Rekordjahr für Wagniskapital
cru Frankfurt
Weltweit haben Start-ups 2021 Rekordsummen von Investoren eingeworben. Insgesamt flossen 671 Mrd. Dollar (rund 588 Mrd. Euro) Risikokapital in junge Firmen, wie eine am Mittwoch veröffentlichte Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG zeigt. Das war fast doppelt so viel Geld wie im pandemiegeprägten Vorjahr. Ein großer Teil der Investitionen ging an „Einhörner“, also Start-ups mit einer Marktbewertung über 1 Mrd. Dollar.
Demnach profitierte Deutschland mit rund 20 Mrd. Dollar Risikokapital – fast eine Verdreifachung – überdurchschnittlich stark von dem Boom wie auch Europa insgesamt mit 123 Mrd. Dollar. So warben etwa die Smartphone-Bank N26 und der Lieferdienst Flink, beide aus Berlin, rund 900 Mill. Dollar bzw. 750 Mill. Dollar ein. Die beiden Finanzierungsrunden waren laut KPMG europaweit die größten im vierten Quartal 2021. Der Lieferdienst Gorillas schaffte zudem eine große Kapitalerhöhung von fast 1 Mrd. Dollar.
In Deutschland lockten unterschiedlichste Anwendungen künstlicher Intelligenz die Investoren an. Begehrt waren Fintech und Lieferdienste, aber auch Themen wie Agrartechnik und Umweltschutz, Soziales, Governance (ESG) standen in Deutschland oben auf der Liste. „Der Fokus auf ESG hat sich im letzten Jahr erheblich weiterentwickelt, da der Druck der Verbraucher auf die Unternehmen gestiegen ist“, sagte KPMG-Experte Ashkan Kalantary. Es fehlten Standards für die einheitliche Bewertung von ESG-Aktivitäten. Deshalb dürfte es wahrscheinlich vermehrt Investitionen in ESG-Lösungen und Messinstrumente geben, die helfen, Geschäftsaktivitäten zu verfolgen, zu messen und zu melden.
Einer Reihe bestehender „Einhörner“ gelang es noch im vierten Quartal 2021, große Finanzierungsrunden abzuschließen, darunter J&T Express (Indonesien, 2,5 Mrd. Dollar), Lacework (USA, 1,3 Mrd. Dollar) und Thrasio (USA, 1 Mrd. Dollar). Allein im vierten Quartal 2021 entstanden in sieben europäischen Ländern 17 neue „Einhorn“-Unternehmen, die unterschiedlichste Branchen repräsentieren – von Fintech über Healthtech bis hin zu Travel- und Human Ressources Tech.
Viele „Einhorn“-Start-ups dürften zum möglicherweise letzten Mal hohe Summen aufgebracht haben, bevor sie ihren Ausstieg angingen, erwartet KPMG-Experte Kalantary. „Es entstehen aber in erheblichem Tempo auch immer wieder neue Einhörner, was zu einer bemerkenswerten Konzentration von Venture-Capital-Investitionen in die bestehenden großen Player führt.“ So sei die Zahl der neuen „Einhörner“ im vierten Quartal 2021 mit weltweit 126 geradezu „explodiert“. Dabei stamme eine ganze Reihe aus noch weniger reifen Venture-Capital-Märkten wie Vietnam, Brasilien, Mexiko, Indonesien oder von den Philippinen. Das beweise eine zunehmende Vielfalt des globalen Venture Capital.
Das anhaltende Streben nach Digitalisierung dürfte dazu beitragen, dass die Wagniskapitalinvestitionen im ersten Quartal 2022 hoch bleiben. Start-ups mit meist technologiebasierten Geschäftsmodellen profitieren von weltweiten Niedrigzinsen und davon, dass die Digitalisierung in der Pandemie durch Homeoffice, Online-Shopping und Streaming einen Schub bekommt. Bei der Finanzierung hat Deutschland trotz Fortschritten Nachholbedarf. Etliche Start-ups zieht es mit IPOs in die USA mit ihrem starken Kapitalmarkt. Dort erreichten die Wagniskapitalinvestments allein im Schlussquartal 2021 einen Rekord von 88 Mrd. Dollar.