpolitik über einen bedeutenden, weitreichenden Instrumentenkasten verfügen, den sie einsetzen können, sollte dies in der Zukunft notwendig werden. Die Schweiz hat dies am Wochenende gerade eindrucksvoll demonstriert.

Notenbanken weltweit haben jetzt beschlossen, über ihre Devisenswap-Geschäfte die Versorgung des Finanzsystems mit Dollar zu verbessern. Ist die Lage also doch ernster, als sie zuletzt haben glauben machen wollen?

Ich interpretiere dies als eine reine Vorsichtsmaßnahme.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat vergangene Woche trotz Bankenbebens ihre Leitzinsen um 50 Basispunkte angehoben. War das richtig oder hätte sie abwarten sollen? Und wie sollte es in Sachen Zinsen jetzt weitergehen?

Geldpolitik und Bankenaufsicht sind momentan in einem gewissen Zielkonflikt. Höhere Zinsen und Quantitative Tightening sind notwendig, um die aus dem Ruder gelaufene Inflation einzudämmen. Das steigende Zinsniveau macht es den Banken aufgrund von Bewertungsabschlägen bei ihren Wertpapieren kurzfristig schwerer, aber mittel- und langfristig leichter – und die Finanzhäuser sind deutlich solider aufgestellt als vor 2008. Alles in allem empfand ich die Reaktion der EZB als angemessen: An der angekündigten Zinserhöhung von 50 Basispunkten festhalten, aber dem Bankensektor Unterstützung zusagen, sollte diese benötigt werden. Und ab jetzt wird man in der EZB vermutlich noch mehr auf Sicht fahren als bisher, und man muss dabei die Inflationsentwicklung fest im Blick behalten.

Am Mittwoch entscheidet die US-Notenbank Fed. Einige Beobachter erwarten eine erneute Zinsanhebung, andere eine Zinspause – und mancher sogar schon eine Zinssenkung. Was hielten Sie für richtig und angemessen?

Die Inflation liegt in den USA niedriger als in der Eurozone, aber immer noch viel zu hoch. Ich empfehle, die Aussagen von Fed-Chef Jerome Powell in Jackson Hole nachzulesen. Die Fed ist sich möglicher negativer Auswirkungen steigender Zinsen auf ihre Volkswirtschaft sehr wohl be­wusst, wird aber an der Bekämpfung der Inflation festhalten.

Die neuerlichen Bankenprobleme in den USA und der Schweiz gelten auch als Versagen der Bankenaufsichtsbehörden. Warum haben die Aufseher die Probleme nicht kommen sehen? Haben auch sie die Folgen der beispiellosen Zinswende unterschätzt?

Bei Bankenproblemen wird zuallererst fast schon reflexartig die Aufsicht kritisiert. Keine Frage: Regulierer und Aufseher sind natürlich nicht unfehlbar. Und die Zinswende kam spät und deshalb umso ausgeprägter. Seit 2008 sind allerdings sehr viele Vorschriften erlassen worden, die das Finanzsystem deutlich sicherer gemacht haben. Erinnern wir uns: Vor der globalen Finanzkrise gab es zum Beispiel überhaupt keine aufsichtlichen Anforderungen bezogen auf die von Banken vorzuhaltende Liquidität. Lehman, Silicon Valley Bank und Credit Suisse sind schlussendlich nicht an zu geringem Eigenkapital gescheitert, sondern an fehlender Liquidität. Wenn die USA die international vereinbarten Vorschriften zur Net Stable Funding Ratio und zur Liquidity Coverage Ratio erst bei Banken mit einer Bilanzsumme von mindestens 250 Mrd. Dollar anwenden, steht dies nicht für einen zu geringen Erkenntnisgewinn der Aufsicht, sondern für fehlende Umsetzung.

Nach der Weltfinanzkrise hieß es, keine Bank dürfe mehr so groß sein, dass sie nicht abgewickelt werden könne – das Too-big-to-fail-Problem. Zudem hieß es, es dürfe nie wieder Staatsgeld zur Bankenrettung geben. Jetzt wird die Credit Suisse gerettet, und es entsteht ein noch gigantischeres Institut – unterstützt mit Notenbankkrediten und Staatsgarantien. Hat die Regulierung versagt?

Ich hätte mir am Jahresanfang beim besten Willen nicht vorstellen können, dass eine global systemrelevante Bank wie die Credit Suisse scheitern könnte. Mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS wird die neue Bilanzsumme auf das Doppelte des Schweizer Bruttoinlandsprodukts steigen – eine ungesunde Relation, aber in dieser Notlage nicht anders machbar. Sehen wir doch das Positive: Die Credit Suisse ist nun in geordneter Restrukturierung, und dies nur nach einem kurzen Wochenende. Moral Hazard ist allerdings bei jeder staatlichen Rettung ein Thema, ob nun in der Schweiz oder in den USA. Hier gilt es abzuwägen.

Welche Lehren müssen aus den aktuellen Vorfällen für die Regulierung gezogen werden – kurz-, aber auch mittel- und langfristig?

Das müssen die Verantwortlichen entscheiden. Das Too-big-to-fail-Thema kommt sicher wieder zeitnah auf die Tagesordnung. Zudem kann ich mir vorstellen, dass man sich in der EU die Erkenntnisse der Liikanen-Kommission noch einmal genau anschauen wird. Und in der EU werden die Rufe nach einer einheitlichen Einlagensicherung sicher zunehmen. Vielleicht kommt ja Basel III nun doch in ähnlicher Form wie 2017 im Baseler Ausschuss beschlossen – bereinigt um die inzwischen erkannten Unzulänglichkeiten, aber im Wesentlichen unverwässert. Die Vorteile einer konsequent auf Eigenkapital- und Liquiditätsstärke ausgerichteten Regulierung haben durch die aktuellen Vorfälle wieder an Bedeutung zugenommen.

Die Fragen stellte

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