Bank of England prüft Bondverkäufe
hip London
Die Bank of England hat den Leitzins seit Dezember vergangenen Jahres zum vierten Mal in Folge erhöht – um 25 Basispunkte auf 1,00 %. Zudem wird die Notenbank nun den Abbau des seit der Finanzkrise zur Ankurbelung der Konjunktur zusammengekauften Anleihenbergs in Angriff nehmen. Wie dem Protokoll der Sitzung des geldpolitischen Komitees (Monetary Policy Committee, MPC) zu entnehmen ist, wären drei von neun Mitgliedern gerne noch weiter gegangen. Jonathan Haskel, Catherine Mann und Michael Saunders sprachen sich dafür aus, den Leitzins um 50 Basispunkte anzuheben. Im Februar hatte sich ihnen noch Dave Ramsden angeschlossen. Nun ist offenbar das Risiko einer Rezession in den Fokus der Geldpolitiker gerückt und aus vier Rebellen wurden drei. Der Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey, machte klar, dass der Markt übertriebene Erwartungen hegt, was weitere Zinsschritte angeht, und sprach von einem Balanceakt zwischen steigender Inflation und drohendem Abschwung.
Angst vor Stagflation
„Wir sind mit unserer Antwort sehr vorsichtig gewesen und haben das Ausmaß des Schocks für die Wirtschaft berücksichtigt“, sagte Bailey. Die Notenbankökonomen gehen davon aus, dass die Teuerungsrate im laufenden Quartal auf mehr als 9 % und im weiteren Jahresverlauf auf mehr als 10 % steigen wird. Den Hintergrund bilden die seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine rasant gestiegenen Energiepreise. Der Regulierer Ofgem lüftete im April den Preisdeckel für Energierechnungen privater Haushalte. Für Oktober ist eine weitere Anpassung vorgesehen. Die Bank of England geht nun davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum stark verlangsamen wird. Steuererhöhungen und steigende Lebenshaltungskosten tragen dazu ebenso bei wie ein Schatzkanzler, der nach all den Corona-Hilfsprogrammen gerne einen Gang herunterschalten würde.
„Das MPC bewegt sich auf einem immer schmaleren Grat“, kommentierte Alpesh Paleja, Volkswirt beim Unternehmensverband CBI, die Zinsentscheidung. „Weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Preisdrucks müssen gegen die zunehmende Notwendigkeit, das Wachstum zu schützen, abgewogen werden.“ Für das Schlussquartal 2022 haben die Zentralbankökonomen eine Schrumpfung der Volkswirtschaft um 0,9 % auf der Rechnung, für das Auftaktquartal 2023 ein mageres Plus von 0,1 % – eine technische Rezession wäre bei geringfügigen Abweichungen also durchaus möglich. Für 2023 und 2024 bewegen sich die weiteren Erwartungen rund um die Nulllinie. Einige Volkswirte befürchten bereits, dass das Land in eine Phase der Stagflation – wenig bis kein Wachstum bei hoher Inflation – eingetreten ist. Das Pfund wertete gegen den Dollar um mehr als 2 % ab. Marktteilnehmer verwiesen auf „geldpolitische Ungewissheit“ und das Rezessionsrisiko.
Die Bank of England ist anderen Notenbanken in diesem Zinserhöhungszyklus schon weit voraus: Der Leitzins bewegt sich nun wieder auf dem Niveau vom Februar 2009. Bereits im März hatte das MPC die während der Pandemie vorgenommenen Zinssenkungen komplett rückgängig gemacht. Bereits im Februar wurde beschlossen, Erlöse aus der Rückzahlung auslaufender Staatsanleihen nicht mehr in neue Papiere zu investieren. Nun steht „AQT“ auf der Tagesordnung: Active Quantitative Tightening. Bei den Anleihen im Volumen von 867 Mrd. Pfund, die sich am 4. Mai noch im Besitz der Notenbank befanden, handelt es sich in erster Linie um Staatsanleihen (Gilts). Sie machen 847 Mrd. Pfund aus. Das MPC hat bei der Notenbank eine Strategie für den Abverkauf der Gilts in Auftrag gegeben. Auf der Sitzung im August soll es ein Update dazu geben, das dem Komitee ermöglichen soll, auf einer späteren Sitzung eine Entscheidung über den Beginn der Verkäufe zu fällen. Wenn es dazu kommt, sollen sie auf berechenbare Weise über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgen, um keine Verwerfungen an den Finanzmärkten hervorzurufen. Bereits im September soll mit dem Verkauf der Corporate Bonds begonnen werden, die insgesamt 19,6 Mrd. Pfund auf die Waage bringen.
„Die Bank of England befindet sich unter den großen Zentralbanken in der wohl schwierigsten Situation“, sagte Katharine Neiss, Europäische Chefvolkswirtin bei PGIM Fixed Income. „Wir gehen davon aus, dass die Zentralbank noch in diesem Jahr zaghafte aktive Verkäufe von Staatsanleihen tätigen wird.“ Der Leitzins könnte sich jedoch seinem Gipfel nähern, da sich die Anzeichen für eine Verlangsamung der britischen Wirtschaft mehr und mehr verdichten. Es bestehe jedoch nach wie vor das Risiko, dass die Zentralbank in eine Rezession hinein zu noch höheren Zinsen gezwungen werde, da ein abwertendes Pfund die Inflationsrate weiter in die Höhe treibt.