Baillie Gifford wettet langfristig
cru Frankfurt
Das schottische Investmenthaus Ballie Gifford ist schwer mit einer kurzen Bezeichnung einzuordnen. Der Vermögensverwaltungsriese aus Edinburgh mit dem riesigen Anlagevolumen von 320 Mrd. Euro changiert zwischen klassischem Assetmanager, Private-Equity-Fonds und Wagniskapitalgeber – und unterscheidet sich obendrein in allen drei Kategorien von einschlägigen Wettbewerbern vor allem in einem Punkt: „Wir gehen fast immer langfristige Engagements ein, und wir haben keine typische Strategie für einen Ausstieg per Börsengang oder Verkauf nach einem bestimmten Zeitraum. Ohnehin sollten viele Unternehmen gar nicht an die Börse gehen, weil sie ihre Entscheidungen dann oft zu kurzfristig orientiert treffen“, fasst Stephen Paice, Head of European Equity Team und selbst ein Schotte, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung einen der wichtigsten Aspekte der Strategie in aller Kürze zusammen.
Frühe Investments beim Cloud-Anbieter Amazon und dem Elektroautopionier Tesla, dessen Kurs sich seit dem Einstieg von Baillie Gifford 2013 beinahe verneunzigfacht hat, haben die Schotten mit hohen Renditen längst zur Investorenlegende gemacht. „Wir haben schon vor Jahren gelernt, dass über den Erfolg eines gesamten Portfolios vor allem eine kleine Zahl positiver Ausnahmeunternehmen entscheidet.“ Laut Studien über die vergangenen 30 Jahre entfällt nahezu der gesamte Nettowertzuwachs eines Aktienportfolios auf wenig mehr als 1% der darin enthaltenen Unternehmen. „Der größte Fehler, den ein Investor machen kann, ist ein vorzeitiger Ausstieg aus solchen Investments. Man kann maximal 100% verlieren, aber durchaus 1000% gewinnen“, erklärt Paice. „Wir versuchen zunächst die Motive der Gründer eines Unternehmens zu verstehen. Dann schätzen wir das Wachstumspotenzial und die Wettbewerbsposition ein.“
Baillie Gifford, vor 113 Jahren gegründet von Augustus Baillie und Carlyle Gifford, gehört noch heute allein den derzeit 46 Partnern, die im Durchschnitt seit 20 Jahren für das Investmenthaus arbeiten, darunter neun Frauen. Der dominierende Schwerpunkt der Investments liegt auf Technologie-Unternehmen aus den USA und China. Doch auch Europa fehlt nicht im Portfolio.
Zu den Engagements gehören der britische Online-Geldtransfer-Service Wise (früher: Transferwise) aus London, in den auch Peter Thiels Wagniskapitalgesellschaft Valar Ventures investiert hat, und der schwedische Hersteller von Lithium-Batterien für Elektroautos Northvolt, der zum europäischen Champion für „grüne“ Batterien werden könnte. „Beide Unternehmen wachsen stark und haben das Potenzial, ihren Markt zu dominieren“, glaubt Paice.
Auch in Deutschland hat Baillie Gifford das Engagement in Unternehmen an der Börse und außerhalb der Börse in den vergangenen Jahren deutlich hochgefahren. Zu den jüngeren nichtbörsennotierten Investments der Schotten hierzulande zählen der Fernbusbetreiber Flixmobility, der sich gerade 650 Mill. Dollar zusätzliche Finanzierung von Wagniskapitalgebern gesichert hat und als Börsenkandidat gilt, sowie das Start-up Sennder. Der Spezialist für digitale Logistik rund um Lkw-Ladungen gilt ebenfalls als IPO-Kandidat und könnte mit Baillie Gifford als Beschleuniger und Finanzier für weitere Zukäufe schon 2022 an die Börse kommen. „Sennder kann als Konsolidierer des noch sehr kleinteiligen, aber insgesamt riesigen Markts für die Preisbildung und Vermittlung von Lastwagentransporten auftreten“, hofft Paice. Weitere deutsche Unternehmen, die Baillie Gifford in den Portfolios hält, sind der Online-Modehändler Zalando (11%), der Online-Essenslieferant Delivery Hero (9%) und der Medizintechnikkonzern Carl Zeiss Meditech (3%) – des Weiteren das IT-Systemhaus Bechtle (9%), der Großküchenausstatter Rational (5%), der Kochboxenversender Hellofresh (11%), der Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1 (1%) und das Biotech-Unternehmen Morphosys (6%).
Laut Paice ist es zu einem Trend geworden, dass Unternehmen sich länger Zeit nehmen, bis sie an die Börse gehen: „Amazon wurde 1994 gegründet und startete schon 1997 an der Börse. Dagegen wurde SpaceX schon 2002 gegründet, notiert aber noch immer nicht an der Börse, obwohl das Unternehmen mit 46 Mrd. Dollar bewertet wird.“
Auch in Europa und Deutschland habe sich die Investorenlandschaft in den vergangenen Jahren komplett verändert. „Ein junges Unternehmen muss nicht mehr an die Börse gehen, um sich große Summen an Eigenkapital für die Expansion zu beschaffen“, sagt Paice. „Für uns als Investoren sind dadurch Netzwerke vor Ort wichtiger geworden, die uns auf vielversprechende Jungunternehmen aufmerksam machen.“ Die rund 1400 Beschäftigten arbeiten an global elf verschiedenen Standorten.